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  • Ausstellung »Hervé Guibert: This and More«

Die Begrenzung im Bild

Hervé Guibert wurde hierzulande mit einem Roman über Michel Foucault bekannt. Eine Berliner Ausstellungzeigt ihn nun als Fotografen

  • Robin Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Unverständliche Rasierschaum-Botschaft: Hervé Guibert, »Message incompréhensible«, 1990
Unverständliche Rasierschaum-Botschaft: Hervé Guibert, »Message incompréhensible«, 1990

Dass die Fotografie das Abwesende im Anwesenden zum Thema werden lässt, gehört zu den bedeutenden Theoremen der Fotografietheorie im 20. Jahrhundert. In ihren Essays »Über Fotografie« sprach Susan Sontag von einer »Verknüpfung zwischen Fotografie und Tod« und meinte, Fotografieren bedeute, »die Sterblichkeit zu inventarisieren«. Roland Barthes wiederum schrieb in »Die helle Kammer«, dass der Tod das Eidos der Fotografie sei, weil in jedem Foto das »unabweisbare Zeichen meines künftigen Todes enthalten ist«.

Die Texte von Sontag und Barthes dürften dem hierzulande vor allem als Schriftsteller bekannten Hervé Guibert vertraut gewesen sein. 1955 in Saint-Cloud bei Paris geboren, wurde Guibert 1977, als auch sein erstes Buch »Propaganda Death« erschien, mit 22 Jahren Fotografiekritiker der Tageszeitung »Le Monde« und arbeitete dort bis 1985. Guibert veröffentlichte mehr als 25 Romane und Kurzgeschichten, darunter 1990 den autofiktionalen Roman »Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat«, der 1991 auch auf Deutsch erschien. Erst durch dieses Buch, ein Porträt seines Freundes und Nachbarn Michel Foucault, wurde bekannt, dass dieser nicht an Krebs, sondern an Aids gestorben war, was in Frankreich einen Skandal auslöste und die öffentliche Debatte über die Krankheit veränderte.

Auch die meisten von Guiberts Fotografien sind Porträts, zumindest sind es jene, durch die er als Fotograf bekannt wurde: von ihm selbst, aber auch etwa von der Schauspielerin Isabelle Adjani, dem Fotografen Hans-Georg Berger oder seinem Lebensgefährten Thierry Jouno. Weniger bekannt ist hingegen der Teil seines fotografischen Werkes, dem nun die erste Einzelausstellung des Fotografen in Deutschland im KW Institute for Contemporary Art gewidmet ist: über 25 Schwarz-Weiß-Fotografien von Interieurs, Räumen in Wohnungen und leblosen Objekten, die meist, sofern sie datiert sind, aus den 80er Jahren stammen. Auf diesen Bildern von Guibert wird das für die Fotografie charakteristische Abwesende im Dargestellten explizit.

Menschen sind auf den Fotografien nahezu gar nicht präsent. Auf einem Bild sieht man Füße, die, vermutlich von einer am Boden liegenden Person ausgestreckt, ein Sofa berühren; auf wenigen anderen Hände, die Gegenstände vor die Kamera halten, etwa eine trockene Pflanze oder ein Plüschschaf, das den Namen Agneaudou trägt. Lediglich auf einem Foto erkennt man verschwommen durch die Glasscheibe einer Tür einen Menschen sowie auf zwei weiteren Guibert selbst, obgleich kaum deutlich. Auf dem Bild »Autoportrait, porte vitrée« (Selbstportrait, Glastür) von etwa 1986 sieht man hinter einer offen stehenden Glastür ein Bild, das sich von der Wand ablöst, vermutlich auch ein Porträt, sowie links neben der Tür ebenfalls ein Bild, in dessen Scheibe sich Guibert spiegelt; auf »Message incrompehensible« (Unverständliche Nachricht) von 1990 einen Spiegel, auf dem mit Rasierschaum ein unleserlicher Schriftzug steht und in dem Guibert mit seiner Kamera zu sehen ist.

Porträts sind aber auch die anderen Bilder, und zwar in dem Sinne, dass die von Guibert subtil inszenierten Fotografien der Interieurs auf die darin Abwesenden verweisen. Sie sind so komponiert, dass sie die Begrenzung der Fotografien hervorheben und der Bildausschnitt unweigerlich auf das deutet, was außerhalb dieses Ausschnitts liegt – letztlich die Menschen, die in jenen Interieurs wohnen.

Die Fotografien, auf denen größtenteils Betten, Sofas, Tische und Anrichten zu sehen sind, also leblose Gegenstände, wirken selbst alles andere als unlebendig. Die Menschen scheinen nur kurzzeitig aus den Ausschnitten verschwunden; die Gegenstände erzählen durch ihr beinahe unheimliches Eigenleben deren Geschichte – wenn auch, wie es jener vielleicht programmatische Werktitel andeutet, unverständlich. Denn die Geschichten haben kein Vorher und kein Nachher, weshalb den Fotografien selbst etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes zukommt.

So auch dem Bild »Écriture« von 1979 mit einem Tisch, auf dem Tinte, ein Füllfederhalter, Bleistifte, ein Radiergummi, ein Briefumschlag und mehrere Seiten Papier liegen. Was auf diesen steht, ist nicht zu erkennen, aber die Gegenstände werden durch Guiberts Bildsprache in ihrer Bedeutung magisch aufgeladen, überdeterminiert.

Nicht von ungefähr bestimmen auch immer wieder Türen, Fenster und Spiegel den Bildinhalt, also Objekte, die selbst einen Rahmen haben und so wiederum die Begrenzung der Bilder im Bild selbst deutlich machen. Insbesondere den Fenstern kommt in der Komposition eine eminente Bedeutung zu: Der Lichteinfall beleuchtet Teile des Dargestellten, das lässt das Interieur im Kontrast von Hell und Dunkel erscheinen und lenkt so den Fokus auf einzelne Gegenstände – etwa auf sonst unscheinbare Schuhe neben einem Bett wie auf dem Bild »Le départ« (Der Aufbruch) von 1982.

Dass Guiberts Bilder so sehr das Ephemere, das Verschwindende, Vergängliche, betonen und den Blick lenken auf das, was sie nicht zeigen, macht die eigentümliche Melancholie seiner Fotografien aus. Guibert, der gemeinsam mit seinem Freund Thierry Jouno 1988 positiv auf HIV getestet wurde, unternahm 1991 einen Suizidversuch, an dessen Folgen er kurze Zeit später starb. Es ist, als vermittelten seine Fotografien unbewusst eine Ahnung des Todes.

»Hervé Guibert: This and More«, bis 20. August, KW Institute for Contemporary Art, Berlin.

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