Der merkwürdige Untergang der Blähton GmbH in Grimmen

Fördermittel flossen, Gutachten wurde bestellt, Käufer fanden sich, nur die Produktion liegt flach

  • Wolfgang Rex
  • Lesedauer: 9 Min.
Blähton ist ganz einfach zu erklären. Man nehme einen Klumpen Luft und wickle Ton herum. Industriell geht das auch. Man nehme kalkhaltigen Ton, zermahle ihn zu kleinen Kugeln und blase in Brennöfen bei 1200 Grad Celsius Luft in die Kugeln, lehrt das Baulexikon. Durch die Lufteinschlüsse erhalten die Kügelchen eine poröse, dem Ziegel ähnliche Struktur.
Zu DDR-Zeiten produzierte der VEB Leichtzuschlagsstoffe in Grimmen Blähton. Am Rande dieser Kleinstadt zwischen Neubrandenburg und Stralsund existiert die deutschlandweit beste Fundstelle für aufblähfähigen Ton. Am 23. Juni 1990 wurde aus dem VEB die Norddeutsche Blähton GmbH. Am 13.März 1991 »kaufte« der Schwede Leif Eliasson im Namen einer Malmöer Firma BIRD für 100 Mark Betrieb und Tongrube. Eliasson habe das Unternehmen »praktisch geschenkt« bekommen, sagt Wolfhard Molkenthin. Der CDU-Mann ist Landrat im Kreis Nordvorpommern.
Die Treuhand gab dem neuen Besitzer 1991 nur eine Auflange. Er sollte sieben Millionen Mark investieren und 120 Arbeitsplätze erhalten. Als Eliasson das Werk kaufte, waren noch 145 Mitarbeiter beschäftigt. Bald blieben nur 50 Stellen übrig, das Werk kam trotzdem nicht aus den roten Zahlen heraus. Im September 1992 gab die Firma BIRD eine Erklärung ab, sie wolle 735000 Mark in den Grimmener Betrieb investieren. Fachleute nennen das Schriftstück »eine wertlose Erklärung«. Immerhin wurde am 12. Oktober 1992 in Schweden über den Hintergrund der Firma BIRD nachgeforscht. In Malmö fanden die zuständigen Landesbehörden Mecklenburg-Vorpommerns nicht einmal eine Adresse von BIRD. Trotzdem bewilligte das Schweriner Wirtschaftsministerium Ende Oktober 734000 Mark an Fördermitteln für Eliasson.
Mecklenburg-Vorpommern habe mit der Firma Blähton einen Schaden von »mehreren Millionen Mark« wegen »verlorener Fördermittel und Bürgschaften erlitten«, erklärt Landtagsabgeordneter Torsten Koplin (PDS). Bereits während der Privatisierung von Blähton sei dem Land ein direkter finanzieller Schaden von mehr als zwei Millionen Mark entstanden. Nach den Landtagswahlen im September 1998 wurde im Schweriner Landtag auf Verlangen der PDS ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, der »Sachverhalte im Zusammenhang mit der Verschwendung beziehungsweise Veruntreuung von öffentlichen finanziellen Mitteln bei und in Folge der Privatisierung von ehemals volkseigenen Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern« aufklären soll. Koplin ist für die PDS-Fraktion Ausschussmitglied. Im Fall Blähton Grimmen kritisiert der PDS-Politiker unter anderem, dass 1992 Fördermittel für Eliasson bewilligt wurden und erst im Frühjahr 1994 das zuständige Landesförderinstitut nachprüfte, ob die 735000 Mark auch zweckdienlich angelegt wurden. Dabei habe das Institut, so Koplin weiter, rechtzeitig »Hinweise auf die fehlende Kreditwürdigkeit dieses Unternehmens erhalten«. Sogar das Wort Scheinfirma sei in den Informationen zu BIRD und Eliasson enthalten gewesen. Nach der Prüfung in Grimmen vergingen noch einmal neun Monate, bevor eine Anzeige über den Missbrauch von Fördermitteln beim zuständigen Staatsanwalt in Rostock landete. Am 7. November 1994 forderte das Land die 642600 Mark Fördermittel zurück und dazu 93324 Mark Zinsen. Vergebens.
»Wir waren sehr großzügig«, erklärte Ralf-Rüdiger Rückheim vor dem Schweriner Untersuchungsausschuss. Rückheim war Anfang der 90er Jahre Abteilungsleiter des Landesförderinstituts. Kenner der Szene sagen, dass die Arbeit der Behörden zu dieser Zeit nach der Höhe der ausgegebenen Fördermittel bewertet wurde, nicht nach dem möglichen Nutzen der Projekte. Koplin fasst die Zustände so zusammen: Zwischen 1991 und 1994 sei es »für einen Investor mit einiger krimineller Energie relativ einfach« gewesen, »Fördermittel des Landes zu erhalten und missbräuchlich zu verwenden«.
Die Geschichte von Blähton Grimmen ist mit dem 1994 eingeleiteten Bankrott und einem Produktionstopp nicht beendet. Die Commerzbank gab nach dem Bankrott einen Kredit von 1,7 Millionen Mark. Das Land Mecklenburg-Vorpommern erklärte sich bereit, eine Ausfallbürgschaft in voller Kredithöhe zu leisten. Die Zwangsvollstreckung wurde danach nur eingeleitet, »um das Unternehmen zu retten«, erklärt der Grimmener Landrat Molkenthin im nachhinein. Am 19. Juni 1995 brannten Produktionsanlagen. Blähton stellte erneut den Betrieb ein. Die mit der Zwangsvollstreckung beauftragte Rechtsanwältin Backhaus beantragte zu den bereits ausgezahlten 1,7 Millionen Mark einen weiteren Kredit in Höhe von 300000 Mark. Erneut sollte das Land die Bürgschaft für den Kredit übernehmen. Das Land leitete das Gegenteil ein, es kündigte die bestehende Kreditbürgschaft. Am 31. Juli 1995 wurde der Betrieb stillgelegt, den Mitarbeitern gekündigt. Für das damals CDU-regierte Land Mecklenburg-Vorpommern errechnete die Commerzbank einen Ausfall von 1,95 Millionen Mark für den verlorenen Kredit plus Zinsen.

