Klimawandel und Artenschwund: Verzahnte Krisen

Klimawandel und Artenschutz müssen gemeinsam angegangen werden, mahnt ein Wissenschaftsteam um den renommierten Klimaforscher Hans-Otto Pörtner

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 8 Min.
Gut erhaltene Savannen wie die Serengeti können so viel Kohlenstoff speichern wie tropische Regenwälder und sind zudem ein wichtiger Lebensraum großer Tierarten.
Gut erhaltene Savannen wie die Serengeti können so viel Kohlenstoff speichern wie tropische Regenwälder und sind zudem ein wichtiger Lebensraum großer Tierarten.

Die Menschheit ist derzeit gleich mit zwei existenziellen Krisen konfrontiert: dem menschengemachten Klimawandel, der schon heute vielerorts zu Dürren und Hungersnöten, schweren Überschwemmungen und Wirbelstürmen führt, und dem massiven Artenschwund, der zunehmend ganze Ökosysteme mit ihren wichtigen Funktionen zu destabilisieren droht.

Diese beiden Krisen werden oftmals immer noch getrennt voneinander betrachtet, dabei bedingen sie sich gegenseitig: Neben Lebensraumzerstörung und invasiven Arten stellt die globale Erderwärmung einen wesentlichen Treiber des sechsten großen Artensterbens der Erdgeschichte dar. Indem Savannen und tropische Wälder degradiert oder in Ackerflächen verwandelt, Moore trockengelegt oder boreale Wälder abgeholzt werden, verringert sich nicht nur eklatant ihre Artenvielfalt, sondern verschwinden auch wichtige Kohlenstoffsenken, sodass sich das Klima in der Folge noch stärker aufheizt.

Hans-Otto Pörtner, Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats (IPCC), und sein internationales Team beleuchten diese Zusammenhänge in einer kürzlich im Fachjournal »Science« erschienenen Überblickstudie und fordern ein radikales Umdenken. Oberste Priorität habe dabei die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Des Weiteren empfehlen sie, mindestens 30 Prozent aller Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz zu stellen oder zu renaturieren. So ließen sich die gröbsten Artenverluste abwenden und die Funktionen der natürlichen Ökosysteme erhalten. Auf das Ziel, 30 Prozent Schutzgebiete bis zum Jahr 2030 an Land und im Meer einzurichten, haben sich die Staaten erst im Dezember 2022 auf der Weltnaturkonferenz in Montreal geeinigt.

Renaturierung bindet Kohlenstoff und verhindert Aussterben

Schon wenn 15 Prozent aller menschlichen Nutzflächen weltweit wieder weitgehend in natürliche Lebensräume zurückverwandelt würden, so das Forschungsteam um Pörtner, reiche das aus, um 60 Prozent der erwarteten Aussterbeereignisse zu verhindern. Gleichzeitig könnten auf diese Weise bis zu 300 Gigatonnen Kohlendioxid dauerhaft der Atmosphäre entzogen werden. Dies kann nur ein Teil der Lösung der Klimakrise sein, denn die menschlichen Emissionen übertreffen diese Menge bei Weitem. Seit Beginn der Industrialisierung wurden etwa 2500 Gigatonnen CO2 ausgestoßen. Dennoch ist diese Maßnahme von großer Bedeutung, da sie zu einer langfristigen Klimastabilisierung beiträgt.

Zentral ist bei der Schaffung von Schutzgebieten, sie, anders als es heute noch Praxis ist, miteinander zu verbinden, um die Migration von Tieren und einen Austausch mit anderen Populationen zu ermöglichen.

Das so entstehende Netz schließt nicht nur reine Naturschutzgebiete ein, sondern auch von Mensch und Natur gemeinsam genutzte Lebensräume. Aber selbst durch Menschen dominierte Räume – wie Städte – können vielerlei Arten beherbergen. Die Expert*innen fordern ferner die oft isoliert agierenden politischen Organisationen dazu auf, künftig stärker fachübergreifend zusammenzuarbeiten. »Es gilt hier, Brücken zu bauen und gesellschaftliche Bedürfnisse und Natur- und Klimaschutz aufeinander abzustimmen«, erklärt Pörtner.

