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Juventus Turin: Ein schöner Tag für die Alte Dame

Juve gewinnt zwei Kämpfe zugleich. Die wiedererstarkten italienischen Fußballklubs müssen aber noch vor Gerichten gewinnen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Bei Juventus und Adrien Rabot läuft es derzeit besser als erwartet: Gegen Lissabon schafften die Turiner den Einzug ins Halbfinale der Europa League, in der Liga rückten sie auf Platz drei vor.
Bei Juventus und Adrien Rabot läuft es derzeit besser als erwartet: Gegen Lissabon schafften die Turiner den Einzug ins Halbfinale der Europa League, in der Liga rückten sie auf Platz drei vor.

Dieser Donnerstag wird in die bislang 126-jährige Geschichte von Juventus Turin eingehen: Binnen weniger Stunden gewann der Klub in der italienischen Meisterschaft 15 Punkte zurück und kletterte damit in der Tabelle wieder fünf Plätze nach oben auf Platz drei. Ausgestanden ist die Gefahr von erneuten Disziplinarstrafen aber nicht. Und das juristische Gerangel droht den Kampf in der Serie A um die Champions League-Plätze komplett zu verwirren – ausgerechnet in einer Zeit, in der Italiens Klubfußball in Europa eine Macht darstellt. Dazu zählt auch Juve: Am Donnerstagabend erreichten Turins Fußballer gegen Sporting Lissabon das Halbfinale der Europa League.

Für den einen Erfolg war Juves juristisches Team zuständig. Das Collegio di Garanzia, die höchste Instanz der italienischen Sportjustiz, sprach Juventus wieder die 15 Punkte zu, die dem Klub im Januar vom Sportgericht des Fußballverbandes FIGC abgezogen worden waren. Auslöser waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Turin, die aufgeblähte Spielerbewertungen bei Transfergeschäften von Juventus aufgedeckt hatten. So wurde die Einnahmeseite geschönt.

»Es liegen neue Beweise vor, dass das Verhalten von Juventus die Meisterschaft in mehreren Spielzeiten verfälscht hat. Der Klub hatte große finanzielle Verluste. Aber statt sie aus eigener Tasche auszugleichen, wurden fiktive Wertsteigerungen verbucht, die es erlaubten, echtes Geld auf den Transfermarkt zu bringen und Spieler einzukaufen«, begründete der Ankläger Giuseppe Chinè damals seine Forderung nach Punktabzug. Klubs, die die Verluste nicht derart schönten und ihre wertvollsten Spieler zum Ausgleich der Bilanzen verkauften, hätten dadurch einen Nachteil erlitten, argumentierte Chinè. Er verlangte übrigens nur neun Punkte Abzug, das Gericht erhöhte von sich aus auf 15. Juventus legte dagegen Berufung ein – und konnte zumindest einen Teilerfolg erzielen. Über die Anzahl der abgezogenen Punkte muss neu verhandelt werden, urteilte das Berufungsgericht des CONI, des Nationalen Olympischen Komitees Italiens. Es verwies das Verfahren zurück an die Schiedsstelle des Fußballverbands.

In der Sache immerhin gaben die Olympischen Richter ihren Kollegen von der Fußballjustiz recht. »Das Vorgehen beim Verband war korrekt. Nur die Höhe der Strafe muss neu bewertet werden«, sagte Ugo Taucer, Untersuchungsrichter beim Coni. Das betrifft den Punktabzug des Klubs, aber auch Sperren für manche der mitangeklagten Manager. Bestätigt hingegen wurden die Sperren für die wichtigsten vier Angeklagten: Ex-Präsident Andrea Agnelli, die früheren Sportdirektoren Fabio Paratici und Federico Cherubini sowie den einstigen Geschäftsführer Maurizio Arrivabene.

Paratici ist inzwischen beim FC Tottenham in der Premier League. Weil das Urteil gegen ihn nun letztinstanzlich bestätigt wurde, nahm er auch dort seinen Hut. Das deutet daraufhin, dass auch Juventus nicht ganz ungerupft aus dem Verfahren hervorgehen dürfte. Realistisch ist, dass die ursprünglich geforderten neun Punkte Abzug verhängt werden.

