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Ich und der Haubentaucher
Unsere Kolumnistin begegnet der Artenvielfalt im Berliner Schlachtensee
Ein Haubentaucher beäugt mich seitlich. Er ist sehr nah. Ich betrachte den spitzen roten Schnabel unter der zurückgelegten Haube mit wachsendem Misstrauen. Es ist ein Männchen, das kleinere Weibchen bleibt einige Meter entfernt. Als ich gerade meinen Schwimmfreund warnen will, dass uns jeden Moment ein Schnabel treffen könnte, verschwindet der Lappentaucher im Prachtkleid lautlos im See …
Ein wolkenverhangener Freitagvormittag in Berlin. Ich bin in knapp einer Stunde per S-Bahn vom Norden der Stadt zum Mexikoplatz in Zehlendorf und zu Fuß weiter an den Schlachtensee gelangt. Dirks Lieblingsstelle ist eine blasse Liegewiese unter prächtigen Bäumen – bei Hitze gern belegt von Studenten und Schulschwänzern. Jogger passieren unsere Bänke an urigen Einstiegen. Während wir uns umziehen, erzählt Dirk von einem Schwan, der hier am See einem Hundebiss erlegen ist. Wir verstauen unsere Wertsachen in Schwimmbojen und pusten sie auf. Dirk hat zwei mitgebracht. Ausgerüstet mit Badekappen, Schwimmbrillen, einer leuchtend orangen und einer ausgeblichenen Boje steigen wir eine Holztreppe hinab in den mild-grünen Waldsee.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Mit uns gleitet eine ältere Dame ins Wasser und zieht davon. Wir schwimmen gemütlich Brust und plaudern. In den abgestorbenen Bäumen weiter hinten sitzen Kormorane. Nehmen wir die als Ziel? Stehpaddler umkurven uns weiträumig, Jugendliche in Ruderbooten erobern lautstark den schlauchförmigen See. Unsere Bojen schaukeln an Riemen hinter uns und schützen wirkungsvoll vor Kollisionen. Für Flussbadende in der Seine sind Rettungsbojen sogar Pflicht, habe ich gelesen. Dirk schimpft über den brutal erschossenen Wels in einem fränkischen See. Dort drüben sah er letzte Woche zwei Welse, zeigt er. So einen Meter lang und im Wasser stehend. Welse sind völlig harmlos, wenn man ihrem Laichgelege nicht zu nahe kommt. »Die brauchen ihre Ruhe, da muss man die Badesituation anders designen«, sagt er.
Ich betrachte den Haubentaucher neben uns, sehe ihm beim Tauchen nach. Die Sicht im Schlachtensee ist fantastisch: Seit 1981 werden jährlich etwa drei Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Großen Wannsee in der Aufbereitungsanlage Beelitzhof von Phosphat befreit und dann beinahe in Trinkwasserqualität in den Schlachtensee geleitet. Der Haubentaucher ist entwischt, ich schaue auf faserige Gewächse, gelbsandigen Boden in Ufernähe, die kleinen Fische ringsum. Ich lege mich auf den Rücken und schiebe die Schwimmbrille auf die Stirn. Die Kormorane schaffen wir heute nicht.
Die Sonne scheint, sofort wird es ein paar Grad wärmer. Dirk meint, die Wassertemperatur habe morgens schon 24 Grad betragen, vier Grad mehr als die Luft. Wir sind seit einer halben Stunde unterwegs, weiß Dirks Uhr, auch die Route verzeichnet sie. Er hat diese Woche schon eine Fünf-Kilometer-Runde absolviert und schwimmt entspannt mit mir zurück. Die Ruderboot-Kids sind fort, es wird lautlos gepaddelt, die bunten Bojen mehren sich. Als wir uns an der »Fischerhütte« ein Stück Apfelkuchen mit Blick auf den See teilen, fängt ein paar Meter entfernt ein Kormoran einen Fisch und verschlingt ihn.
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