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  • Japanisch-südkoreanische Annäherung

Japans Großmachtambitionen in Asien

In der Auseinandersetzung mit dem aufsteigenden China sucht die Regierung in Tokio nach Verbündeten – nicht nur in Südkorea

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 3 Min.

Dann stand er auch noch in Kiew: Man sei an der Seite der Ukraine, erklärte der japanische Premierminister Fumio Kishida Mitte März nach seiner Ankunft. Das von Russland angegriffene Land und die Demokratie an sich wolle man auch von Ostasien aus verteidigen. Tokio, so ließ Kishida damit ebenso unmissverständlich wissen, sieht sich als Antagonist von China, denn während der Japaner Kishida in Kiew weilte, war der chinesische Präsident Xi Jinping in Russland, um sich dort mit Wladimir Putin auszutauschen. Die Schulterschlüsse zwischen den Regierungen Russlands und Chinas sorgen in Japan für große Nervosität. So sehr, dass Japans konservativer Premier nun in alle möglichen Richtungen die Hand ausstreckt.

Nach Kiew war Kishida, der bis dahin als einziger G7-Regierungschef noch keinen solchen Solidaritätsbesuch abgestattet hatte, aus Neu-Delhi angereist. In der indischen Hauptstadt wiederum, wo man den chinesischen Expansionskurs ebenso unruhig beobachtet, vereinbarte Kishida verstärkte militärische und ökonomische Zusammenarbeit.

Auch zu anderen großen demokratischen Volkswirtschaften sucht Fumio Kishida derzeit besondere Nähe. So war am Tag vor Kishidas Indienreise Deutschlands Kanzler Olaf Scholz mit sechs Regierungsmitgliedern zu Gast in Tokio. Man gelobte, nicht nur bei Lieferkettenresilienz und strategischen Gütern wie Seltenen Erden und Mikrochips enger zu kooperieren, sondern auch militärisch zusammenzurücken: Nachdem Japan im Januar schon mit Indien gemeinsame Militärübungen durchführte, könnten im kommenden Jahr Manöver mit Deutschland folgen.

Allerdings offenbart sich die gesteigerte Nervosität in Japan durch kein Gipfeltreffen so deutlich wie jenes mit Yoon Suk Yeol, dem Präsidenten von Südkorea. Die zwei ostasiatischen Staaten verbindet eine Hassliebe: Popkulturell und touristisch ist der Austausch enorm, aber die Kriegsvergangenheit hat die Beziehungen immer wieder verschlechtert. Japan kolonisierte Südkorea ab 1910 und missbrauchte Hunderttausende Menschen dort als Sexsklavinnen und Zwangsarbeiter.

Seit 2018, als Japan Entschädigungsforderungen eines koreanischen Gerichts nicht anerkennen wollte, sind die Beziehungen besonders schlecht gewesen. Zu Handelssanktionen kam die Aussetzung sicherheitspolitischer Zusammenarbeit. Nun aber, inmitten geopolitischer Spannungen wie wiederholten Raketentests des mit China befreundeten Nordkorea, bewegen sich die beiden Staaten aufeinander zu. Kürzlich erklärten Yoon und Kishida in Tokio, sie wollten die Geschichte schnellstmöglich Vergangenheit sein lassen und nach vorne blicken.

Fortan sollen handels- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit wieder aufblühen, heißt es. Und auch wenn die Kolonialvergangenheit noch nicht vergessen sei, konkrete Beschlüsse noch ausstünden, ereigne sich gerade Bedeutendes, sagte Hideki Okuzono, Politikprofessor der Universität Shizuoka: »Schon der Fakt, dass Präsident Yoon Japan besucht hat und sich die zwei Länder bilateral getroffen haben anstatt am Rande eines internationalen Forums, sollte als mögliche Wende gesehen werden.«

Ein Fonds aus freiwilligen Zuwendungen soll Entschädigungen für südkoreanische Überlebender ermöglichen – was in Südkorea umstritten ist, da es kaum wie ein Schuldeingeständnis von japanischer Seite aussieht. »Yoon scheint hier viel politisches Kapital einzusetzen«, sagte Park Won Gon, Politikprofessor an der Ewha Woman’s University in Seoul, gegenüber der Nachrichtenagentur Yonhap. Aber der internationale Druck sei groß.

Denn auch die USA, die eng verbündet sind mit beiden Staaten und dort Militärbasen unterhalten, drängen seit Jahren auf bessere Beziehungen zwischen Japan und Südkorea. Größter Gewinner einer Annäherung könnte aber Fumio Kishida sein: Als Angehöriger der japanischen Konservativen will er sein Land langfristig als Hegemon in Asien etablieren, wozu er gegenüber China die Kooperation gleichgesinnter Staaten braucht. Wenn Japan im Mai den G7-Gipfel in Hiroshima ausrichtet, begrüßt Gastgeber Fumio Kishida daher nicht nur die regulären Mitglieder, sondern auch Südkorea und Indien.

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