30 Tage hat das Gericht jetzt Zeit für die Urteilsbegründung. Erst danach kann ein Termin für das neue Verfahren bestimmt werden. Damit droht ein Horrorszenario für die Serie A: Bis zum Ende der Meisterschaft könnte unklar sein, wer sich nun für die Champions League qualifiziert und wer nicht. Ein Verschieben des Punktabzugs in die neue Saison ist ebenfalls möglich.

Im Lager von Juventus feierte man die Entscheidung allerdings wie einen Erfolg. »Es ist ein schöner Tag für uns«, lachte Trainer Massimiliano Allegri in die Kameras. Er bezog sich dabei sowohl auf die juristische Partie als auch das 1:1 gegen Sporting Lissabon, das seinem Klub den Weg ins Halbfinale der Europa League ebnete. »Für uns waren das immer 59 Punkte, also die, die wir auf dem Platz geholt haben«, legte er forsch nach. Weniger forsch war er in der Bewertung der Leistung gegen Lissabon. »Wir haben Glück gehabt in der Schlussphase, als der Gegner noch zu Chancen kam«, kommentierte er den Spielverlauf. Im Halbfinale wartet der FC Sevilla – »ein schwerer Gegner«, wie Allegri zu Recht befand.

Denn sportlich steckt das Team in der Krise. Es ist keine Spielidee vorhanden. Juventus ist auf Einzelaktionen von Argentiniens Weltmeister Angel di Maria oder Frankreichs Ex-Weltmeister Adrien Rabiot angewiesen. Zuletzt gab es zwei Niederlagen in der Meisterschaft. Das führte dazu, dass selbst die provisorisch wieder zuerkannten 15 Punkte nur zum Sprung vom achten Tabellenplatz auf den dritten reichten. Bereits 16 Zähler beträgt der Rückstand zu Tabellenführer Neapel. Um den Titel geht es also kaum noch in dieser Saison. Auf eine Schenkung weiterer Zähler kann der Klub weiß Gott nicht hoffen. Es kann sogar noch Ärger kommen. Zum einen hat sich im Verfahren um die gefälschten Bilanzen die Vereinigung Napoli Maradona als Nebenkläger akkreditieren lassen. Sie fordert, dass Juventus der Meistertitel des Jahres 2019 aberkannt werde. Der SSC Neapel wurde damals Zweiter. Das ist allerdings eher ein Coup für die Galerie.

Bedrohlicher für die Alte Dame ist, dass der Fußballverband FIGC gerade die Vorermittlungen zu einem neuen Verfahren abgeschlossen hat. Hier geht es um falsche Angaben von Spielergehältern in den Bilanzen. Mit diesem Mittel wurde die Ausgabeseite künstlich reduziert. Auch hier stammen die Beweise aus dem Verfahren der Strafjustiz, dem sich Juventus ebenfalls gegenübersieht. Dort drohen der ehemaligen Führungsriege um Industriellenspross Agnelli sogar Gefängnisstrafen.

Das neue Verfahren um die Gehälter von Fußballprofis könnte nun das alte um die manipulierten Bewertungen der Spieler bei Transfers überlagern. Juventus muss auch hier mit Punktabzug rechnen. Ob beide Verfahren vor dem Ende der Saison abgeschlossen werden können, ist fraglich.

Im Kampf um die Champions League-Plätze in der kommenden Saison herrscht große Verunsicherung. Das einzig Gute für die italienischen Klubs ist, dass vier von ihnen aktuell noch die Chance haben, sich über die europäischen Wettbewerbe für die Gruppenphase der Champions League zu qualifizieren. Juventus und der AS Rom stehen im Halbfinale der Europa League – die Roma trifft da auf Bayer Leverkusen. Die beiden Mailänder Klubs AC und Inter ermitteln gar in einem Derby den einen Finalisten der Champions League, der es dann mit Real Madrid oder Manchester City zu tun bekommt.

Italiens Fußball ist gerade in Europa eine Macht. Zu Hause brennt die Hütte aber gewaltig. Denn auch gegen andere Vereine laufen Ermittlungen wegen überzogener Spielerbewertungen, vor allem im Transfergeschäft mit Juventus. Betroffen sind hier die Serie-A-Vereine FC Bologna, Sampdoria Genua, Udinese Calcio, Atalanta Bergamo und Sassuolo Calcio sowie Zweitligist Cagliari Calcio. Die Verfahren gegen sie sollen in der nächsten Saison geführt werden.

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