• Politik
  • Repression gegen Klimaaktivismus

Letzte Generation: Der Staat ist ein falscher Freund

Der Aktivismus der Letzten Generation ist ein Lehrstück darüber, wie die parlamentarische Demokratie sich unliebsamer Proteste entledigt

  • Marek Schauer
  • Lesedauer: 7 Min.
Aktivismus für den Rechtsstaat: Ob diese Forderung so hinhaut? Aktivist*innen der Letzten Generation im Mai 2023 in Konstanz
Aktivismus für den Rechtsstaat: Ob diese Forderung so hinhaut? Aktivist*innen der Letzten Generation im Mai 2023 in Konstanz
nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Viel Erklärendes muss über die Gruppe Letzte Generation wohl nicht mehr gesagt werden. Ihre Mitglieder kommen vielfach aus der Klimaschutzbewegung und reklamieren, dass die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und der damit verbundenen Erderwärmung mangelhaft seien und so die von Wissenschaftler*innen ermittelten Kipppunkte nach und nach erreicht werden würden. Ihre Forderungen sind: ein Tempolimit auf deutschen Straßen von 100 km/h, die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets und die Bildung eines Gesellschaftsrates, dessen Vorschläge die Regierung an bestimmte Klimaschutzmaßnahmen bindet.

Die Mitglieder der Letzten Generation bemerkten am Beispiel der Klimaaktivist*innen von Fridays For Future, dass die Demokratie beziehungsweise ihre Vertreter*innen Klimaproteste unter Bezug auf die Versammlungsfreiheit unschädlich machen. Daher entschieden sie sich zu Methoden, welche in die Kategorie »ziviler Ungehorsam« fallen und stellen dabei ausdrücklich klar, keine direkte Gewalt gegen Personen anwenden zu wollen. Sie blockieren Straßen durch Festkleben der eigenen Person, bemalen berühmte Gemälde und Denkmäler und mittlerweile auch Symbole des Reichtums wie Privat-Jets auf Sylt.

Pflichtverletzung der Regierung?

In ihrer Argumentation beruft sich die Letzte Generation auf das Grundgesetz (Artikel 20a GG), das Pariser Abkommen und auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im Grundgesetz steht: »Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.« Im Pariser Abkommen formulierten fast alle Staaten der Welt unter anderem das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das oben genannte Urteil vom Bundesverfassungsgericht enthielt Hinweise des Gerichts an die Regierung beziehungsweise die Gesetzgebung, im Klimaschutzgesetz deutlich zukunftsorientierter und nicht nur bis 2030 zu denken.

Mit diesen Argumenten im Gepäck spekuliert die Letzte Generation vermutlich darauf, sie müsste die Regierung mit ihren Aktionen zivilen Ungehorsams allenfalls aufrütteln und an die selbst gesetzten Vorgaben erinnern – damit es dieser dann wie Schuppen von den Augen fällt, dass es tatsächlich höchste Eisenbahn mit dem Klimaschutz ist.

Aber dem war nicht so. Die Antwort auf die Mahnung der Letzten Generation fiel über alle Staatsgewalten weitgehend einhellig aus. Man ließ sich auf keine Debatte ein, ob die Aktivist*innen mit ihren Forderungen recht haben, sondern kritisierte stets allein die Aktionsformen. Kanzler Scholz, der sich selbst als »Klimakanzler« bezeichnete, nannte diese »bekloppt« und die Staatsanwaltschaften und die Justiz taten, was sie sonst auch tun: Sie vergleichen die Taten mit dem Gesetz, abstrahieren so von den Gründen der Letzten Generation und reagieren mit Repression durch Verurteilungen wegen Nötigung, Sachbeschädigung und prüfen zudem die Einstufung als kriminelle Vereinigung, um frühzeitig Ermittlungen und Maßnahmen wie Telefonüberwachung legal durchführen zu können. Da die Letzte Generation sich davon allerdings kaum abschrecken lässt, werden mittlerweile Mitglieder in Bayern mittels polizeilichem Präventivgewahrsam mehrere Wochen weggesperrt und andere Bundesländer denken ihrerseits über eine Nachjustierung des Landespolizeirechts nach.

Es gibt zwar einzelne politische Stimmen, die dieses Vorgehen kritisieren, aber als zynisch bezeichnet werden müssen. Sie bemängeln die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, abstrahieren dabei jedoch ihrerseits von den Gründen der Letzten Generation für ihre Aktionen. Zur Debatte steht hier lediglich die Frage: Wie viel Schlagstock soll es bitte sein? Anders gesagt: Wer nur über die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Gewalt gegen die Betroffenen spricht, der hat nichts gegen den Einsatz von Gewalt an sich – solange dies nur zulässig ist. Dass strafbares Handeln der Letzten Generation mit der Gewalt des Staates konfrontiert gehört, ist aus einer solchen Position heraus vollkommen klar.

Trugbild »gute Herrschaft«

Ein in manchen politischen Kreisen geltendes, ebenso zynisches Urteil war und ist: Wenn Aktivist*innen am Schlagstock oder – ganz modern – am Schmerzgriff scheitern, werden sie klug und begreifen, wer ihr Gegner ist und welche Zwecke dieser verfolgt. Und in unserem Fall liegt es ja eigentlich gar nicht fern, zu erkennen, dass die staatliche Gewalt im Kampf gegen die Erderwärmung die Gegnerin und keine Partnerin ist. Aber tatsächlich macht Erfahrung nicht klug, sondern es kommt drauf an, welchen Schluss man aus ihr zieht.

