Miteinander kämpfen und voneinander lernen

Am feministischen Kampftag wollen internationalistische Gruppen zusammen auf die Straße gehen

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 7 Min.
Schon seit Jahren ist die feministische internationalistische Bewegung in Berlin stark vertreten – besonders am 8. März.
Schon seit Jahren ist die feministische internationalistische Bewegung in Berlin stark vertreten – besonders am 8. März.

»Für Frieden zu sein, bedeutet nicht nur, gegen Krieg und Unterdrückung zu sein. Sondern auch, eine freie und ökologische Gesellschaft ohne Patriarchat aufzubauen. Das ist unser erstes Ziel«, sagt Solîn von Cenî, dem Kurdischen Frauenbüro für Frieden. Sie stellt die Arbeit ihrer Struktur während eines kulturellen Abends im nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz vor. Denn dort nutzt Cenî einen Büroraum als Zweigstelle des Vereins und möchte den Austausch und die Vernetzung mit feministischen und internationalistischen Kämpfen in Berlin voranbringen. »Wir sind Teil des Frauenkampfes in der ganzen Welt«, so Solîn.

Der Münzenbergsaal ist gut gefüllt mit Besucher*innen und Freund*innen, die sich für die Arbeit von Cenî interessieren und das kulturelle Programm mit Livemusik, einer kleinen Ausstellung, Tee und Essen genießen. Im Eingangsbereich ist ein Tisch mit Kerzen zum Gedenken an die Opfer des Erdbebens aufgebaut, an einem anderen Tisch werden Kalender, T-Shirts, Schals und Bücher aus der kurdischen Bewegung angeboten, um Spenden für die Erdbebengebiete zu sammeln.

Das Programm verbindet politische und kulturelle Beiträge. Neben der Vorstellung von Cenî hält der Dachverband des Êzîdischen Frauenrats eine emotionale Rede, um auf die fortwährenden Angriffe der Türkei auf die Region Shengal aufmerksam zu machen. Auch der preisgekrönte Kurzfilm »Uzak mı…« von Leyla Toprak über den Kampf der kurdischen Frauenstrukturen in Kobanê gegen den IS wird gezeigt. »Wir müssen ›Jin, Jiyan, Azadî‹, was aus der kurdischen Frauenbewegung kommt, noch viel lauter und klarer sagen«, so die Regisseurin im Anschluss an die Filmvorführung im Münzenbergsaal.

»Während der Revolution in Rojava waren Frauen Teil der Selbstverteidigung und haben gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Der starke Kampf und die Leistung der Frauen in Kurdistan wurden weltweit gesehen«, sagt Solîn. Nun aber gebe es europaweit Repressionen gegen Kurd*innen. »Die Kriminalisierung muss beendet werden«, fordert sie.

Das Kurdische Frauenbüro für Frieden arbeitet seit einigen Monaten verstärkt in der Hauptstadt. »Berlin bietet viele Möglichkeiten für Netzwerkarbeit. Verschiedenste Frauenstrukturen sind hier sehr stark vertreten«, sagt Solîn zu »nd«. Die transnationale Vernetzung von Frauenkämpfen auf der ganzen Welt stehe im Fokus ihrer Arbeit. Im November beispielsweise habe Cenî die Konferenz »Unsere Revolution: Das Leben befreien« an der Technischen Universität Berlin mitorganisiert. »Wir haben darüber gesprochen, was wir bisher geleistet und erreicht haben, damit wir aus unserer eigenen Geschichte schöpfen können« so Solîn. Bei einem internationalistischen Delegationstreffen habe sich beispielsweise gezeigt, dass Feministinnen in Kolumbien ganz ähnliche Organisationsstrukturen aufbauen wie Freundinnen in Kobanê. »Wir müssen voneinander lernen und unsere Kämpfe verbinden«, sagt Solîn.

Neben der Vernetzung ist es Cenî ein wichtiges Anliegen, die Kämpfe in Kurdistan nach Berlin zu tragen. »In Rojava wurde etwas sehr Positives geschaffen. Aber das wird staatlich nicht anerkannt«, erzählt Solîn. Deutschland spiele dabei ein große Rolle durch die engen Beziehungen mit der Türkei. So lasse sich auch beobachten, dass Repressionen gegen Kurd*innen hier immer dann zunahmen, wenn es Staatsbesuche zwischen den beiden Ländern gegeben habe. »So etwas versuchen wir hier aufzudecken, auch was in Shengal passiert oder in Rojhelat«, sagt sie. Rojhelat ist kurdisch für Osten und bezeichnet die kurdischen Gebiete im Iran, also dort, wo die Frauenrevolution nach dem Feminizid an Jîna Mahsa Amini im vergangenen Herbst begonnen hat.

»Jîna Amini ist ein Funke gewesen. Vorher gab es schon Hunderte und Tausende Morde an Frauen, aber da war ein Punkt erreicht, an dem die Gesellschaft das nicht mehr aushalten konnte«, sagt Solîn. Die Frauenrevolution werde derweil immer stärker, und auch Männer reflektierten inzwischen sich selbst und die patriarchalen Strukturen und beteiligten sich zunehmend an der Frauenbefreiung. »Das sind große Schritte. Das hat die kurdische Frauenbewegung erreicht und damit gezeigt, welche wichtige Rolle Frauen in der Gesellschaft haben«, so Solîn.

