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  • Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral«

Keine Chance gegen fossile Mächte und antidemokratische Politik

Klimaneustart macht Unternehmen und Politik für das Scheitern des Volksentscheids »Berlin 2030 klimaneutral« mitverantwortlich

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

»Wir kämpfen gegen fossile Mächte und die sind sehr stark«, sagt Jessamine Davis zu »nd«. Gemeint sind zum Beispiel die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, die wenige Tage vor dem Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral« Stimmung gegen die geplante Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes gemacht hatten. Davis, Sprecherin der Initiative Klimaneustart, vermutet darin eine Ursache für das Scheitern des Volksentscheids am Sonntag.

Zwar waren die meisten, insgesamt 442 210 beziehungsweise 50,9 Prozent der Abstimmenden dafür, dass die Hauptstadt schon 2030, statt wie bisher geplant 2045, klimaneutral wird. Das sind allerdings nur 18,2 Prozent der Wahlberechtigten. Notwendig gewesen wären 25 Prozent, insgesamt 608 000 Ja-Stimmen. Der Volksentscheid ist also am Quorum gescheitert. Es haben aber auch sehr viele, insgesamt 423 418 oder 48,7 Prozent der Abstimmenden Nein angekreuzt. Das ist insofern erstaunlich, da es im Vorhinein hieß, dass Gegner*innen des Volksentscheids einfach nicht abstimmen und sich darauf verlassen könnten, dass das Quorum nicht erreicht werde.

Neben der Antiwerbung der Unternehmensverbände könnte ein weiterer Grund sein, »dass Krisen gegeneinander ausgespielt wurden, bei denen die Menschen emotional werden«, sagt Davis – Stichwort Auto. Tatsächlich haben die drei westlichsten und die drei östlichsten Randbezirke jeweils mehrheitlich mit Nein gestimmt, also die, in denen es die schlechteste Nahverkehrsanbindung gibt. Die Leute seien dort auf ihr Auto angewiesen und solange die Politik keine anderen Angebote schaffe, »können wir verstehen, dass die Menschen das ein überzeugendes Argument finden, um mit Nein zu stimmen«, so Davis.

Aber auch das Thema Mieten wurde kontrovers diskutiert und eine durch den Volksentscheid vorgesehene Gesetzesänderung sogar von Linken kritisiert. Demnach hätten mögliche Auswirkungen auf Mietpreise durch energetische Sanierungen vom Senat bezuschusst werden müssen, um auszuschließen, dass Mieter*innen belastet würden. Doch das Geld lande dann womöglich in den Taschen der Vermieter*innen, hieß es unter anderem vom Linken-Politiker Moheb Shafaqyar. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, sagte am Montag jedoch, es sei mit Blick auf die Kosten kein Argument zu sagen, man brauche mehr Zeit. »Wir brauchen Geschwindigkeit und Kreativität, auch was Förderprogramme für Mieterinnen und Mieter angeht. Da muss der Senat auch einspringen, für Menschen, die das nicht stemmen können.« Damit bekräftigte Bartels den Vorschlag von Klimaneustart.

Die Unterstützung des Bündnisses »Wirtschaft für Wandel«, das Klimaschutz als Innovationstreiber und Standortvorteil begrüßte, könnte Antikapitalist*innen wiederum abgeschreckt haben. »Klimaneustart als Gruppe stellt den Kapitalismus in Frage«, stellt Jessamine Davis dazu klar. Dennoch sei die breite Unterstützung wichtig gewesen, damit Klimaschutz nicht nur als Projekt der Grünen angesehen wird. »Wir alle verlieren dadurch, dass wir die Chance nicht genutzt haben, uns für unsere Zukunft einzusetzen«, sagt sie.

