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Streik in Berlin: Lehrer schwänzen Abiprüfung

Drei Tage Ausstand an den Schulen: Ändert die GEW ihren Kurs?

Am Streiktag hat die Stechuhr mal Pause – entsprechend gemächlich füllte sich am Dienstagvormittag der Veranstaltungsraum Südblock am Kottbusser Tor, wo die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Streikversammlung abhielt. Es ist bereits das 14. Mal, dass die GEW einen Warnstreik an den Schulen wagt. Erstmals läuft der Warnstreik über drei volle Tage. Ziel des Ausstands ist ein Tarifvertrag Gesundheit, mit dem die Klassengrößen begrenzt werden sollen. Auf die Streikversammlungen in den Bezirken sollen am Mittwoch eine zentrale Demonstration und am Donnerstag eine berlinweite Versammlung folgen.

Viele Streikende nutzten das milde Frühsommerwetter noch für einen Kaffee im Garten des Südblocks, bevor die Veranstaltung dann mit einer halben Stunde Verspätung beginnen konnte. Etwa 150 Teilnehmer waren es am Ende nach GEW-Angaben. Aussagen dazu, wie viele Lehrkräfte sich berlinweit am Streik beteiligten, machte die GEW nicht.

»Lasst euch nicht von der CDU auffressen«, begrüßte Ryan Plocher von der GEW-Bezirksleitung die Streikenden und spielte damit auf das GEW-Logo an, in dem sich eine Vielzahl kleiner Fische gegen einen Hai zusammenschließt. Er warb dafür, mehr Überzeugungsarbeit bei Kollegen zu leisten, die noch nicht zum Streik bereit seien. Vor allem an den weiterführenden Schulen ist die Streikbeteiligung eher mau, an den Grundschulen ist die GEW dagegen traditionell stark. Vor allem hier fällt viel Unterricht streikbedingt aus.

Auch mit größerer Beteiligung dürfte das Ziel aber schwer zu erreichen sein. Denn auch der neue schwarz-rote Senat will nicht mit der GEW verhandeln. Schon Rot-Grün-Rot hatte darauf verwiesen, dass eine solche Regelung Berlin in Konflikt mit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) bringen würde. GEW-Landesvorsitzender Tom Erdmann berichtete von einem Treffen mit Finanzsenator Stefan Evers und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU). »Der Finanzsenator kam nicht nur mit leeren Händen, er war auch nackt«, sagte Erdmann. Evers habe kein konkretes Angebot unterbreitet und habe die GEW stattdessen scharf angegriffen. »Auch ein empörter Senator wird uns nicht davon abhalten, einen Tarifstreit zu führen«, sagte Erdmann.

Im Gespräch mit »nd« präzisiert Erdmann seine Kritik. »Berlin muss sein Verhältnis zur TdL klären«, sagt er. Der Senat könne innerhalb der Tarifgemeinschaft für kleinere Klassen werben. Andere Bundesländer blickten gespannt auf den Tarifstreit, in dem Berlin eine »Vorbildfunktion« übernehmen könne, wie es ein Mitglied der Tarifkommission bei der Versammlung ausdrückte. In anderen Bundesländern existierten zudem ebenfalls Regelungen, die von den Bestimmungen der Tarifgemeinschaft abwichen, argumentiert Erdmann. »Wenn man das will, findet man auch einen Weg«, sagt er. Bezirksvorstand Polcher forderte auf der Versammlung gar, einen Ausschluss aus der Tarifgemeinschaft zu riskieren. »Hessen ist auch nicht Mitglied der TdL und dort bricht die öffentliche Ordnung nicht zusammen«, sagte er. Der Applaus blieb verhalten – denn so würden die Berliner Lehrkräfte von der bundesweiten Lohnentwicklung ausgeschlossen bleiben.

Weil sich der Streit zwischen GEW und Senat festgefahren hat, wächst inzwischen der Frust bei Eltern und Schülern. An manchen Schulen gebe es inzwischen mehr streik- als krankheitsbedingte Ausfälle, berichten Eltern. Viele unterstützen das Vorhaben der GEW, sind aber vor allem von deren unzureichender Informationspolitik enttäuscht. »Der Landeselternvorstand steht weiter hinter uns«, sagt Erdmann. Er habe aber Verständnis dafür, dass sich kurz nach der Corona-Pandemie viele Eltern von der zusätzlichen Betreuung belastet fühlten. Der Landesschülerausschuss hatte am Montag zwar erklärt, den Streik zu unterstützen, aber zugleich auch kritisiert, dass der Warnstreik an Abiturprüfungstagen stattfinde. »Wir finden das unsolidarisch«, erklärte Sprecher Paul Seidel.

Auch bei den Lehrkräften sorgt die Situation für Enttäuschung – und für Gesprächsbedarf über das weitere Vorgehen. Eine Gruppe vor allem junger Lehrkräfte forderte einen Kampagnenplan »mit einer klaren Eskalationsperspektive«, wie es ein Vertreter formulierte. Was das konkret bedeuten würde, wurde auf unter den Streikenden verteilten Flyern deutlich: Kurz nach den Sommerferien soll es einen einwöchigen Warnstreik geben, im Anschluss daran sollen die Vorbereitungen für einen unbefristeten Erzwingungsstreik beginnen.

Vielen Streikenden ging das zu weit. »In den ersten zwei Wochen nach den Sommerferien sind Einschulungen, das kann ich moralisch nicht vertreten, da zu streiken«, sagte eine Grundschullehrerin. Ein Mitglied der Tarifkommission warnte davor, dass die GEW so ihren Rückhalt unter den Lehrkräften verlieren könnte. Eine Umfrage, die die GEW unter ihren Mitgliedern durchgeführt hat, scheint diesen Eindruck zu bestätigen: Unter den Umfrageteilnehmern – die bereits überdurchschnittlich streikbereit sind – können sich demnach nur knapp 50 Prozent vorstellen, eine Woche lang in den Ausstand zu gehen. Zu einem unbefristeten Streik sind nur etwa 36 Prozent bereit.

Am Ende wurde daher nur ein stark abgeschwächter Beschluss gefasst, in dem von unbefristeten Streiks keine Rede mehr ist. Auf deutlich größere Zustimmung traf dagegen die Forderung, auch Erzieher in den Streik einzubeziehen. Bisher stehen dem aber rechtliche Schwierigkeiten und Uneinigkeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, in der viele Erzieher organisiert sind, entgegen. »Es kann nicht sein, dass man auf der Funktionärsebene nicht funktioniert, während es in den Schulen dieses Bündnis längst gibt«, kritisierte ein Lehrer von der Richard-Grundschule. GEW-Chef Erdmann stellte vermehrte Bemühungen und gemeinsame Aktionen »noch in diesem Jahr« in Aussicht.

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