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EZB: Woche der Notenbanken

Kritik an EZB wächst: Zinserhöhungen treiben Wirtschaft in die Krise

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die EZB-Zentrale in Frankfurt am Main
Die EZB-Zentrale in Frankfurt am Main

Die Inflation scheint auf dem Rückzug. In Deutschland ging die Teuerungsrate im Mai von 7,2 auf 6,1 Prozent zurück. Eine ähnliche Verminderung gab es in der Eurozone von 7,0 auf 6,1 Prozent. Und in den USA sank die Rate von 4,9 auf 4,0 Prozent. Die Entscheidungen der Notenbanken könnten dennoch in dieser Woche unterschiedlich ausfallen.

Während Analysten mehrheitlich erwarten, dass die US-Notenbank Fed erst einmal eine Pause bei den Zinserhöhungen einlegen wird (nach Redaktionsschluss), dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen diesen Donnerstag weiter anheben. Ein Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte gilt als gesetzt. Im Juli wird ein weiterer Schritt auf dann 4,25 Prozent erwartet. Das wäre die neunte Erhöhung des Leitzinses innerhalb weniger Monate.

Doch die Geldpolitik von EZB-Chefin Christine Lagarde stößt zunehmend auf Kritik. Denn sie fährt einen riskanten Kurs. Die EZB gefährde Konjunktur, Beschäftigung und Klimaziele, heißt es in einer neuen Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). »Eine besonnene Geldpolitik ist jetzt besonders wichtig«, schreiben die Autoren Silke Tober und Thomas Theobald. Diese Aufgabe sei äußerst schwierig: Einerseits müsse die EZB verhindern, dass sich die Inflation auf einem überhöhten Niveau verfestigt. Andererseits bestehe die Gefahr, dass die Wirtschaft einbricht, wenn die Notenbank zu stark gegensteuert.

Die Idee hinter Lagardes Geldpolitik: Indem die EZB durch Zinserhöhungen die Kredite von Banken verteuert, wird von Unternehmen, Staat und Häuslebauern weniger investiert und von Verbrauchern weniger konsumiert. In der Folge sinkt die Nachfrage und die Preise fallen. Dahinter steht das von vielen Ökonomen geteilte Bild, die Inflation sei die Folge einer zu großen, hausgemachten Nachfrage.

Rudolf Hickel überzeugt diese Theorie nicht. Der Wirtschaftswissenschaftler warnt vor allem davor, »die Dosierung disziplinierender Geldpolitik weiter zu erhöhen«. Stattdessen sollte Lagarde ihre Analyse überarbeiten. »Wann untersucht die EZB endlich das sich deutlich verändernde Inflationsregime?«, fragt der Gründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Die Gründe der aktuellen Inflation, die in einigen Eurostaaten weiterhin bei über zehn Prozent liegt, seien die schon vor dem Ukraine-Krieg weltweit steigenden Energiepreise und in deren Folge steigende Lebensmittelpreise. Dadurch wurde die Inflation in den Euroraum »importiert«. Weiter angetrieben wurde die Preisexplosion von »monopolistischer Unternehmensmacht«, so Hickel, und von »massiven Spekulationsgeschäften« etwa mit Rohstoffen.

In den aktuell sinkenden Inflationsraten sieht der Experte daher nicht die segensreiche Wirkung der Notenbank, sondern eine Folge fallender Energiepreise und staatlicher Entlastungsmaßnahmen. Gleichzeitig beklagen Unternehmen im Euroraum eine »deutliche Verschärfung der Finanzierungsbedingungen«, meldet die Bundesbank. So berichten 87 Prozent der Firmen von höheren Zinskosten.

Normalerweise wirken Preisschocks nur vorübergehend als Inflationstreiber, so Hickel. Auch dieser Mechanismus scheint erlahmt. Der Ökonom verweist gegenüber »nd.DerTag« auf »Mehrfachkrisen«: von Corona über Klimawandel bis zum Konflikt mit China. Hinzu komme der Strukturwandel, den etwa Demografie und Digitalisierung bewirkten. Die EZB sei daher gut beraten, endlich das Versagen und die Kollateralschäden ihrer Zinswende ernst zu nehmen. Da ist zunächst die anhaltend zähe Wachstumsschwäche mit dem Dauerrisiko Rezession. Darüber hinaus belastet die Hochzinspolitik Investitionen in den ökologischen Umbau und die Digitalisierung. »Die derzeitige Geldpolitik entpuppt sich als Zukunftsbremse.« Außerdem wird die Finanzstabilität vor allem der Banken belastet, die etwa auf großen Beständen von abgewerteten Staatsanleihen sitzen. Wozu das führen könne, hätten die jüngsten Bankenpleiten in den USA gezeigt.

Weniger scharf ins Gericht mit der Zentralbank gehen die IMK-Forscher. Spätestens im Laufe des nächsten Jahres werde die Inflationsrate wieder nahe der Zwei-Prozent-Zielmarke liegen. Ein Optimismus, den freilich nur wenige Bankanalysten und Ökonomen teilen. Auch sie sehen keinen weiteren Handlungsdruck. Sofern es im Euroraum keine gesamtwirtschaftliche Überauslastung der Kapazitäten gibt, die übermäßige Gewinn- und Lohnsteigerungen erlauben, ist ihnen zufolge eine geldpolitische Restriktion mit dem Ziel einer Reduzierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nicht erforderlich. Es sei ratsam, die Wirkung der bisherigen Zinserhöhungen abzuwarten, da diese erst mit Verzögerung einsetze. Das gilt allerdings ebenfalls für die Bremswirkung auf die Wirtschaft.

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