»Eismayer«: Licht und Schatten

Zur Sonne, zur Freiheit: Im Film »Eismayer« ist der soldatische Mann kein Faschist mehr

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.
Hier ist mal Ruhe, denn eigentlich ist Charles Eismayer (Gerhard Liebmann, li.) immer nur am Brüllen.
Hier ist mal Ruhe, denn eigentlich ist Charles Eismayer (Gerhard Liebmann, li.) immer nur am Brüllen.

In Zeiten, da unsere Freiheit in der Ukraine verteidigt wird und alte Zivis öffentlich (und ganz folgenlos) ihren Verweigerungsantrag zurückziehen, liest man den Hinweis im hinteren Abspann noch mal so gern: »Dem österreichischen Bundesheer ist es wichtig zu betonen, dass Soldat*innen heute nach modernen Prinzipien der Pädagogik ausgebildet werden.« Und nicht mehr so wie in David Wagners Film, nämlich durch den Vize-Leutnant Charles Eismayer, einen brüllenden Ausbilder der ganz alten Schule, wie man ihn in »Full Metal Jacket« gesehen hat: ein Schleifer, ein Sadist, ein Schwein. Oder nichts davon? Rekrut Mario findet, dass Eismayer hart, aber gerecht sei, obwohl der ihn, dessen Familie wohl vom Balkan stammt, »Rekrut Tschusch« nennt. Tschusch ist ein abfälliges österreichisches Wort für »Ausländer«.

Mario ist schwul, und zwar offen, und das ist, wie es aussieht, auch beim Barras heute nicht mehr das ganz große Problem. »Haben Sie was gegen Homosexuelle?«, fragt dann auch der vorgesetzte Hauptmann seinen Vize-Leutnant, als Mario eine Strafübung im winterlich Freien provokant nackt absolviert hat. Denn »uns Warmen ist nie kalt!«. Und was der Zuschauer vorher weiß, ist, dass der Eismayer insgeheim genauso schwul ist: Der Warme, der’s nicht sein will, macht sich kälter, als er ist.

Denn der Fall ist real, und dass sich Eismayer und Mario kriegen, kein Geheimnis. Ums klandestine Schwulsein im Männlichkeitsreservat Armee geht es, anders als etwa in »Moffie«, also eigentlich nicht, denn die westlich-aufgeklärte Armee als Apparat hat, glauben wir Wagner, kein Problem mehr mit Homosexuellen. Der Homosexuelle hat allenfalls noch ein Problem mit sich, wobei kein Problem nicht gesellschaftlich vermittelt ist: Die Eltern des Fünfzigers Eismayer haben ihn einst mit der Hoffnung zur Truppe verabschiedet, er möge sein Schwulsein los- und ein richtiger Mann werden. Jetzt ist er Familienvater, lacht nie und bestätigt Theweleits klassische Diagnose, dass der faschistische Körperpanzer einer sexualneurotischen Liebesunfähigkeit geschuldet sei.

»Kontrolle ist Ordnung«, bellt Eismayer, der es abends mit Männern im Auto treibt, »im Kopf, im Spind, im Körper.« Mario nun ist zwar nicht die personifizierte Unordnung, aber eine Herausforderung: Er hat zwar Höhenangst, aber die ist bloß eine metaphorische Spiegelung von Eismayers Verhärtung. Es kommt dann, wie es kommen muss, und ein Drama braucht es dafür nicht, denn mit Eismayers Schwulsein hat allenfalls seine Ehefrau ein Problem.

»Eismayer« ist also, sofern das geht, kein politischer Film, allenfalls über Bande, denn man kommt kaum umhin, den verzweifelt schreienden Eismayer als alten weißen Mann zu verstehen, dem unversehens das dunkle und junge ganz Andere gegenübersteht und auch noch die Herrschaft übernimmt, als Eismayer an Lungenkrebs erkrankt und jetzt Mario es ist, der die Durchhalteparolen ausgibt.

Der Film spielt auch visuell mit Licht und Schatten, wobei es die allegorischen Zwischenszenen aus dem Bedeutungsfeld kaputt/kalt nicht gebraucht hätte, um zu begreifen, dass Sonne und Sommerwald bedeuten, dass hier jemand »out of the closet« muss, wie es im Englischen heißt: aus dem Schrank kommen. Sonst macht »Eismayer« insoweit viel richtig, als er fast nichts falsch macht, und die mild prätentiösen Bedeutungsinseln haben den Vorteil, dass sich die Erzählung selbst nicht mit mehr Symbol belasten muss, als in der Vorlage schon steckt; wo der Mann schon Eismayer heißt. Seine brennende Zigarette überm Ehering kann man gern als Zeichen nehmen, muss man aber nicht.

»Charles Eismayer und Mario Fallak wurden am 31. Jänner in der Maria-Theresien-Kaserne offiziell verpartnert«, lautet die abschließende Einblendung. »Beide sind zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch aktiv im Dienst.« Und da immer alles eine Kehrseite hat, mag sich der Argwohn einstellen, die Armee komme hier zu gut weg. Denn falls Theweleit recht hat und der soldatische Mann ein Produkt verdrängter, durch Überdisziplin und Hass kompensierter Erotik ist – »Grundstellung, oder ich töte dich!« –, wird eine offen schwule Armee nur dann nicht zum Widerspruch in sich, wenn das Deviante als zu Tolerierendes isoliert und jene unerhörte Begebenheit bleibt, aus der sich nicht nur Kino machen lässt, sondern auch die Erzählung von der »guten« Armee. Eine, die ipso facto nur gerechte Kriege führen wird.

Dass in Putins Truppen, wie man annehmen muss, Homosexualität ein Tabu ist, passt in diese Erzählung, und wem die frohe Diversität in der Fernsehwerbung schon als richtig und falsch zugleich verdächtig ist, der hat jetzt abermals was zum Nachdenken.

»Eismayer«, Österreich 2022. Regie: David Wagner. Mit: Gerhard Liebmann, Luka Dimić, Julia Koschitz. 87 Minuten, Start: 1.6.

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