Taiwans Präsidentin in den USA: Der Ukraine-Vergleich

Was Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen mit ihrem US-Besuch bezweckt

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Das inoffizielle Treffen zwischen Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen und dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy am Mittwoch in der Ronald-Reagan-Bibliothek nahe Los Angeles war brenzlig. Tsai befand sich zwar »nur« auf einer inoffiziellen Transitreise durch die USA, dennoch gilt: Seit 30 Jahren hat sich kein so hochrangiger US-Politiker mit einem taiwanischen Präsidenten auf US-Boden getroffen. Laut dem »Wall Street Journal« wollte McCarthy ursprünglich, wie seine Vorgängerin Nancy Pelosi, nach Taipeh reisen, doch Tsai wollte lieber einen Gegenbesuch abstatten. Als resoluter Gegner des Treffens begann China unmittelbar nach der Zusammenkunft, taiwanesische Schiffe in der Taiwanstraße durch die Küstenwache zu kontrollieren. Damit antwortete China zunächst einmal nur mit einer sogenannten »Grauzone Taktik« anstatt mit aufwändigen Militärübungen.

Tsais Ziel ist vor allem, in der amerikanischen öffentlichen Meinung die Vorstellung zu festigen, dass Taiwan ein souveränes Land ist. Die 66-jährige Rechtswissenschaftlerin hat sich in der Vergangenheit mit Angela Merkel verglichen. Aber auch das ukrainische Beispiel im Kampf um die Köpfe und Herzen der Weltgemeinschaft gilt als Vorbild für die taiwanesische Regierung.

Taiwan »kämpft wie die Ukraine für die Demokratie«, soll Tsai Ing-wen laut der US-Militärzeitung »Stars and Stripes« in New York bei einer Preisverleihung des konservativen Hudson-Instituts behauptet haben. Taiwan wie die Ukraine habe es lange ausgehalten, »neben einem autoritären Nachbarn zu leben«, soll Tsai weiter gesagt haben, bevor sie zu ihrer offiziellen Reise nach Guatemala und Belize aufbrach. Ein kleines, ebenfalls nicht-öffentliches Treffen mit drei US-Senatoren – zwei Republikanern und einem Demokraten – fand letzte Woche im Hotel »Lotte New York Palace« statt. Alle drei Senatoren sind Kriegsveteranen und Mitglieder des mächtigen Senats-Verteidigungsausschusses. Es wurden neue Waffenlieferungen, neue Handelsabkommen und ein neues Steuerabkommen zwischen Washington und Taipeh besprochen. Noch während der Ballon-Krise im Januar wirkte die taiwanische Regierung fast abgeklärt, weniger erschrocken als die US-Amerikaner. Doch jetzt wird Tsai, deren Partei nächstes Jahr eine schwierige Wahl bevorsteht, deutlich in ihren Werbungsversuchen.

Gleichzeitig unternimmt Tsais Amtsvorgänger Ma Ying-jeou eine zwölftägige Reise durch China, als erster ehemaliger taiwanischer Präsident. Ma vertrat im Vorfeld die Ansicht, dass letztlich alle Menschen auf beiden Seiten der kaum 200 Kilometer breiten Meeresenge chinesisch seien. Tsai dagegen lehnt diese Position ab: Als Xi Jinping im Januar 2019 für eine »Ein Land, zwei Systeme«-Lösung geworben hatte, widersprach Tsai innerhalb von Stunden auf weltweiten Medienkanälen. Ihre Behauptung der nationalstaatlichen Identität Taiwans galt als ihr erster Propaganda-Coup.

Rüstungsexporte geraten ins Stocken

Der US-Generalstabschef Mark A. Milley warnt indes vor erhitzter Rhetorik: »Wir sind nicht an der Schwelle eines Krieges mit China«, sagte er der Zeitschrift des Washingtoner Sicherheits-Establishments, »Defense One«. Jedoch will Milley so bald wie möglich Taiwan mit modernsten Waffen ausstatten. Das passt zur »Stachelschwein«-These: Demnach soll Taiwan schnell in den Besitz möglichst vieler Stingers, Javelins und Antischiffsraketen kommen, um China abzuschrecken.

Ausgerechnet hierbei ist der Ukraine-Krieg ein großes Hindernis: Rüstungsexporte an Taiwan im Wert von fast 20 Milliarden Dollar, die teilweise bereits 2019 beschlossen wurden, sind bislang nicht geliefert worden, weil die Ukraine die Waffen dringender beansprucht. Die Generalität unter Milley argumentiert, dass Taiwan im Vorfeld eines Konfliktes beliefert werden müsse, denn eine chinesische Seeblockade würde Taiwan effektiv isolieren.

Manches wirkt wie ein Theaterstück, in dem Tsai Ing-wen in die Rolle Zelinskys schlüpft, und Milley und McCarthy sich selbst spielen. Vor allem jedoch ist der Gegner auf dieser Bühne anders: 40 Jahre hat China keinen Krieg gegen ein anderes Land mehr geführt; doch beobachtet Peking alle Konflikte sehr genau. Die »New York Times« hat rund 100 Forschungspapiere analysiert, die seit Beginn des Ukraine-Krieges in China erschienen sind. Besonders interessieren sich chinesische Wissenschaftler demnach für die Wirkung bestimmter Waffen: russische Hyperschall-Raketen, die effektive ukrainische Verwendung von niedrig fliegenden Satelliten von Starlink und die in ihren Augen effektive atomare Abschreckung Russlands gegenüber weiteren Interventionen aus dem Westen – in einem bisher konventionellen Krieg.

Die Rolle des protokollarisch dritten Mann im Staate, Kevin McCarthy, hat sich im neuen Drama weiter entwickelt: Für den Ukraine-Krieg weigerte sich McCarthy, US-Präsident Joe Biden außenpolitisch bedingungslos zu folgen. Er rief nach dem Ende des »Blankoschecks« für Kiew. Mit der Einladung von Tsai in die Bibliothek von Ronald Reagan signalisiert der ehrgeizige kalifornische Politiker, dass er im Einvernehmen mit den republikanischen Populisten die Rivalität mit China sehr ernst nimmt – wie die gesamte politische Elite des Landes. Alle Akteure vertreten im Grunde die Position: Wer den Frieden will, der bereite sich auf den Krieg vor. Man gibt sich besonnen, will aber vorbereitet sein. Im Hintergrund lauert ein Krieg, den offiziell niemand will.

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