Die Studie basiert auf einem virtuellen Workshop des IPCC und des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) im Dezember 2020, an dem 62 Forscher*innen aus 35 Ländern teilnahmen. Die Studie aktualisiert einzelne Aspekte des damals entstandenen und im Juni 2021 veröffentlichten 300-Seiten-Berichts und synthetisiert knapp 170 wissenschaftliche Publikationen der letzten Jahre zum Zusammenhang von Klimawandel und Biodiversitätsverlust.

Drei Viertel der Landoberfläche von Menschen verändert

Dabei liefert sie eindrückliche Zahlen: Durch die intensive Nutzung und Zerstörung natürlicher Ökosysteme – etwa durch Landwirtschaft, Fischerei und Industrie – habe der Mensch rund drei Viertel der Landoberfläche und zwei Drittel der Meeresökosysteme so stark verändert, dass mehr Arten vom Aussterben bedroht seien als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Rund 80 Prozent der Biomasse natürlich vorkommender Säugetiere und 50 Prozent der Pflanzenbiomasse sind durch menschliche Aktivitäten bereits verschwunden.

»Das Neue der Studie – das ist ja schon im Workshopbericht angeklungen – ist die ganzheitliche Sicht, die Verbindung der Interessen für Klimaschutz, Naturschutz, für nachhaltige Nutzung durch die Menschen«, sagt Pörtner. Es gelte zu verhindern, dass Gesellschaften, die nachhaltig wirtschafteten, sich auf die »Konsumspur der westlichen Gesellschaften« begäben. Vielmehr müssten indigene Völker, die im stärkeren Einklang mit der Natur lebten, unterstützt und mit ihrem Wissen in einen globalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozess eingebunden werden.

Nach Einschätzung des renommierten Klimaforschers braucht es dringend eine Revision der Raumplanung. Das stellt insbesondere ein so dicht besiedeltes Land wie Deutschland vor große Herausforderungen. So müssten wir ändern, wie wir wirtschaften, uns bewegen, welche Energie wir konsumieren und wie wir uns ernähren. »Über 80 Prozent der Kulturflächen werden weltweit für die Produktion von Tierfutter genutzt«, erinnert Pörtner. So stecken in einem Kilo Rindfleisch etwa zehn Kilogramm verfütterter Pflanzenbiomasse. Wichtig sei es, nicht nur weniger Fleisch zu konsumieren, sondern auch eine nachhaltige Beweidung möglichst auf Flächen zu beschränken, die nicht für den Ackerbau taugen.

Besonders hoch sind, laut der Studie, die Synergien für Klima- und Artenschutz bei dem Erhalt oder der Regeneration von natürlichem Grasland und Savannen. Pörtner und Kolleg*innen stützen sich dabei auf eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit des chinesischen Wissenschaftlers Yonfei Bai. Danach speichern diese Ökosysteme ein Drittel allen Kohlenstoffs an Land. Ergebnisse einer Forscher*innengruppe um Andy Dobson von der US-amerikanischen Princeton University, veröffentlicht Anfang 2022 in »Science«, belegen, dass die Serengeti und andere Savannen, wenn sie richtig gemanagt werden, so viel Kohlenstoff aufnehmen können wie tropische Regenwälder. Der zerstörerischen Nutzung von natürlichem Grasland müsse deshalb dringend ein Ende bereitet werden, fordert Pörtner. Auch aus Artenschutzgründen, denn eine nachhaltige Bewirtschaftung oder Wiederherstellung dieser Ökosysteme erhält die dort lebende Megafauna – also große Tierarten – und erhöht die Vielfalt an Gräsern und an Bodenorganismen. Boreale Wälder spielen ebenfalls eine oftmals unterschätzte Rolle im Klimaschutz.

Agroforstsysteme bieten Potenzial für die Landwirtschaft und für den Artenschutz

Großes Potenzial für Klima- und Artenschutz bietet die ökologische Landwirtschaft. Mittels Humusaufbau lässt sich Kohlenstoff im Boden speichern und das dortige Leben sowie die Bodenfruchtbarkeit fördern. Auch Agroforstsysteme stellen einen vielversprechenden Ansatz dar. Pörtner und Kolleg*innen nehmen dabei in ihrer Studie Bezug auf Forschungsergebnisse von Annemarie Wurz und Team.

