Toulouse tanzt den Tango

Bei der Tangopostale kann man die südfranzösische Stadt von ihrer romantischen Seite erleben – und am Ufer der Garonne tanzen

  • Ulrike Wiebrecht
  • Lesedauer: 5 Min.
Tanz in allen Gassen: Im Juli wird Toulouse zur Tango-Hauptstadt.
Tanz in allen Gassen: Im Juli wird Toulouse zur Tango-Hauptstadt.

Place Saint-Georges, 18 Uhr. Vier Frauen sitzen gelangweilt auf einer Mauer und wedeln sich mit großen Fächern Luft zu. Wann es wohl endlich losgeht? Das kann noch dauern, signalisiert ihnen ein Mann im großbedruckten Safari-Hemd. »La chaleur«, sagt er und hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen. Die Hitze. Toulouse kocht. Es sind fast 40 Grad. Nicht gerade die ideale Temperatur, um sich in einer engen Umarmung zu lateinamerikanischen Rhythmen zu bewegen.

Tipps
  • Das Festival Tangopostale findet vom 30. Juni bis 9. Juli statt. Auf der Website sind alle Infos zu den Veranstaltungen, Workshops sowie Unterkünften, z. T. bei Privatleuten, zu finden.www.tangopostale.com
  • Der Platz Saint-Georges ist mit seinen Bars und Restaurants auch außerhalb des Festivals beliebter Treffpunkt. Typische Toulouser Küche serviert z. B. das Restaurant Emile.www.restaurant-emile.com
  • Unbedingt sehenswert: die romanische Basilika Saint Sernin, das Jakobinerkloster und das Rathaus La Capitole, das Wahrzeichen der rosa Stadt. Eine schöne Abwechslung im Sightseeing-Programm bringt eine Fahrt auf dem Canal du Midi mit seinen grünen Ufern, der zum Welterbe der Unesco gehört.
    www.toulouse-tourisme.de

    Aber eine Stunde später, als es sich ein bisschen abgekühlt hat, betritt ein groß gewachsenes Paar den Platz. Sie mit kurzem schwarzen Haar und geschlitztem Kleid, er in blauem Hemd und schwarzer Hose, heißen sie die Leute auf dem Platz zur Einführung in den argentinischen Tango willkommen. Jeder kann mitmachen, es kostet nichts. Und nach einigem Zögern finden sich die ersten Umstehenden zu Paaren zusammen. Ein paar Männer mittleren Alters, eine junge Blonde in Shorts, eine ältere Brünette in klobigen Pumps – sie wollen es zumindest mal probieren.

    »Zunächst besteht der Tango nur aus Laufen«, beruhigt sie der Tanzlehrer und führt es mit seiner Partnerin vor. Klingt einfach, will aber gekonnt sein. Mehr oder weniger unbeholfen schieben die Führenden – meist sind es Männer – die Folgenden – meist Frauen – in Kreisrichtung vor sich her. Es dauert eine ganze Weile, bis die Bewegungen flüssiger werden. Dann wird mit den Drehungen begonnen. Und nach einer Stunde sieht es schon ein bisschen nach Tango aus.

    Einige haben Blut geleckt und sind wild entschlossen, sich zu einem Anfänger-Workshop anzumelden. Vor allem, als das Tanzlehrerpaar eine Kostprobe seines Könnens gibt. Aus dem Lautsprecher schallt ein Stück von D’Agostino Vargas aus den 1940er Jahren. »No vendrá«, sie wird nicht kommen, klagt die männliche Stimme zu einer süßlich-traurigen Melodie, die das Orchester mit markanten Geigenstrichen untermalt. Und schon schlingen sich vier Beine virtuos umeinander, schieben sich wie die Tatzen eines Tigers über den Asphalt, um unvermittelt in die Luft zu schnellen, während die Oberkörper der beiden wie aneinander geheftet wirken. Die Leute aus den umliegenden Lokalen erheben sich von den Plätzen, zücken ihre Smartphones, treten näher an die Tanzfläche. Que c’est beau! Wie schön! Und so elegant … Am Ende applaudiert der ganze Platz.