Vorschlag: Neubau auf der grünen Wiese

Trotzdem bestellte im Herbst 1995 das Schweriner Wirtschaftsministerium ein Gutachten beim Hamburger Unternehmensberater Wolfgang Hars. Der redete mit den beiden westdeutschen Produzenten von Blähton und auch mit den Leuten in Grimmen. Am Ende kam ein Vorschlag heraus, den das Schweriner Wirtschaftsministerium billigte. Statt dass der alte Betrieb nach und nach repariert und rekonstruiert wurde, schlug Hars vor, gleich ein neues Werk auf der berühmten grünen Wiese zu bauen. Der Unternehmensberater bat zwei Firmen um einen Kostenvoranschlag, die eine errechnete 140 Millionen Mark, ein Dessauer Maschinenbauer kam auf 66 Millionen. Dieser Betrieb hätte 300000 Kubikmeter Blähton pro Jahr produzieren können. Hätte, denn es fand sich niemand, der 66 Millionen Mark für das Projekt ausgeben wollte.
Als der Hamburger Berater sein Neubaukonzept vor dem Untersuchungsausschuss erläutert, klingt das logisch. Der Grimmener Produzent stellte seit 1989 nie ein marktfähiges Produkt her, erklärt Hars in Schwerin. Im damals aktuellen Angebot von 1995 sei Blähton sogar unter den Eigenkosten geblieben. Als Detail nennt der Hamburger noch, dass der Drehrohrofen des Grimmener Betriebes zu kurz sei. Ein anderer Zeuge erklärt vor dem Schweriner Ausschuss das Vorgehen von Hars zum Skandal, weil der ausgerechnet die beiden westdeutschen Konkurrenten der Grimmener um Informationen gebeten habe. Berater Hars meint, im Gegenteil höchst professionell vorgegangen zu sein. Es handele sich bei dem Produkt Blähton um einen kleinen, überschaubaren Markt. Da sei es richtig, auch bei der Konkurrenz Daten abzufragen. Auf die Frage, ob es vielleicht darum ging, einen Ost-Konkurrenten auszuschalten, antwortet der Hamburger nicht direkt. Er geht aber auf den ersten Käufer, den Schweden Eliasson, ein. Der habe schnell gemerkt, dass das Unternehmen in Grimmen nichts einbringe. Deshalb habe Eliasson den Betrieb nicht lange behalten wollen.

