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  • Bündnis 90/Die Grünen

Brandenburgs Grüne feiern sich allein

Mehr als 200 Gäste zum 30. Geburtstag des Landesverbandes, aber kein Koalitionspartner dabei

Als am 19. Juni 1993 in Cottbus der Vereinigungsparteitag der Brandenburger Grünen mit dem Bündnis 90 tagte, war die derzeitige Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup noch gar nicht geboren. Sie kam erst 1997 zur Welt. Und Alexandra Pichl, mit der Große Holtrup eine Doppelspitze bildet, war nach eigener Aussage noch zu jung, um sich politisch zu engagieren. Pichl ist Jahrgang 1978. Dies dürfte eher die Regel als die Ausnahme sein angesichts der vielen erst später eingetretenen Parteimitglieder und der vielen erst später zugezogenen.

Aber als der Landesverband am Montagabend im Potsdamer »Treffpunkt Freizeit« sein 30-jähriges Bestehen feiert, sind doch einige im Saal, die von Anfang an dabei waren. Einer davon ist Frank Otto. In seiner persönlichen Rechnung ging es für ihn sogar bereits 1979 los. Zwar gründeten sich die Grünen in der alten Bundesrepublik erst 1980 und in der DDR um den Jahreswechsel 1989/90 herum. Doch 1979 rief Otto mit anderen in Königs Wusterhausen einen Friedenskreis ins Leben. Das war ein Vorläufer von DDR-Bürgerrechtsbewegungen wie der Initiative Frieden und Menschenrechte und des Neuen Forums. Bei diesen beiden engagierte sich Otto dann auch. Sie bildeten schließlich das Bündnis 90. Daran, dass Günter Nooke und Matthias Platzeck gegen einen Zusammenschluss ihres Bündnisses 90 mit den Grünen gewesen seien, erinnert sich Otto noch gut. Genauso habe es bei den Grünen Leute wie Lutz Boede gegeben, die Vorbehalte gegen das bürgerliche und so gar nicht linke Personal von Bündnis 90 gehegt hätten.

Die Anfänge der Grünen im Bundesland
  • März 1990: Bei der DDR-Volkskammerwahl erhält das Bündnis 90 enttäuschende 2,9 Prozent. In seinem Selbstverständnis hatte es die Revolution von 1989 gemacht. Doch die Ost-CDU sahnt ab. Die Listenverbindung aus Unabhängigem Frauenverband und Grüner Partei bekommt zwei Prozent.
  • April 1990: Es gründet sich ein Landesverband Brandenburg der Grünen.
  • Oktober 1990: Bei Landtagswahlen in Ostdeutschland treten Bündnis 90 und Grüne gemeinsam an, nicht aber in Brandenburg. Bündnis 90 erzielt hier 6,4 Prozent. Die Grünen scheitern mit 2,8 Prozent an der Sperrklausel.
  • Ende 1991: Die Bündnis-Abgeordneten Bernd Reuter und Henrik Poller scheiden nach festgestellter Stasi-Tätigkeit aus dem Landtag aus.
  • Ende 1991: Bündnis 90 wird von der Bürgerbewegung zur Partei und es gründet sich ein Landesverband.
  • Oktober 1992: Bildungsministerin Marianne Birthler legt ihr Amt nieder wegen der Stasi-Kontakte von Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD). af

Platzeck ging später zur SPD und wurde Ministerpräsident, Nooke trat zur CDU über und wurde Bundestagsabgeordneter. Boede ist mittlerweile in Potsdam aus der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere« nicht mehr wegzudenken. Es habe Vorbehalte gegeben, die Westgrünen seien noch ein bisschen in den Sozialismus verliebt, heißt es launig in einem eingespielten Film. »Wir Wessis hielten uns für klüger. Wir hatten die Studentenbewegung«, erzählt Helmut Müller-Enbergs. »Aber die Ossis hatten eine Revolution geschafft und wir nicht.«

Die langjährige Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm ist den Grünen treu geblieben. Sie sagt am Montagabend: »Die Herausforderungen damals und heute sind im Prinzip die gleichen: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.« Die ehemalige Abgeordnete lässt 30 Jahre Revue passieren und beendet ihre Rückschau mit einem optimistischen Blick nach vorn: »Die nächsten 30 Jahre liegen vor uns. Lasst uns feiern.«