Hauptsächlich haben das Scheitern aber wohl der Senat beziehungsweise Landeswahlleiter Stefan Bröchler zu verantworten. Sie wollten den Volksentscheid nicht mit den Wiederholungswahlen am 12. Februar zusammenlegen, obwohl das Berliner Abstimmungsgesetz eine Zusammenlegung mit Wahlen eigentlich vorsieht. »Dann hätten wir das Quorum geschafft«, ist Davis überzeugt. »Die Politik hat uns Steine in den Weg gelegt.«

Der Fachverband Mehr Demokratie nimmt das Ergebnis zum Anlass, erneut die Abschaffung des Quorums zu fordern. »In einer Demokratie muss die Mehrheit entscheiden«, sagt Landesvorstandssprecher Oliver Wiedmann. Das Zustimmungsquorum von 25 Prozent untergrabe das Mehrheitsprinzip. In Bayern und Sachsen gebe es solche Klauseln nicht – und gerade dort seien die Wahlbeteiligungen am höchsten, denn: »In Bayern sind beide Seiten aufgefordert, für den Volksentscheid zu mobilisieren«, erklärt Wiedmann.

Hinzu kamen Probleme bei Beantragung und Zustellung von Briefwahlunterlagen. Genau eine Woche vor dem Volksentscheid wurde der Server zur Beantragung der Abstimmungsscheine gewartet und war teilweise nicht erreichbar. Dann kamen die Unterlagen bei vielen Menschen nicht rechtzeitig an, wie aus zahlreichen Beschwerden hervorgeht. Laut Jessamine Davis haben einige noch nicht einmal die Wahlaufforderung bekommen. Nach den Wartungsarbeiten am Server hatte Klimaneustart angekündigt, für den Fall des Scheiterns rechtliche Schritte einzuleiten. Darüber werde nun beraten, so Davis.

Die Grünen-Landesvorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai machen ebenfalls die Senatsinnenverwaltung und die Terminverschiebung für das Scheitern des Volksentscheids verantwortlich. »Allein das wolkige Versprechen, ein Sondervermögen für den Klimaschutz einzurichten, überzeugt nicht«, kritisieren sie die aktuellen Koalitionsvereinbarungen von CDU und SPD. Konkreter wird Ferat Koçak, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus: »Hier müssen wir die SPD für die Behinderung direkter Demokratie zur Verantwortung ziehen«, teilt er mit und fordert, kommende Volksentscheide immer mit Wahlen zusammen zu legen.

Der SPD-Landesvorsitzende  Raed Saleh gibt am Montag zurück, es gelte Anreize zu schaffen, um freiwillig zum Klimaschutz beizutragen. »Dazu gehört, wegzukommen von den klassischen Verboten der Grünen.« Ähnlich sieht das die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker: »Linke Öko-Utopien« seien teuer und »freiheitsfeindlich«. Einen positiven Volksentscheid hätte sie »verheerend für unsere Stadt« gefunden. Schon die hohe Zustimmung ist ihrer Ansicht nach »Hysterie«, die CDU und SPD im Vorfeld hätten kontern müssen.

CDU-Generalsekretär Stefan Evers erklärt, »mit unrealistischen Zielen oder unbezahlbaren Gesetzen« wäre dem Klima nicht geholfen. Wichtig sei entschlossenes Handeln. »Ob dahinter jetzt 2041, 2043, 2039 steht, ist total egal«, so der CDU-Politiker. Er fügt selbstwidersprüchlich hinzu: »Entscheidend ist, dass wir keine Zeit verlieren, dass das Machbare unternommen wird.« Als vor dem Volksentscheid über die Probleme bei der Zustellung der Abstimmungsunterlagen beraten werde, hieß es von Seiten der CDU, dass die Berliner*innen doch einfach zu Hause bleiben sollten. »Die Politik verhält sich antidemokratisch«, sagt Davis dazu.

Bei Klimaneustart glaube man trotzdem noch an die Möglichkeiten der direkten Demokratie und versuche, das Positive zu sehen: »Wir haben so viel erreicht. Wir haben dafür gesorgt, dass Klimapolitik endlich von der ganzen Stadt besprochen wird, was bei der Wiederholungswahl nicht der Fall war.« Klimaneustart wird weiter an Klimagerechtigkeit arbeiten, als nächstes wahrscheinlich auf Kiezebene.

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