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Streik in Gräfenhausen: Lkw-Fahrer mit Sieg
Arbeitskampf georgischer und usbekischer Lkw-Fahrer bei Darmstadt endet mit einem Sieg
Nach mehr als fünf Wochen Arbeitskampf auf einer Autobahnraststätte bei Darmstadt haben knapp 60 Lkw-Fahrer auf ganzer Linie gewonnen. Der polnische Fuhrunternehmer Lukasz Mazur, für dessen Firmengruppe Agmaz, Lukmaz und Imperia die Männer aus Georgien und Usbekistan in der EU unterwegs waren, hat schriftlich zugesichert, alle noch ausstehenden Zahlungen anzuweisen und auf rechtliche Schritte zu verzichten. Eine Anzeige wegen mutmaßlicher Unterschlagung von 39 Lkw, die der Anwalt von Mazur laut der Darmstädter Staatsanwaltschaft gestellt hatte, wird also fallengelassen.
Einen entsprechenden Vertrag haben Mazur und die Streikenden am Mittwoch unterzeichnet. »Sieg in Gräfenhausen: Diese Fahrer wurden von der Firma wie Tiere und leichte Beute behandelt – aber sie haben sich wie ein Löwenrudel gewehrt und gewonnen«, kommentierte der von den Fahrern gewählte Verhandlungsführer Edwin Atema von der niederländischen Gewerkschaft FNV auf dem Kurznachrichtendienst Twitter diesen Erfolg.
Zuvor hatte es am späten Mittwochnachmittag vor den geparkten blauen Lkw auf der Raststätte eine Pressekonferenz gegeben. Danach wurde ausgelassen gefeiert. Aufgelöst ist die Versammlung aber noch nicht. Die Fahrzeuge sollen erst dann bewegt werden, wenn die Zahlungen auch wirklich auf den Konten der Fahrer eingetroffen sind.
Das Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« des DGB, das die Männer unterstützt, rechnete damit, dass dies zeitnah geschehen wird. Am Donnerstagmittag warteten die Fahrer laut »Faire Mobilität« noch. Nach Beendigung des Ausstandes würden viele von ihnen erst einmal nach Hause wollen und sich dann neue Jobs suchen: Für Mazur werden sie nicht mehr arbeiten.
Die Trucker waren am 20. März in den Streik getreten und hatten die Fahrzeuge, in denen sie teils seit Monaten ununterbrochen lebten, auf der Raststätte Gräfenhausen West an der Autobahn A 5 festgesetzt, weil sie wochenlang nicht mehr bezahlt worden waren. Insgesamt schuldete Mazur den Arbeitern etwa 300 000 Euro. Nachdem der Firmenchef am Karfreitag erfolglos mit Hilfe der paramilitärischen Schlägertruppe »Rutkowski Patrol« aus Polen versucht hatte, mit Gewalt in den Besitz der Trucks zu gelangen, war Mitte April bereits Bewegung in die Sache gekommen: Mazur hatte insgesamt eine Summe von knapp 200 000 Euro auf die Konten der Fahrer überwiesen. Die hatten allerdings berechnet, dass weitere 97 000 fehlten. Zunächst kündigte Mazur vergangene Woche an, keine weiteren Zahlungen zu veranlassen. Die Fahrer aber blieben bei dem, was sie stets betont hatten: Der Streik wird fortgesetzt, bis alle alles bekommen haben, was ihnen zusteht. Das hat sich nun ausgezahlt.
Letztlich war dafür auch der Druck eines jener Kunden mitverantwortlich, dessen Fracht einer der bestreikten Lkw geladen hatte. Der US-Mischkonzern General Electric benötigt offenbar ein besonderes Bauteil für eine Fabrik in der Schweiz, das seit nunmehr vielen Wochen auf einer der Ladeflächen in Gräfenhausen liegt. In der zurückliegenden Woche hatte sich gegenüber der Autobahnpolizei Südhessen die Spedition LOG gemeldet und angekündigt, diese wertvolle Fracht abholen zu wollen. Das ist allerdings nicht so ohne Weiteres möglich: Die vier noch beladenen Lkw sind eingekeilt von Dutzenden leeren Fahrzeugen und damit nicht zugänglich für eine Umladeaktion. Der Druck seitens General Electric und der anderen beteiligten Firmen der Lieferkette auf Mazur ist anscheinend zuletzt so groß gewesen, dass er den Forderungen der Fahrer nachgegeben hat, damit diese wiederum die Fracht freigeben.
Edwin Atema kritisierte am Mittwochnachmittag die Kunden Mazurs: Die Streikenden hatten sich schon zu Ostern mit einer Petition an diese gewandt und um Hilfe gebeten. Der entscheidende Druck aber sei erst ausgeübt worden, als General Electric dringend an die Ladung wollte und nicht, als Mazur die Fahrer nicht mehr bezahlte.
Zwei andere Kunden des Fuhrunternehmers – die Speditionen Lkw Walter und Sennder – hatten schon nach den Ereignissen am Karfreitag angekündigt, die Zusammenarbeit mit Mazur beenden zu wollen. Konzerne wie Ikea und Deutsche Post DHL behaupteten dagegen, sie könnten eine Zusammenarbeit mit dem polnischen Spediteur nicht bestätigen, obgleich Frachtbriefe der Fahrer das belegen. Durch das unübersichtliche Sub-Sub-Unternehmersystem im europäischen Straßentransport versuchen große westeuropäische Konzerne immer wieder, sich aus der Verantwortung für die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette zu stehlen.
Der großen Freude über den Sieg in Gräfenhausen tut das keinen Abbruch. Verhandlungsführer Atema betonte die Bedeutung dieses Erfolges für die Branche. Die Fahrer hätten »Deutschland und Europa aufgezeigt, was in der Branche vor sich geht«, sagte er am Mittwochnachmittag. »Menschen wie sie verändern die Branche.«
Stefan Körzell vom Bundesvorstand des DGB war mehrmals vor Ort, um die Fahrer zu unterstützen. Er forderte Konsequenzen. Die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, auf die die Fahrer mit ihrem Streik auch über die Grenzen Deutschlands hinaus aufmerksam gemacht haben, seien »leider keine Einzelfälle, sondern die Regel in der europäischen Logistikbranche«, sagte Körzell. Agmaz, Lukmaz und Imperia gehöre dauerhaft die Transportlizenz entzogen. Das Unternehmen mit Sitz nahe Krakau hat eine Flotte von mehr als 1000 Lkw.
Darüber hinaus verlangte der Gewerkschaftsfunktionär »schnellstens verstärkte und schärfere Kontrollen durch die zuständigen Behörden, um Mindestlohnansprüche über Ländergrenzen hinweg durchzusetzen, mehr Transparenz in den Lieferketten – und dafür elektronische Frachtpapiere, um die Logistikketten nachverfolgen zu können«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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