Kein großer Klima-Durchbruch in Thüringen

Seit 2018 hat Thüringen als erstes ostdeutsches Bundesland ein eigenes Klimagesetz

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Verglichen mit dem, was das Bündnis »Klimaneustart« in der Bundeshauptstadt erreichen wollte, lesen sich die Ziele des Thüringer Klimagesetzes ernüchternd. Während das Bündnis für Berlin festschreiben lassen wollte, dass die Stadt bis 2030 klimaneutral sein muss, sieht das Klimagesetz aus dem Flächenland in der Mitte der Republik vor, dass der Ausstoß von Treibhausgasen dort bis 2050 schrittweise um bis zu 95 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 sinken soll.

»Schrittweise« und »bis zu« muss man schreiben, weil der Thüringer Gesetzestext nicht nur eine stufenweise Absenkung der Emissionen vorsieht: um bis zu 70 Prozent bis 2030, um bis zu 80 Prozent bis 2040. Er definiert auch einigermaßen große Zielkorridore. Das Ziel des Gesetzes wäre auch dann erreicht, wenn in Thüringen der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um nur 80 Prozent sinken würde. Im Wortlaut des Gesetzes heißt es, dessen Ziel und damit des rot-rot-grünen Gesetzgebers sei es, »die Gesamtsumme der Treibhausgasemissionen in Thüringen« bis »zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent« zu senken. Immerhin steht im Gesetz auch dieser Nachsatz: »Dabei ist das Erreichen der jeweils maximalen Emissionsreduktion für das Land handlungsleitend.«

Denen, die sich zum »Klimaneustart« organisiert haben, wäre das ganz sicher zu wenig – gleichwohl sie vielleicht anerkennen würden, dass diese Ziele im Jahr 2018 definiert und dann durch die damals noch bestehende Mehrheit aus Linken, SPD und Grünen im Landtag in die Form eines Klimagesetzes gebracht worden sind. Thüringen war damals das erste ostdeutsche Bundesland, das sich solche Vorgaben machte. Seit damals haben sich die Zeiten freilich geändert. Die Klimakrise ist noch spürbarer geworden, die Energiekrise hat zusätzlich gezeigt, wie gefährlich die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist.

Gleichzeitig zeigt sich gerade in Thüringen, wie schwer es im Alltag ist, selbst Klimaschutzvorgaben zu erreichen, die Aktivisten zu wenig ambitioniert erscheinen mögen. Es gibt viele Gründe dafür, dass allen voran Thüringens Umweltminister Bernhard Stengele (Grüne) das Gesetz einerseits lobt, sein Ministerium andererseits aber die entsprechenden Schwierigkeiten zumindest indirekt einräumt. Das Gesetz bilde »einen wichtigen Rahmen für Klimaanpassung und Klimaschutz«, sagt Stengele. Auf einer eher abstrakten Ebene sei damit klar gewesen, in welche Richtung die Landesregierung arbeiten wolle. Und, auf einer konkreten Ebene: »Zahlreiche Förderprogramme knüpfen hier an, um das Ziel der Klimaneutralität Schritt für Schritt zu erreichen«, sagt Stengele.

Zu diesen Förderprogrammen gehört unter anderem, dass die Kommunen über ein Programm namens Klima-Invest Geld dafür bekommen können, dass sie bei sich Klimaschutz- oder Klimaanpassungsmanager einstellen können, die sich dann damit befassen sollen, wie Städte und Gemeinden mit dem Klimawandel umgehen. Über ein Programm, das sich Solar-Invest nennt, ist bereits die Installation von Tausenden Photovoltaik-Anlagen im Freistaat finanziell bezuschusst worden. Zudem ist bei der Klimaanpassung in Thüringen an vielen Orten dank des Gesetzes einiges passiert: In den Hochwasserschutz ist zuletzt viel Geld gesteckt worden, teilweise sind Flüsse zumindest teilweise renaturiert worden.

Allerdings: Den ganz großen Klima-Durchbruch hat auch das alles noch nicht gebracht. »Die Kurven für Solar und Wind zeigen nach oben, wenn auch beim Wind zu langsam«, räumt ein Sprecher Stengeles ein – und benennt damit eine der ganz großen Problemzonen des Klimaschutzes in Thüringen; jenseits der Tatsache, dass bei der sogenannten Wärmewende – also etwa der Dämmung von Gebäuden – in Thüringen in den vergangenen Jahren ebenso nicht wirklich viel passiert ist, wie dies auch im Rest Deutschland so ist. O-Ton aus dem Ministerium: »Eine wesentliche Herausforderung für den Klimaschutz der Zukunft wird die Wärmewende sein.«

Während bei der Wärmewinde Stengele erst vor wenigen Tagen im Landtag gesagt hatte, aus seiner Sicht seien fossile Energieträger in der Vergangenheit so billig gewesen, dass es sich für kaum jemanden gelohnt habe, sein Haus zu dämmen, ist die Lage beim Wind deutlich komplizierter, politischer: Nicht nur, dass der Bau von Windrädern in Thüringen wie überall in Deutschland ein sehr langwieriger Prozess ist, der viele Jahre Planungsvorlauf braucht und fast immer von Protesten von Bürgerinitiativen begleitet wird. In Thüringen kommt seit 2019 erschwerend hinzu, dass Rot-Rot-Grün keine eigene Mehrheit im Landtag mehr hat – und die politische Opposition im Thüringer Landtag den Bau von Windrädern im Wald mit allen parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln blockiert. Wenn es um Klimaschutz geht, ist Thüringen ähnlich gespalten wie Berlin.

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht das bisherige pauschale Thüringer Verbot von Wind im Wald – auf Druck von CDU und FDP in Gesetzesform gegossen – vor ein paar Monaten für verfassungswidrig erklärt. Doch inzwischen hat die FDP einen neuen Gesetzesentwurf eingereicht, der das gleiche Ziel verfolgt: Wind im Wald in Thüringen unmöglich machen. Wie dieser Versuch, den Ausbau von Windkraft im Freistaat zu verlangsamen, ausgehen wird und was das für die im Thüringer Klimagesetz formulierten Ziele bedeutet, ist offen.

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