• Berlin
  • Befreiung vom Faschismus

Fahnen mit Hammer und Sichel verboten

Absurde Auflage: Polizei erlaubt am 8. Mai keine sowjetischen Flaggen am sowjetischen Ehrenmal

Schon seit Jahren kommt Marlies Reder in Berlin an jedem 8. Mai zum sowjetischen Ehrenmal in der Schönholzer Heide. Wie immer hat sie auch am Montag einen Strauß Blumen dabei und legt Rosen an die Gräber der Soldaten, die 1945 in der Schlacht um Berlin fielen und ihre Heimat nicht wiedersahen.

Vor dem großen Ehrenmal sind am Morgen Kränze der russischen, belarussischen, kasachischen und armenischen Botschaft aufgestellt. Zusammen mit dem russischen Botschafter Sergei Netschajew schreiten Diplomaten dieser vier ehemaligen Sowjetrepubliken vor diese Kränze hin und legen Blumen nieder. Direkt hinterdrein Stefan Natke, Landesvorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), mit einigen Genossen. Vor dem Eingang zum Ehrenmal schwenkt Natke noch eine sowjetische Truppenfahne. Die muss er dann einrollen und zurücklassen. Denn nach einem Hin und Her zwischen Polizei und Justiz dürfen ausgerechnet sowjetische Fahnen zum Ärger von Natke nicht präsentiert werden, nach der Zeremonie dann aber laut Auskunft der Beamten vor Ort doch noch ukrainische und russische.

Botschafter Netschajews Sprecher Ilja Roschkow trägt ein Georgsband am Revers. Das ist in Deutschland umstritten, gilt es doch wie das Z-Symbol als Zeichen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Als Provokation verstanden, sollte es sogar verboten werden. Doch Roschkow ist im diplomatischen Dienst. Ihm kann keiner was. Und er betont, es sei alles ganz anders. »Dieses Band tragen wir schon seit vielen Jahren. Dieses Jahr tragen wir es zum Jahrestag der Befreiung.« Es sei ein Symbol des Sieges über den Hitlerfaschismus. Am Georgsband befestigt hat der 1989 Geborene ein Abbild des sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park mit dem Datum 9. Mai, an dem in Russland der Sieg gefeiert wird.

Roschkow betont, zum Gedenken in der Schönholzer Heide lade Russland stets auch die Botschaften der anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein. »Wir haben immer auch Vertreter Georgiens und der Ukraine eingeladen. Auch letztes Jahr. Die sind natürlich nicht gekommen.« Den Vorwurf, Russland eigne sich den Ruhm der Befreiung an, weist der Botschaftssprecher zurück. »Wir sagen nie, dass die Russen den Krieg gewonnen haben. Das hat das sowjetische Volk geleistet. Da waren Russen, Ukrainer und Kasachen dabei und viele andere Völker.« Roschkow vergisst die Alliierten USA und Großbritannien nicht, nennt auch Polen und China, das gegen Hitlers Verbündeten Japan kämpfte.

In der Schönholzer Heide und im Treptower Park liegen Russen und Ukrainer Seite an Seite begraben. Auch Kasachen. Das weiß Major Daniyar Zhabishev. »Der Krieg war schrecklich«, sagt der stellvertretende Militärattaché der kasachischen Botschaft. »Das darf sich nie wiederholen.«

Etwa 15 Kilometer entfernt und zwei Stunden später findet Ellen Händler am Ehrenmal im Treptower Park bewegende Worte. »Der völkerrechtswidrige Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, ist eine ganz fürchterliche Sache«, sagt die Vorsitzende des Bundes der Antifaschistinnen und Antifaschisten von Berlin-Treptow. »Waffen nieder, Ende des Krieges, bitte denkt an die Mütter«, fordert sie. Händler weiß, dass der eine oder andere Deutsche aktuell zur einen oder anderen Seite hält, also zu Russland oder zur Ukraine. Doch: »Für uns ist das hier ein Friedhof.« Schließlich sind in Treptow gut 7000 sowjetische Befreier beigesetzt. Händler bittet eindringlich, hier und heute die Würde der Toten zu wahren und keinen Streit anzufangen. »Wir Deutschen haben den Faschismus über die halbe Welt gebracht und der Widerstand hatte nicht die Kraft, den Krieg zu beenden«, bedauert Händler. Dafür, dass am 8. Mai 1945 endlich Frieden in Europa geherrscht habe, hätten die Alliierten sorgen müssen. Deshalb solle hier Danke gesagt werden. Sbassiba, das russische Wort dafür, hat ein Mann auf ein Pappschild geschrieben.

Auf Portugiesisch sagt Anita Prestes Danke. Sie wurde 1936 im Berliner Gefängnis Niederbarnimstraße als Tochter der deutschen Widerstandskämpferin Olga Benario und des brasilianischen Revolutionärs Luiz Carlos Prestes geboren. Jetzt ist Anita Prestes aus Brasilien zu Gast. Im Treptower Park klatscht sie für die sowjetische Armee, die gegen den Faschismus kämpfte. »Das ist ein Datum, das nicht vergessen werden sollte«, sagt sie. »Gegen die Barbarei des Faschismus muss jeden Tag gekämpft werden.« Später spricht in Treptow der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Linke) und seine Parteivorsitzende Janine Wissler legt einen Kranz nieder.

Der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gedenkt stattdessen an der Neuen Wache den Opfern des Zweiten Weltkriegs – gemeinsam mit dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev. »Dieser Tag steht für die Befreiung von der menschenverachtenden nationalsozialistischen Diktatur und das Ende des verbrecherischen, von Deutschland entfesselten Angriffskriegs in Europa«, bemerkt Wegner. »Heute, 78 Jahre später, tobt wieder ein brutaler Krieg mitten in Europa.« Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine habe die europäische Friedensordnung ins Mark erschüttert. »Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen«, meint Wegner. Und verspricht: »Berlin steht fest an der Seite der Ukraine.« Derweil wird im Treptower Park eine ukrainische Fahne aufgespannt – von jungen Russen der oppositionellen Gruppe »Demokrati-ja«. Was sie verbindet, erläutert Kirill Tsimkarzhenskii: »Wir sind gegen den Krieg!« Der 21-Jährige flüchtete im Oktober 2022 nach Deutschland, um nicht zum Militär eingezogen zu werden und gegen die Ukraine kämpfen zu müssen. Wie es die Propaganda in seiner Heimat fertigbrachte, die früher immer als slawische Brüder bezeichneten Ukrainer plötzlich als Feinde hinzustellen, versteht er nicht. »Der russische Staat ist für den Krieg, die russischen Menschen sind es nicht«, versichert Tsimkarzhenskii. »Aber die Menschen haben Angst. Darum sind die Proteste nicht größer.« Dass Deutsche heutzutage die sowjetischen Soldaten als ihre Befreier ansähen und Blumen niederlegten, versteht der 21-Jährige durchaus. »Aber ich würde das niemals machen.« Denn obwohl Hitlerdeutschland schlimmer gewesen sei, habe die Sowjetunion aber ebenfalls andere Staaten überfallen.

Es ist ein großes Polizeiaufgebot in der Schönholzer Heide und ein noch viel größeres am Treptower Park. Insgesamt 1500 Beamte wurden zusammengezogen, auch Unterstützung aus Sachsen-Anhalt wurde angefordert. Alles bleibt friedlich am 8. Mai in Berlin. Allerdings rechnet die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes nach den Erfahrungen im vergangenen Jahr mit Auseinandersetzungen am 9. Mai.

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