Deutsche und europäische Feministinnen müssten sich selbstverständlich mit den globalen Kämpfen solidarisieren. »Die europäischen Freund*innen müssen sich aber auch mit den eigenen patriarchalen Strukturen auseinandersetzen. Sonst kommt jede Solidarität von oben herab«, sagt sie. Auch in Berlin würden Femizide begangen und fürchteten Frauen sich alleine auf den Straßen vor Gewalt. »Nur weil es gesetzliche Gleichberechtigung gibt, ist sie gesellschaftlich längst nicht gegeben«, so Solîn.

Letztendlich brauche es überall eine Revolution. »Es gibt Kriege, es gibt Klassen, es gibt Unterdrückung. Das bestehende System löst diese Probleme nicht, sondern vertieft sie«, sagt Solîn. Und für die Revolution brauche es die Befreiung von Frauen. »Um eine Revolution zu machen, muss ich zuerst meine eigene Mentalität hinterfragen: Wie viel patriarchales Denken steckt in mir? Die Revolution fängt bei einem selbst an.«

Darüber hinaus brauche es Selbstorganisierung. »Die Lösungen kommen aus der Gesellschaft, nicht aus den Parlamenten«, erklärt Solîn. Eine wirklich feministische Politik aus den Institutionen gebe es aktuell nicht, das seien nur Worte, aber keine Praxis. »Die größte Angst des Staatensystems ist die Organisierung der Gesellschaft«, sagt Solîn.

Das Frauenbüro für Frieden beteiligt sich an der Allianz internationalistischer Feministinnen, die zum 8. März eine große revolutionäre Demonstration organisiert, die vom Frankfurter Tor bis zur Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg führt. Die Demonstration findet bereits seit mehreren Jahren statt. »Die Kraft liegt in der Organisierung, dass so viele unterschiedliche Gruppen zusammen kämpfen«, sagt Solîn. Es werden auch in diesem Jahr viele verschiedene feministische Anliegen vertreten sein, die alle ihren Raum bekommen. »Diese Vielfältigkeit ist eine Bereicherung, denn eine homogene Gesellschaft kann es gar nicht geben«, sagt sie.

Die Allianz existiert seit 2015, beschreibt sich als Bündnis internationalistischer Feministinnen* und positioniert sich intersektional gegen alle Machtstrukturen. »Unser Ausgangspunkt sind die Kämpfe um Befreiung, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung im Globalen Süden«, so schreibt sie in einer Pressemitteilung zum 8. März. Pressesprecher*innen der Allianz gibt es bewusst nicht. Unter dem Motto »Our Revolution is coming!« (Unsere Revolution kommt!) rufen die internationalistischen Feministinnen alle »Frauen, trans und nicht-binäre Menschen« auf, gemeinsam auf die Straße zu gehen.

»Überall auf der Welt kämpfen Menschen gegen ihre Unterdrückung – miteinander verbunden durch ihre Kämpfe für Befreiung, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Schaut nicht mehr weg! Wir und unser Widerstand waren die ganze Zeit schon hier«, so heißt es im Aufruf. Ziel des gemeinsamen Kampfes sei es, eine internationalistische Front aufzubauen, um Feminizide, staatliche Gewalt, Diktatur, Patriarchat, Imperialismus, Kolonialismus und weiße Vorherrschaft abzuschaffen. »Wir, die Allianz internationalistischer Feministinnen sind davon überzeugt, dass Selbstorganisierung und Selbstverteidigung unsere Stärke sind. Der Kampf jeder Schwester ist der Kampf von uns allen.«

Auch das transnationale Netzwerk Feminists for Jina will an der revolutionären internationalistischen Demonstration am Mittwoch teilnehmen. »Wir wollen die Jin-Jiyan-Azadî-Revolution und ihre transnationale Ebene sichtbar machen«, sagt eine Berliner Aktivistin des Netzwerks zu »nd«. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen. Das Netzwerk habe sich gegründet, weil sich in der Diaspora lebende iranische Feministinnen von ihren Wohnorten aus an der Revolution beteiligen wollten. Berlin biete dafür eine besonders gute Grundlage, sagt die Aktivistin. Schon vor dem Herbst des vergangenen Jahres habe es hier feministische Netzwerke, Kontakte und gemeinsame Aktionen gegeben.

»Es ist das große Potenzial der Stadt, dass es hier so viele internationale und feministische Gruppen gibt«, so die Aktivistin. Es gehe nicht darum, Unterstützung »von hier nach da« zu leisten. »Wir müssen voneinander lernen und unsere Ressourcen miteinander teilen«, findet sie. Innerhalb der feministischen Bewegung müssten sie sich noch stärker untereinander vernetzen. »Berlin ist da aber schon auf einem guten Weg, eine autonome Organisierung ohne staatliche Netzwerkarbeit aufzubauen.«

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