    Tango en el barrio, Tango im Kiez, lautet das Motto der Veranstaltung. Sie ist eins von unzähligen Events der Tangopostale, die sich vorgenommen hat, den Tango in die Stadt hineinzutragen. Bei anderen Festivals bleiben die Tänzer meist unter sich, schließen sich in irgendwelche klimatisierten Clubs ein. Nicht so in Toulouse, wo man den Kontakt zur Bevölkerung sucht. Mal geht es in Szenekneipen, mal in die Kapelle Saint-Michel, an das Ufer der Garonne oder in Les Abattoirs, das Museum im ehemaligen Schlachthof. Doch es gibt kaum einen schöneren Ort zum Tanzen als die Place Saint-Georges im Herzen der Altstadt. Bunte Häuserfassaden und alte Linden rahmen den Platz ein. Dazu Cafés und Restaurants, die sich dicht an dicht mit ihren Terrassen an eine fast kreisrunde Freifläche in der Mitte heranschieben.

    Besonders stimmungsvoll wird es, als abends die eigentliche Milonga beginnt. Inzwischen ist die Sonne untergegangen, spärliche Lichter blinzeln durch die Bäume. Jetzt haben sich auf dem Platz auch die Fortgeschrittenen eingefunden. Routiniert ziehen sie ihre Tangoschuhe an, legen die Wertsachen in der Mitte ab und nehmen Blickkontakt zu möglichen Tanzpartnern auf. Ein kurzes Nicken, dann bewegen sie sich aufeinander zu. Umarmen sich und tanzen. Das funktioniert ganz ohne Worte. Der Tango spricht eine universelle Sprache. Wobei zwischendurch auch Gelegenheit zum Smalltalk besteht. Ich bin Marc. Und du? Kommst du aus Toulouse? Ach, aus Deutschland? Viele sind aus anderen Landesteilen oder dem Ausland angereist. Aber man begegnet natürlich vor allem Toulousains und Toulousaines, die ihrem Ruf gerecht werden, weltoffen und kontaktfreudig zu sein. Mit ihnen in die Nacht, vielleicht sogar bis in die frühen Morgenstunden hinein zu tanzen, ist nicht die schlechteste Art, mit einer Stadt auf Tuchfühlung zu gehen. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich ganz Toulouse umarmt«, gesteht eine etwa Vierzigjährige auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn ihrer Freundin.

    In diesem Jahr findet das Festival bereits zum 14. Mal statt und das Konzept scheint aufzugehen. Neben 100 Stunden Tanz auf den Milongas, wie die Tango-Bälle heißen, gibt es jede Menge Workshops, Gitarren-, sogar Tango-Zeichen-Kurse, Konzerte großer Tango-Orchester, Ausstellungen und auch spezielle Stadtführungen. Die zugereisten Aficionados sollen schließlich die verschiedensten Facetten von »la ville rose«, wie Toulouse mit seinen rötlichen Ziegelbauten genannt wird, kennenlernen. Den Rathausplatz, die romanische Kirche Saint Sernin oder den Canal du Midi, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehören. Dabei können sie zu ihrem Schreck auch erfahren, dass auf der romantischen Place Saint-Georges früher Todesurteile vollstreckt wurden.

    Doch wie kam es zu der innigen Beziehung zwischen Toulouse und dem Tango? »Abgesehen davon, dass Carlos Gardel, einer der größten Tango-Sänger hier 1890 geboren sein soll, hat die Luftfahrt eine frühe Verbindung zwischen Toulouse und Buenos Aires hergestellt«, erklärt Sophie Malbreil von der Festivalorganisation. »Das begann vor rund hundert Jahren, als es gelang, erstmals den Atlantik zu überfliegen.« Mithilfe von Pionieren wie Antoine de Saint-Exupéry wurde dann eine regelmäßige Luftpostlinie, die Aéropostale aufgebaut, die die Post nach Südamerika beförderte. Später ging daraus unter anderem der Flugzeugbauer Airbus hervor, der heute einer der größten Arbeitgeber der Stadt ist. Daher auch der Name »Tangopostale«.

    Dass das Festival zur Stadt passt, freut den Tourismussektor. Wobei die Initiative keineswegs von cleveren Marketing-Experten ausging. Vielmehr haben es Tanz-, Musik- und Lateinamerika-Begeisterte begründet. Und nicht zufällig wird es von Dutzenden von Ehrenamtlichen unterstützt. »Unsere Stadt ist vielleicht nicht so schön wie Bordeaux, dafür aber total feierfreudig. Es gibt ja jede Menge Festivals mit Flamenco, Swing, Jazz, Rock oder Open Air-Kino – es ist immer was los«, schwärmt ein junger Tanguero. Und freut sich immer wieder über die vielen hübschen Frauen, die zum Tanzen nach Toulouse kommen.

    Die Recherche wurde unterstützt von Toulouse Tourisme.

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