»Die Kleinen konnten nicht«

Die PDS-Landtagsabgeordnete Birgit Schwebs zweifelt am Sinn des vorgeschlagenen Neubaus. Mit dem teuren Projekt sollten mögliche Interessenten für den Kauf des bestehenden Betriebes abgeschreckt werden, vermutet sie. Interessierte Käufer seien nicht in der Lage gewesen, die erforderlichen zehn bis 15 Prozent Eigenkapital zu den 66 Millionen Mark Baukosten beizusteuern. Die Großen, also die westdeutschen Konkurrenten, hätten nicht gewollt, so Schwebs, »die Kleinen konnten nicht«.
Der einstige Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium Guido Dannenberg kann sich heute nicht mehr erinnern. Unternehmensberater Hars hatte sein Gutachten mit Schlussfolgerungen beendet. Als das Gutachten 1995 dem Wirtschaftsausschuss des Landtags vorlag, fehlten die Schlussfolgerungen. Dannenberg trat ebenfalls als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss auf. Er wisse nicht, warum die Schlussfolgerungen fehlten.
Besser erinnert sich Dannenberg an ein Gespräch am 25. März 1996 in Grimmen. Da sei er, obwohl Einlader, zu spät gekommen. Vermutlich wegen des Verkehrs. Nach Grimmen waren alle interessierten Käufer und die beiden Konkurrenten aus Hamburg und Franken eingeladen worden. Die Sachs-Baustoffe GmbH sagte ab. Sie wolle nicht an dem Gespräch teilnehmen, sei aber weiter an dem Projekt interessiert.

Eine seltsame Art von Zwangsversteigerung

Auch andere Unternehmen fanden das Unternehmen »Alle an einen Tisch« seltsam. Solche Geschäfte würden doch unter vier Augen ausgehandelt, meint der auch für Grimmen zuständige Landrat Molkenthin. Die Sachs-Baustoffe GmbH soll aber aus einem anderen Grund aus dem Werben um den Betrieb in Grimmen ausgestiegen sein. Die Firma wollte Blähton für den eigenen Bedarf produzieren. Nach dem erfolglosen Termin im März 1996 habe Sachs den Blähton plötzlich »von woanders« billiger bekommen, will sich Landrat Molkenthin erinnern. Dem »Alle an einem Tisch« in Grimmen folgte noch ein weiteres Gespräch in Schwerin. Ebenfalls ohne Ergebnis.
Andere merkwürdige Dinge geschahen im Sommer 1997. Nach der erneuten Pleite wurde der Blähton-Betrieb zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben. Der Lehmbaumeister Ingolf Stein erwarb am 1. Juli 1997 die Bergwerksrechte für die Tongrube. Einen Tag später kaufte er für 246000 Mark auch den Betrieb und bekam ihn trotzdem nicht. Beteiligte Banken lehnten das Angebot ab und beantragten, das Verfahren einzustellen. Lehmbaumeister Stein sitzt auf einer Tongrube, die er ohne Verarbeitungsbetrieb nicht braucht. Warum Stein die Grube bekam, den Betrieb aber nicht, das hat auch der Untersuchungsausschuss bis heute nicht klären können. Stein klagte vergeblich gegen das Verfahren.
Am 16. Februar 1998 wurde die Versteigerung wiederholt. Das Industriegelände der ehemaligen Blähton GmbH ging an die Allgemeine Grimmener Grundstücksgesellschaft. Auf Bildern aus dieser Zeit sieht man strahlende Käufer, zwei Herren aus Rheinland-Pfalz. Die sollen auf der Zwangsversteigerung 3,2 Millionen Mark geboten und den Zuschlag bekommen haben. Der Verkehrswert der 68,5 Hektar großen Industriebrache war auf 13,4 Millionen Mark geschätzt worden. Noch 1998 gab es einen Anlauf, in Grimmen wieder Blähton herzustellen.
Augenzeugen beschreiben derzeit das ehemalige Blähton-Werk als Industrieruine, die nicht mehr gesichert werde. Der getrennte Verkauf von Tagebau und Betrieb sei der Todesstoß für Blähton in Grimmen gewesen, sagten Zeugen vor dem Schweriner Ausschuss. Die aktuellen Besitzer sind die nächsten nach Schwerin geladenen Zeugen.