Das ist die von der jungen Landesvorsitzenden Große Holtrup ausgegebene Parole: einmal nicht heiß diskutieren, sondern einfach Spaß miteinander haben. Die Entwicklung des Landesverbandes ist anscheinend eine durch nichts getrübte Erfolgsgeschichte. Es sieht so aus, als wäre es immer nur aufwärts gegangen bei den Mitgliederzahlen und den Wahlergebnissen. Doch es war keineswegs ein immerwährender Aufstieg bis zu 10,8 Prozent bei der Landtagswahl 2019 und zum Eintritt in die Regierung im selben Jahr. Das wissen die Grünen natürlich selbst. 9,2 Prozent und zwei Minister bekam Bündnis 90 schon mit der Landtagswahl 1990. Doch 1994 verfehlte der Landesverband die Fünf-Prozent-Hürde, so auch bei allen folgenden Landtagswahlen bis 2009. Bei der Landtagswahl 1999 war Friedrich Heilmann Spitzenkandidat. Der Mann mit einem damals wie heute markanten Vollbart, der in der DDR-Bürgerrechtsbewegung Mode war, gehört zu den Mitgliedern der ersten Stunde und kommt in den zwischen den Festreden eingespielten Filmen zu Wort.

Von 930 Mitgliedern im Juni 1993 kamen 689 von Bündnis 90 und 241 von den Grünen. Verständlich, dass westdeutsche Grüne ein großes Interesse hatten, Bündnis 90 aufzusaugen. Heutzutage zählt der Landesverband 2652 Mitglieder – so viele wie nie zuvor. Fünf Neuaufnahmen sind noch ganz frisch. »Ein unglaubliches Wachstum und man fragt sich: Wo soll das noch hinführen?« So äußert sich Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke und erzählt von einer Landkarte in seinem Büro, auf der er Fähnchen dorthin steckt, wo Büros der Partei eröffnen. Vor lauter Zuwachs seien ihm die Fähnchen ausgegangen und er brauche neue.

Es ist aber ein Plus bei den Mitgliedern nur unter dem Strich. Es gibt auch Austritte. »Bei den Austritten erfahren wir in den allermeisten Fällen nicht die Gründe«, erklärt Sprecher Michael Mangold. Von anderer Seite ist zu hören, Austritte gebe es, weil die Grünen nach dem Nato-Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 nun im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine erneut deutlich von ihren pazifistischen Wurzeln abrücken. Auch dass die Grünen auf Bundesebene bei einer Asylrechtsverschärfung mitspielen und auf Landesebene gegen die eigenen Prinzipien das von Innenminister Michael Stübgen (CDU) am Flughafen BER in Schönefeld geplante Abschiebezentrum nicht verhindern, enttäusche so einige Mitglieder.

Es könnte durchaus sein, dass Brandenburgs Grüne an ihre Grenzen stoßen. Da sie erfahrungsgemäß in den letzten Wochen und Monaten vor einer Landtagswahl noch abrutschen, müssten sie Anfang 2024 viel besser dastehen als jetzt, um ihr Ergebnis von 2019 bei der Landtagswahl am 22. September 2024 zu halten. Für Vorhersagen ist es natürlich noch viel zu früh. In den jüngsten Meinungsumfragen bewegt sich der Landesverband bei neun bis zehn Prozent. Sollten die Grünen wirklich wieder Raschke als Spitzenkandidaten nominieren, so verspräche dies nicht unbedingt einen Aufschwung. Bei der Bevölkerung jedenfalls kommt er nicht so gut an. Allerdings muss ihn und seine Parteifreunde auch nicht kümmern, was Menschen über ihn denken, die ihr Kreuz auf dem Stimmzettel nie und nimmer bei den Grünen machen würden. Entscheidend ist vielmehr, was diejenigen über ihn denken, die der Ökopartei zuneigen – und in Klientelpolitik macht den Grünen so leicht niemand etwas vor.

Als Gast der Feier sitzt am Montagabend im »Treffpunkt Freizeit« der oppositionelle Linksfraktionschef Sebastian Walter. Er hätte einen Stuhl in der ersten Reihe bekommen. Aber Walter fühlte sich in der zweiten Reihe besser aufgehoben. Auffällig ist, dass sich die Koalitionspartner SPD und CDU nicht blicken lassen, obwohl es bei dergleichen Terminen durchaus üblich ist – wenn man denn ein gutes Verhältnis zueinander hat.

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