Kliniken ringen um Nachhaltigkeit

Der Gesundheitssektor verursacht fast fünf Prozent des weltweiten CO2-Austoßes – das soll weniger werden

Einweggeschirr, kleine Verpackungen und Lebensmittelreste sind nur ein Teil von dem Müll, der in Krankenhäusern verursacht wird.
Einweggeschirr, kleine Verpackungen und Lebensmittelreste sind nur ein Teil von dem Müll, der in Krankenhäusern verursacht wird.

2019, also noch vor der Pandemie, fielen pro Krankenhausbett in Deutschland 1400 Kilogramm Müll an. Das ist fast dreimal so viel, wie in einem Jahr von einem Single-Haushalt verursacht wird. In den fast drei Jahren mit Masken und Schutzkleidung dürfte es noch mehr gewesen sein. Beim Wasserverbrauch kommt je Bett eine Menge pro Jahr zusammen, die 2,5-mal so groß ist wie der Bedarf einer Privatperson. Energie wird für ein belegtes Klinikbett genauso viel benötigt wie für ein Einfamilienhaus. Unter dem Strich ist der Gesundheitssektor für fast fünf Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Der Großteil der Emissionen entfällt auf die Krankenhäuser.

Nun reicht es nicht, hohen Ressourcenverbrauch zu geißeln, sondern es geht darum, Wege zu nachhaltigem Handeln zu finden. Das hatte sich der Kongress »WeACT Con« auf die Fahnen geschrieben, der in der letzten Woche in Berlin stattfand. Vertreter aus der Politik, von Krankenkassen, Apotheken, Kliniken und aus der Ärzteschaft tauschten sich über die nötige Transformation aus.

Mit der Nachhaltigkeit von Krankenhäusern beschäftigte sich die Diplomingenieurin und gelernte Krankenpflegerin Annegret Dickhoff in den letzten Jahren hauptberuflich. »Klik green« hieß das Projekt, das der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND initiiert hatte. Es lief drei Jahre und fand 2022 unter gleichem Namen, nur mit einem angehängten Plus-Zeichen, seine Fortsetzung. »Klik« steht hier für Klimaschutz in Kliniken. Dieckhoff wechselte kürzlich von der Umweltorganisation in die Stabsstelle Nachhaltigkeit und Prozesse der BG-Kliniken. Das sind die medizinischen Versorgungseinrichtungen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Bislang waren in »Klik green« 210 Krankenhäuser einbezogen, 190 Menschen wurden zu Klimamanagern qualifiziert. Etwa 1600 Maßnahmen im Bereich Energiesparen und Ressourcenschutz finden sich in einer Datenbank. Förderung kommt vom Bundesministerium für Klima und Wirtschaft. Bei einem Drittel der Maßnahmen müssen die Krankenhäuser Geld in die Hand nehmen, beim Rest geht es eher um Organisation oder Schulung. Dickhoff nennt Beispiele, unter anderem Job-Bikes als eine von 70 Maßnahmen im Bereich der Mobilität oder umweltfreundlichere Verpflegung, also weniger Fleisch- und mehr vegetarische Gerichte. »Im Universitätsklinikum Brandenburg wurde das Einweggeschirr abgeschafft und so vier Tonnen CO2-Äquivalente eingespart. Zum Vergleich: Jeder einzelne Europäer verursacht pro Jahr im Schnitt einen CO2-Ausstoß von neun Tonnen.«

Auch für das Einsparen von Papier gebe es in Krankenhäusern viele Möglichkeiten, angefangen damit, Dokumente doppelseitig auszudrucken oder Recyclingpapier zu nutzen. Insgesamt wurden in den ersten drei Jahren der Initiative 250 000 Tonnen klimaschädliche Treibhausgase vermieden.

Große Verantwortung für Nachhaltigkeit in Krankenhäusern habe der Einkauf. Zum Beispiel könnte mit reißfesteren, wenn auch teureren Handschuhen der Verbrauch gesenkt werden. »Oder bei Operationen: Nicht immer sind große Materialsets nötig. Damit diese nach Bedarf gepackt werden, muss nur das Personal entsprechend geschult werden.«

»Es sollte nicht von Müll gesprochen werden, sondern von Abfall und Wertstoffen«, erklärt Clemens Jüttner eingangs zum Thema. Der frühere Rettungssanitäter und Feuerwehrmann ist schon länger im kaufmännischen Bereich unterwegs; heute ist er Chief Sustainability Officer (deutsch etwa Leitender Nachhaltigkeitsmanager) bei der Sana-Kliniken AG. Jüttner weiß jedoch, dass es in Krankenhäusern zunächst um Qualität und Wirtschaftlichkeit geht, Nachhaltigkeit als Unternehmensziel sei erst wenig verankert.

Auch Jüttner hat den Einkauf im Fokus: 2,2 Millionen Artikel stehen im Beschaffungssystem des Sana-Konzerns. Weil auch die Industrie den Klimaschutz-Trend erkannt hat, erhalten Kliniken viele Anfragen und Angebote. »Hier ist es wichtig, die wirklich nachhaltigen Produkte zu identifizieren«, sagt der Manager. Aber die Gesetzeslage lässt nicht zu, umweltfreundliche Produktalternativen zu beschaffen, wenn diese zu Mehrkosten führen. Auch sind für mehr als 90 Prozent der Artikel auf den Einkaufslisten von Krankenhäusern und Praxen keine Angaben zu Umweltauswirkungen und Klimagasemissionen verfügbar. Ein anderes Problem sind die 15 Millionen Einweginstrumente, die in Deutschland jedes Jahr entsorgt werden.

Während die Krankenhäuser beim Glasmüllrecycling schon gut seien, gibt es Probleme mit dem Mischmüll nach Operationen und dem hohen Anteil von hausmüllartigen Abfällen. Die vielen Lebensmittelreste ließen sich schon reduzieren, meint Jüttner: Etwa müssten Nüchterntage vor Operationen und Entlassungsprozesse mitkalkuliert werden. Das sei viel Kleinarbeit und schwierig, weil Küchen oft nicht mehr zu den Krankenhäusern gehören, sondern ausgegliedert wurden.

Unter dem Stichwort Krankenhausmüll denken Laien zuerst an Verbrauchsmaterial: Binden, Mull, Windeln, getränkt von Körperflüssigkeiten. »Das ist kontaminierter Abfall – also teuer«, erklärt Jüttner. »Die Kliniken haben das schon länger im Blick. Aber dieser Teil ist schwer zu reduzieren.« Der Weg führt in der Regel in die Müllverbrennung.

In der Diskussion auf dem Berliner Kongress sind sich die Teilnehmenden einig: Die Beschäftigten wollen Ressourcen sparen. Jüngere würden immer weniger in nicht nachhaltigen Unternehmen arbeiten wollen. Außerdem werde Nachhaltigkeit nicht von Klimamanagern gemacht, sondern sei gemeinsame Aufgabe von Mitarbeitenden und Patienten. Andererseits bräuchte man hier Stellen, Ehrenamt reiche nicht. Noch ist unklar, wie vorhandene Lösungen in den gesamten Gesundheitssektor gebracht werden können.

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