Ausbeutung und Zwangsarbeit migrantisch Beschäftigter in Berlin

Besonders betroffen sind Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. Eine Berliner Beratungsstelle hilft ihnen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor drei Jahren verwies das Landeskriminalamt den Fall eines rumänischen Bauhelfers an das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (Bema). Anja Smasal, Beraterin für Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit, nennt ihn Herr K., als sie in einer Pressekonferenz am Mittwoch seinen Fall vorstellt: Herr K. habe drei Jahre lang sechs Tage in der Woche zehn Stunden am Tag auf Berliner Baustellen gearbeitet. Anschließend wurde er in eine überwachte Unterkunft gebracht. Durch unregelmäßige Bargeldzahlungen habe er umgerechnet 3,80 Euro in der Stunde verdient. Sein Ausweis wurde ihm abgenommen. Zum Teil habe er vom Arbeitgeber sogar Gewalt erfahren.

Das sei ein klarer Fall von Zwangsarbeit. »Der Fall wartet noch heute, drei Jahre später, auf eine Vorladung am Arbeitsgericht«, kritisiert Smasal. Die Bema, die Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte in elf verschiedenen Sprachen zu sozial-, aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Themen berät, versuchte für Herrn K. Deutschkurse und eine legale Arbeit zu organisieren – zuerst aber einen neuen Ausweis. Trotz Kontakt zur rumänischen Botschaft sei das nicht gelungen. Herr K. musste für den Ausweis zurück nach Rumänien reisen, dann sei der Kontakt zu ihm abgebrochen. »Und jetzt bekam ich einen Anruf vom Gericht, dass der Prozess weitergehen kann und der Zeuge gesucht wird«, beendet Smasal ihren Bericht und klingt frustriert.

An diesem Mittwoch sind Berlins neue Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) und Katja Karger, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Berlin-Brandenburg, bei der Bema zu Gast, um sich über bestehende Probleme aus Sicht der 16 Berater*innen zu informieren. »Zwangslagen oder Unkenntnis unseres Rechtssystems werden teilweise schamlos ausgenutzt«, sagt Kiziltepe über ausbeuterische Unternehmen. »Migrantische Beschäftigte sind die, die das Nachsehen haben«, ergänzt Karger. Sie sei froh, dass die Senatssozialverwaltung die Bema schon seit Jahren unterstütze. Notwendig sei aber eine dauerhafte Förderung durch den Berliner Senat.

Das fordert auch Bema-Projektleiterin Stephanie Sperling. Die aktuelle Finanzierung von 1,2 Millionen Euro jährlich laufe noch bis 2025, doch alle drei Jahre müsse sich das Projekt neu bewerben. Eine richtige Absicherung existiere nicht. Neben der Beratung mache die Bema auch präventive Schulungen zum Arbeitsrecht in Kooperation mit den Volkshochschulen sowie Öffentlichkeitsarbeit. Denn: »Wir wollen, dass sich etwas ändert. Wir müssen an die Strukturen ran«, betont Sperling. Katja Karga fordert unter anderem auch, dass Betriebe und die Umsetzung des Mindestlohns stärker kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden.

Zu den Branchen, in denen ausbeuterische Systeme besonders oft vorkommen, gehören die Hotelreinigung sowie Liefer-, Kurier- und Paketdienste, sagt Monika Fijarczyk, Fachreferentin für Arbeitsrecht der Bema. »Viele Kuriere erzählen, dass der Mindestlohn unterlaufen wird, zum Beispiel durch Akkordarbeit oder Tagespauschalen«, berichtet sie. Auch fehlende Lohnfortzahlung oder sogar Kündigung im Krankheitsfall sowie Schwarzarbeit kämen immer wieder vor. Besonders groß sei der Missbrauch bei Subunternehmen, betroffen seien häufig Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder aus Rumänien, »weil sich Bildung dort nicht an alle richtet«, erklärt Anja Smasal. Daher würden viele Rumän*innen in der Saisonarbeit landen.

Seit vergangenem Jahr hat die Bema ein eigenes Team, das sich um Geflüchtete aus der Ukraine kümmert und aktuell mit zusätzlichen 165 000 Euro im Jahr vom Senat gefördert wird. Jonas Eichhorn, der in diesem Bereich berät, berichtet von einer Zeitarbeitsfirma, die Geflüchteten zuerst auch den Wohnraum gestellt und sie nach einigen Monaten fristlos entlassen habe. »Wenn die Arbeit mit dem Wohnraum verbunden wird, ist die Abhängigkeit noch größer«, sagt er. Einige der Betroffenen hätten eine Zeit lang auf der Straße gelebt, bevor sie zu ihm gekommen seien. Dann habe er festgestellt, dass ihnen pro Monat auch noch mehrere Hundert Euro vom Lohn abgezogen worden waren. Als er den Arbeitgeber konfrontierte, habe dieser sofort reagiert und nachgezahlt – »aber wir haben natürlich nur einen Bruchteil der Betroffenen erreicht«, meint Eichhorn.

Ein weiterer typischer Fall sei, dass eine ukrainische Mutter mit Kindern bei einer Berliner Gastfamilie unterkommt und dann eine*n ältere*n Angehörige*n der Familie pflegen soll – in oft ausbeuterischen Verhältnissen. Häufig wolle die Betroffene dann nicht strafrechtlich gegen die Familie vorgehen, weil sie ihr dankbar für die Unterkunft ist und auch keine andere Wohnung hat.

Insgesamt beriet die Bema im vergangenen Jahr rund 4200 Menschen aus 113 Ländern und konnte für sie Arbeitslohnforderungen in Höhe von mehr als 100 000 Euro brutto durchsetzen. In 41 Fällen habe sich der Verdacht von strafrechtlich relevanter Zwangsarbeit und Menschenhandel erhärtet.

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