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  • Clásico Barça – Real Madrid

Barça enteilt Real Madrid

Nach dem Sieg im Clásico winkt bei zwölf Punkten Vorsprung die erste Meisterschaft seit 2019

  • Martin Ling, Barcelona
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Jubel über den Sieg war kaum verklungen, als aus der Fankurve in der Gol Nord in Sprechchören die Frage gestellt wurde: Dónde está Florentino, Florentino dónde está? (Wo ist Florentino?) Florentino ist Real Madrids Präsident Florentino Pérez, und die Frage ließ sich einfach beantworten. Pérez war in der Hauptstadt geblieben. Zum ersten Mal in seiner sich in zwei Etappen bereits auf 20 Jahre erstreckenden Präsidentschaft war Reals oberster Chef nicht nach Barcelona gereist, um seine Aufwartung beim Clásico und dem üblichen gemeinsamen Festmahl mit den Präsidiumskollegen vom FC Barcelona zu machen. Letzteres war ohnehin abgesagt worden, denn zwischen den beiden Erzrivalen herrscht dicke Luft, obwohl sie in Sachen Superliga und Kommerzialisierung oft an einem Strang ziehen und Pérez bisher auch mit seinem Konterpart Joan Laporta gut konnte. Das ist vorbei, nachdem sich Real Madrid als Nebenkläger in ein Korruptionsverfahren eingebracht hat, das seit mehr als einem Monat für Schlagzeilen sorgt und den FC Barcelona in ein trübes Licht rückt.

Wie schon beim Pokalhalbfinal-Hinspiel in Madrid am 2. März warfen Madrid-Fans falsche 500-Euro-Scheine von den Rängen, auf dem das Konterfei von Laporta abgebildet ist. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass der FC Barcelona von 2001 bis 2018 rund 7,3 Millionen Euro an den früheren Vizechef der spanischen Schiedsrichter, José María Enríquez Negreira, bezahlt hatte, unter anderem in Laportas erster Amtszeit von 2003 bis 2010. Die Staatsanwaltschaft in Barcelona hat deswegen am 10. März Anzeige wegen des Verdachts der Korruption erstattet. Das Verfahren gegen den FC Barcelona, ehemalige Vereinsfunktionäre und Ex-Schiedsrichter Negreira wegen »Korruption«, »Untreue« und »gefälschter Unterlagen« läuft gerade an.

Die Erklärungen der Beschuldigten sind nicht gerade aussagekräftig. Barça und Negreira haben die geschäftlichen Verbindungen eingeräumt, bestreiten aber den Vorwurf der Korruption. Laut Negreira habe seine Firma den Verein mündlich darüber beraten, wie sich die Spieler gegenüber bestimmten Unparteiischen verhalten sollten. Barça bezeichnete solche Beraterdienste als »normal«. Letzteres dürfte sogar stimmen, die von Barça gezahlten Summen stehen jedoch in keiner Verhältnismäßigkeit zur erbrachten Berater-Gegenleistung und schüren deswegen Argwohn. Laporta hat eine offensive Verteidigung angekündigt, der nun Taten der Transparenz folgen müssen, sonst wird der Ruf ganz unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, wo der Kläger die Beweislast trägt, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Da die Verträge in Millionenhöhe mündlich geschlossen worden sein sollen, gibt es offenbar keine Unterlagen.

Der für die spanische Meisterschaft weichenstellende Clásico war in den Medien vorab von den Korruptionsvorwürfen überschattet worden. Am Sonntagabend vor 95 745 Zuschauern im Camp Nou spielte all das aber nur noch eine Nebenrolle.

Mit hohem Pressing setzte Barça Real von Anfang an unter Druck und kam zu Torannäherungen. Doch schon in der neunten Minute folgte die kalte Dusche. Eine Flanke von Vinicius Jr. wurde von seinem direkten Gegenspieler Ronald Araujo unglücklich unhaltbar ins eigene Tor abgefälscht. Es war erst das zweite Gegentor im 13. Liga-Heimspiel für den deutschen Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen nach einem Elfmeter im Stadtderby gegen Espanyol Barcelona kurz nach Weihnachten. 

Auch nach dem Rückstand hatte Barcelona Übergewicht bei Ballbesitz, was beim Pokalspiel vor gut zwei Wochen noch ganz anders war, als mit 35 Prozent Ballbesitz ein vereinsinterner Negativrekord aufgestellt wurde, sodass trotz des Sieges teils vom Verrat an der Spielidee geredet wurde. Der seit November 2021 amtierende Trainer Xavi, der als Spieler bis 2015 das Ballbesitzspiel entscheidend mitgeprägt hatte, reagierte darauf gelassen: »Barça ist der schwierigste Klub der Welt. Wenn man Real Madrid mit 1:0 schlägt, ohne zu überzeugen, gibt es Aufruhr, und wenn es andersherum ist, gibt es in Madrid ein Fest.« Vor dem vierten Clásico am Sonntag hatte er klargestellt: »Wir werden unseren Stil nicht ändern: Wir sind proaktiv, wir machen nie dicht, wir machen immer Druck, aber es ist eine andere Sache, wenn sie sich aus diesem Druck befreien und uns in unserer eigenen Hälfte dominieren.«

Xavis Vorausblick war eine treffende Spielbeschreibung. Barça versuchte, Druck zu machen, war dominant, Real blieb aber gefährlich und konnte sich immer wieder mit seinen ballsicheren Mittelfeldspielern Eduardo Camavinga, Toni Kroos und Luka Modric befreien und vereinzelt Konter setzen wie jener, der Real früh in Führung brachte.

Auch danach war meist Barcelona am Drücker, kam zu guten Chancen, die vom herausragend haltenden belgischen Torhüter Thibaut Courtois aber allesamt vereitelt wurden, sei es ein Schuss von Mittelstürmer Robert Lewandowski oder ein Kopfball des brasilianischen Rechtsaußen Raphinha. Der Ausgleich glückte erst kurz vor dem Pausenpfiff, als Sergi Roberto, der für den verletzten Pedri spielte, mit einem Schlenzer die Lücke fand.

Auch in der zweiten Hälfte ein ähnliches Bild: ein durch hohes Pressing überlegenes Barça und ein vereinzelt durch Konter oder bei den wenigen leichten Ballverlusten von Barcelona gefährliches Real. Durchaus überraschend ging dann erneut Madrid in der 80. Minute in Führung, als der eingewechselte Asensio nach feiner Ballstafette das vermeintliche 2:1 erzielte. Nach VAR-Check wurde der Treffer wegen Abseits aber zurückgenommen.

Als alles auf ein Remis hinauslief, das Barça als Tabellenführer besser zupassgekommen wäre, machte der ivorische Einwechselspieler Franck Kessié den Tag für die Katalanen perfekt. Der erneut im Abschluss glücklose Lewandowski glänzte als Einleiter des Angriffs mit einem Hackenpass auf Linksverteidiger Baldé, dessen präziser Querpass von Kessíé mit einem Flachschluss in der zweiten Minute der Nachspielzeit zum Siegtor veredelt wurde, was das Camp Nou erbeben ließ. Denn Barça liegt nun zwölf Spieltage vor Schluss mit zwölf Punkten Vorsprung vor Real Madrid unangefochten an der Spitze, die erste Meisterschaft seit 2019 und nach der Ära Messi ist damit in Reichweite.

Es war Xavis erster Clásico als Trainer im heimischen Stadion, der zweite folgt am 5. April beim Rückspiel des Pokalhalbfinales. Und bis dahin sollte Präsident Laporta seine verbale Offensive im Korruptionsverfahren mit Taten belegen.

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