Dafür ist die Letzte Generation selbst das beste Beispiel. Die staatliche Repression und auch der Hass von Teilen der Bevölkerung, die nach noch mehr Gewalt gegen die Aktivist*innen rufen, bringt sie nicht ab von ihrem Ideal einer »guten Herrschaft«, die den Klimaschutz in ihrem Sinn umzusetzen hat. Vielmehr beklagen sie sich, dass sie etwa bei Hausdurchsuchungen oder Festnahmen wie gewöhnliche Kriminelle behandelt werden. Hier wird deutlich: Auch die Mitglieder der Letzten Generation anerkennen durchaus Gründe, aus denen heraus es recht ist, wenn der Staat den Schlagstock und den Schmerzgriff als Mittel einsetzt – aber eben nur gegen diejenigen, die es aus ihrer Sicht auch verdienen.

Unterstützung erhält diese Sichtweise beispielsweise von Bettina Jarrasch von den Grünen, die auf den Hinweis von Berlins Justizsenatorin Badenberg auf eine Prüfung, ob die Letzte Generation als »Kriminelle Vereinigung« einzustufen sei, erklärte: »Politisch motivierte Strafverfolgung schadet dem Rechtsstaat« – wohlgemerkt dem Rechtsstaat, nicht den Betroffenen der Letzten Generation.

Was sind die staatlichen Zwecke?

»Warum werden wir so schlecht behandelt, trotz unserer hehren Ziele?« Diese Frage scheint in den Stellungnahmen der Letzten Generation mitzuklingen. Wenn sich die Klimaaktivist*innen von ihrem Staatsidealismus für einen Moment distanzieren und einmal in Ruhe nach einer Antwort suchen würden, könnten durchaus klarstellende Gedanken herauskommen.

Erstens zum Thema Demokratie: Diese ist nämlich entgegen ihres Rufs keine Wunschmaschine der Bevölkerung, sondern die gewählte Herrschaft im Bundestag leitet aus der Wahl die Legitimation ab, in Freiheit zu regieren, ganz ungebunden an die Motivation der Wählenden oder deren Nöte. Darin besteht die Souveränität der demokratischen Herrschaft, wie man in Artikel 38 des Grundgesetzes nachlesen kann: »Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages … sind … an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.« Hier wird dann der Klimaschutz abgewogen gegen das Interesse der Bundesregierung, dass Deutschland ein Exportweltmeister von Verbrenner-Fahrzeugen bleibt, wie es seit Jahrzehnten der Fall ist – oder gegen das Anliegen der Energiesicherung mit rauchenden Schloten.

Nichts anderes sagt übrigens die wissenschaftliche Auslegung (die sogenannte Kommentierung) zu dem von der Letzten Generation ständig ins Feld geführten Artikel 20a des Grundgesetzes, der den Schutz der menschlichen Lebensgrundlage zum Gegenstand hat. Er lautet: »Wie bereits deutlich wurde, ist der Gesetzgeber dazu verpflichtet, im Rahmen der allgemeinen Folgenabschätzung auch die Auswirkungen auf die Schutzgüter des Art. 20a in Betracht zu ziehen. … Vielmehr sind Regelungen nach Möglichkeit so zu gestalten, dass sie auch mittelbar keine nachteiligen Auswirkungen entfalten … Sind solche Auswirkungen unvermeidbar, bedarf es ggf. bestimmter Ausgleichsmaßnahmen, wobei dem Gesetzgeber auch hier eine weite Einschätzungsprärogative zusteht, sodass die entsprechenden Verpflichtungen praktisch kaum justitiabel scheinen.«

Die vom Autor dieses Kommentars bemängelte mangelnde Justiziablität oder rechtliche Verpflichtung – ein Problem in der Umsetzbarkeit des Gesetzes – passt zur oben ausgeführten Freiheit demokratischer Souveränität. Dies ist aus Sicht des Rechtsstaates gar kein Mangel, sondern die Fortsetzung der Gewissensfreiheit der Abgeordneten bei ihrer Abwägung, ob und wie der Klimaschutz in ihrer Agenda vorkommen soll.

Zweitens zu den Themen Strafverfolgung und »politische Justiz«: Wie bereits erwähnt, interessiert den sanktionierenden Rechtsstaat die Motivation seiner Straftäter allenfalls im Rahmen der Strafzumessung, also der Strafhöhe. Vor Gericht zählt also nicht, dass Deutschland massive Emissionen produziert, sondern es geht lediglich um die Frage, ob eine Tat aus dem Katalog des StGB erfüllt ist oder nicht. Den Verfolgungseifer der Innenpolitiker*innen gegenüber der Letzten Generation als »politische Justiz« zu kennzeichnen, sitzt einer Fehlvorstellung über den Rechtsstaat auf: Der Schutz dieser Ordnung durch die Strafjustiz ist unpolitisch, eigentlich »natürlich« oder »normal«, weil »man ja nicht klaut, betrügt oder Drogen nur in Apotheken erwerben soll«. Wenn sich dann Innenpolitiker einmischen, missbrauchen Sie die Justiz. Dabei sind sämtliche Schutzgüter wie beispielsweise Eigentum oder das Institut der Volksgesundheit bezüglich staatlicher Drogenkontrollen politische Setzungen. In dem Sinne ist schlicht jeder Strafprozess politisch, ob es nun um den Diebstahl eines Stücks Butter, den Verkauf eines Kilos Kokain, den Betrug des Jobcenters oder eine Straßenblockade geht.

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Wer diese Reflexionen teilt, müsste andere Überlegungen anstellen, als weiter beim Staat vorstellig zu werden und nach Gesellschaftsräten oder Tempolimits zu fragen ...

Eine ausführliche Diskussion dieser Argumente durch den Autor bietet eine Folge des Video-Podcasts »99zuEins«.
https://youtube.com/@99ZUEINS

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal