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Berlin: Lieferdienst Wolt entkommt erneut
Ehemalige Fahrradkurierin unterliegt vor dem Arbeitsgericht
Zum wiederholten Male finden sich der finnische Lieferdienst Wolt, ehemalige Beschäftigte und zahlreiche Unterstützer*innen, Interessierte und Gewerkschaftsaktive im großen Saal im Berliner Arbeitsgericht wieder. Es geht wie schon so oft um die Frage: Muss Wolt Verantwortung für die Verfehlungen seiner als Flottenpartner beauftragten Subunternehmen übernehmen?
Für die Beteiligten endet das Verfahren am Ende mit einer Entlastung von Wolt. Eine ehemalige Fahrradkurierin wollte vor Gericht feststellen lassen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht, wie von Wolt behauptet, mit einem Subunternehmen bestanden hatte, sondern mit der finnischen Muttergesellschaft. In einem kleinen Elektronikmarkt in der Neuköllner Karl-Marx-Straße habe sie die Formalitäten abgesprochen und den Zugang zur Wolt-App bekommen. Die Zusendung des schriftlichen Arbeitsvertrages sei nur noch Formsache, habe man ihr dort gesagt.
Den bekommt sie aber ebenso wenig wie ihren vollständigen Arbeitslohn. Für die Zeit vom November 2022 bis Januar 2023 errechnet sie einen ihr vorenthaltenen Bruttolohn von 3200 Euro. Den hatte sie nun vor Gericht von Wolt eingefordert. Denn Wolt setze, so die Ausführungen ihres Anwalts Martin Bechert, bewusst auf ein System undurchsichtiger Subunternehmerstrukturen mit der Zielsetzung, Arbeitsentgelt im Zweifel nicht zahlen zu müssen. Im Frühjahr 2023 hatten die sogenannten Rider auf das Problem aufmerksam gemacht. Damals hieß es, dass 120 Fahrer*innen um insgesamt 100 000 Euro geprellt worden seien.
Der Wolt vertretende Anwalt, Nicolas Roggel, bestreitet, dass Wolt mit der Mobile World GmbH, die besagten Elektronikmarkt damals betrieb, zusammengearbeitet hat. Als sogenannter Flottenpartner sei stattdessen eine IMOQX GmbH eingesetzt gewesen, die der Arbeitgeber der Klägerin gewesen sei. Das Weisungsrecht sei vollständig an den Flottenpartner übergegangen, behauptet der Anwalt – bei den Auftragsvermittlungs-Apps der Lieferdienste steht das immer wieder infrage.
Dass die Klägerin durch das Agieren des Subunternehmens in eine missliche Lage geraten sei, tue seiner Mandantin leid, erklärt Roggel, sei aber »nicht das Problem von Wolt«. Roggel spricht mit Blick auf die Flottenpartner von »einem funktionierenden System«. Die IMOQX bezeichtet er als einen »aus dem Ruder gelaufenen Flottenpartner, der das nicht im Griff hatte«. Im Laufe des schon lange dauernden Prozesses habe die klagende Seite bisher nicht nachweisen können, dass zwischen Wolt und der ehemaligen Fahrradkurierin ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Roggel kritisiert seinerseits die Prozessführung von Rechtsanwalt Bechert, insbesondere würden Fristen missachtet, was Stellungnahmen und die eigene Prozessführung allgemein erschwere.
Bechert begründet sein Verhalten: »Wir sind in der misslichen Lage, über Wolt-Interna vortragen zu müssen.« Das erfolge häufig durch Informant*innen, für die Fristen nicht das erste Kriterium seien. Anders als in vorangegangenen sehr ähnlich gelagerten Fällen lehnen Bechert und seine Mandantin am Donnerstag eine gütliche Einigung ab. Wolt-Anwalt Roggel verdoppelt das Angebot auf 2000 Euro. Doch Bechert und seine Mandantin wollen ein Urteil.
Nach einer halbstündigen Beratung steht fest: Die Anträge der ehemaligen Fahrradkurierin werden abgelehnt. Bereits zuvor hatte der Richter Thomas Pahlen ihr erklärt: »Wir sehen, dass die Vertragsstrukturen schwer zu durchschauen sind, dennoch müssen wir aufgrund der Vorträge entscheiden« – also aufgrund des eingereichten belastbaren Materials. Und da hätten zu wenige Hinweise vorgelegen, die ein direktes Arbeitsverhältnis mit Wolt belegt hätten, so das Fazit des Gerichts.
Im Besonderen hätten Informationen zum Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses gefehlt, aus denen hervorgehe, dass die ehemalige Fahrradkurierin davon ausgehen konnte, dass der Vertrag tatsächlich oder de facto mit Wolt bestanden habe. Im Gegenteil, da die Klägerin zuvor bereits direkt bei Wolt beschäftigt gewesen war, hätte ihr der Unterschied zum Prozedere der Mobile World GmbH auffallen müssen. Auch eine Systematik wollte das Gericht nicht erkennen, dafür seien zu wenige Fälle und Subunternehmen angeführt worden, die auf eine breitere Praxis schließen lassen würden.
Gegen das Urteil kann die um ihren Lohn betrogene Fahrradkurierin Berufung beim Landesarbeitsgericht einlegen. Auf einer Kundgebung unter dem Motto »Pay the workers, Wolt« wiesen Beschäftigte verschiedener Lieferdienste auf die widrigen Arbeitsbedingungen hin. »Die Unternehmen machen ihre Geschäfte auf der Grundlage unserer migrantischen Arbeit«, sagte ein Redner. »Wir bringen die Rechtsverstöße der Firmen ans Licht, obwohl es nicht unsere Aufgabe ist«, meinte der Redner. Dafür seien die Politik und die Behörden zuständig.
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