Es gab weitere teure Fehlschläge

PDS-Abgeordneter Koplin erinnert an andere Fehlschläge in Mecklenburg-Vorpommern. Zum Beispiel Ribnitz-Damgarten. Da stand ein Faserplattenwerk, das für die Möbelindustrie der DDR produzierte. 1988 war der Betrieb im Hinterland der Ostseeküste der größte Hersteller von Faserplatten in Europa. Am DDR-Ende arbeiteten 2200 Leute im VEB Faserplattenwerk. 1991 war der Betrieb mit rund 500 Beschäftigten das größte Unternehmen im Raum Ribnitz-Damgarten.
Allerdings stand die westdeutsche Möbelindustrie im »marktwirtschaflichen Weg«. Vor dem Schweriner Untersuchungsausschuss sagte Treuhandmitarbeiter Lehmann in holprigem Deutsch aus: »Die westdeutsche Möbelindustrie war damals (1990, d.R.) von der Kapazität her zu ungefähr 80 Prozent ausgelastet und hatte ein Vielfaches an Möbeln gemacht, was in der DDR produziert worden ist. Die hätten nur ihre Kapazität um 10 Prozent anheben brauchen, da hätte man in der DDR sämtliche Möbelproduktion einstellen können.« Trotzdem gab es auch für das Werk in Ribnitz-Damgarten Überlebenskonzepte per Priviatisierung im Jahr 1991 und danach auch Fördermittel. Die Käufer versprachen 550 Arbeitsplätze und schon für das Jahr 1994 einen Gewinn von 1,8 Millionen Mark. Der »Nordkurier« schrieb zum Verfahren: Mit mehreren hundert Millionen Mark hätten »Landespolitiker versucht, dieses Unternehmen auf dem Markt zu halten«. Das geschah, ohne dass die Käufer privates Vermögen offen legen mussten.
Bereits im Sommer 1993 zeigte sich, dass die frisch gekauften Anlagen nicht einmal 50 Prozent der geplanten Mengen herstellen konnten. Anlagen seien zu teuer eingekauft, Montageleistungen überteuert abgerechnet worden, heißt es im Ausschussbericht. Im Dezember 1995 ordnete das Amtsgericht Stralsund die Zwangsvollstreckung an. Genau zwei Jahre später, im Dezember 1997, verkauften Gläubiger Anlagen nach Spanien, in die Türkei und nach Polen. Inzwischen steht in der Nähe von Wismar ein neues Werk, das die Möbelindustrie mit Platten beliefert. Landespolitiker feierten das Wismarer Werk als Beispiel, wie Arbeitsplätze auch in Mecklenburg-Vorpommern geschaffen werden können.

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