In einem Artikel im Fachjournal »Nature Communications« aus dem Jahre 2022 verglich Wurz in Madagaskar die Erträge des Anbaus von Vanille auf Waldflächen mit denen auf Brachen, die im Rahmen von Wanderfeldbau entstehen und auf denen nach Brandrodung sonst meist Reis kultiviert wird. Dabei war die Ernte auf Plantagen auf Brachland genauso hoch wie die von Plantagen, die im Wald angelegt wurden. »Das heißt, Landwirte müssen nicht roden, um hohe Erträge zu erzielen, sondern können das Brachland für den Anbau von Vanille nutzen«, resümiert Wurz.

Ferner zeigte sich, dass die Waldflächen zwar eine deutlich höhere Artenvielfalt aufwiesen als die Brachen, doch mit dem dortigen Vanilleanbau sank die Zahl nur dort vorkommender Arten um fast die Hälfte, da die Bäuer*innen dafür Bäume roden und Unterholz lichten müssen. Anders im Fall der Brachen, auf denen die Biodiversität stieg, als sie Bäume als Stützpflanzen für die Vanille, die zu den Orchideen zählt, pflanzten. Werden Vanille-Agroforstsysteme also auf bereits bestehenden Brachen angelegt, kann die Artenvielfalt davon profitieren. »In Vanille-Agroforstsystemen hat die Vegetation und die damit verbundene biologische Vielfalt die Möglichkeit, sich langfristig zu regenerieren. Zudem können die Baumstrukturen die wenigen verbleibenden Waldfragmente in der Agrarlandschaft ergänzen und verbinden«, sagt Wurz. Die Vanillepflanzen brauchen drei Jahre bis zur ersten Ernte. Danach bleiben die Pflanzungen meist bestehen, denn ihre Rentabilität ist hoch. Je nach Preislage können Bäuer*innen bis zu 250 Euro pro Kilo Vanille erzielen.

Auch in Deutschland bieten Agroforstsysteme großes Potenzial. Vor allem für die großen Agrarflächen in Brandenburg werden sie verstärkt diskutiert. »Die Effekte sind oft schnell zu sehen«, erklärt Rüdiger Graß von der Uni Kassel. »Damit verringert sich die Windgeschwindigkeit und die Verdunstung, es verbessert sich der Wasserhaushalt und es werden Nützlinge gefördert.« Dazu zählen Laufkäfer, Regenwürmer oder Wildbienen. Bäume und Gehölze bieten der Erosion Einhalt und spenden, in Kombination mit Weidehaltung, den Tieren Schatten. So gibt es bereits positive Erfahrungen aus Mittelhessen, wo Streuobstwiesen, Hecken oder Baumreihen an Feldrändern traditionell recht häufig vorkommen.

Eine Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen durch Photovoltaik und Beweidung oder Anbau von Feldfrüchten mindert nicht nur den Flächendruck, sondern eine Beweidung steigert auch die Bindung von Kohlenstoff im Boden. Dass Lebensräume für Bestäuberinsekten geschaffen werden, kann sich zudem positiv auf die Erträge angrenzender Felder auswirken. Positiv bewerten Pörtner und Kolleg*innen auch eine Installation von Photovoltaik auf Stauseen in trockenen Regionen, da sie die Verdunstung reduziert.

Nachhaltige Fischerei und Schutz von Seegraswiesen

Die Entsprechung zum Ökolandbau in den Ozeanen ist die nachhaltige Fischerei. Auch hier befürworten die Autor*innen der neuen Überblicksstudie eine Ausschreibung umfangreicher Schutzgebiete, deren Auswahl sorgfältig überlegt werden müsse. Eine besondere Bedeutung kommt dem Erhalt oder der Ausweitung von Seegraswiesen zu, einem einzigartigen Habitat für viele Arten. An den Fundamenten von Offshore-Windanlagen könne ein interessanter neuer Lebensraum für marine Arten entstehen. Aber auch um die Funktionen der marinen Ökosysteme zu schützen, halten Pörtner und Kolleg*innen eine drastische Reduktion des Treibhausgasausstoßes dringend vonnöten.

Mit ihrer Studie hoffen die Wissenschaftler*innen, vor allem in der Politik das Bewusstsein für die Problematik und den dringenden Handlungsbedarf in Klima- und Artenschutz zu schärfen. »Was in dem Paper dargelegt ist, ist Teil der Transformation, die wir benötigen, und deren Dimension viele noch nicht richtig verstanden haben, auch viele unserer Politiker nicht, die den Menschen möglichst wenig zumuten möchten«, sagt Pörtner.

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