Eine Barbie ist keine in Plastik gemeißelte Zukunft von Mädchen

Nadia Shehadeh fände eine »Actionfigur Barbie« nicht das Schlechteste

Ich bin einerseits Feministin und andererseits eine versierte Spielzeugsammlerin. Seit dem Kino-Start von »Barbie« im Juli habe ich dementsprechend schon das ein oder andere Gespräch zu der Flut an Barbie-Artikeln geführt, die jetzt als Begleitaccessoires auf den Markt gepumpt werden. Schon bevor Greta Gerwigs hyperfeminines Opus magnum die Leinwände eroberte, begannen die Gespenster mich auf halbem Ohr zu verfolgen und ich versuchte, sie zunächst zu verdrängen: Nichts hören, nichts sehen, einfach ignorieren. Durch eine Online-Mediensuppe ereilte mich irgendwann doch das Ausmaß der Mantra-Rufe mir fragwürdig erscheinender Ideen: »Barbie ist als Feminismus getarnter Sell-Out!« »Der Barbie-Merch ist die Speerspitze des Kapitalismus!« Ungefähr so. Was zur Hölle war denn da schon wieder los?

Man muss sich mein Leben dabei so vorstellen: In meinem Arbeitszimmer steht auf einem Sideboard das giftgrüne »Castle Grayskull« – genau genommen ein Spielset aus der Actionfiguren-Reihe »Master of the Universe«. Ich besitze außerdem einige seltene Film-Sammlerfiguren, zum Beispiel Dr. Zaius (»Planet der Affen«) oder die »Grady«-Zwillinge (»Shining«). Hinzu kommt eine etwas umfangreichere Skeletor-Kollektion und auch ein Baby-Yoda ist in meinem Besitz, der eigentlich ein Spielzeugroboter ist.

Meine ulkige Sammlung an Nerd-Kram ist zwar dezent als Dekoration in meine Einrichtung integriert, aber trotzdem punktuell auffällig. Oft betreten Menschen meine Wohnung und sagen »Wow!« Einfach, weil sie stellenweise aussieht wie ein Museum der 80er und 90er Jahre, wobei nur noch der Röhrenfernseher fehlt. Vielen Menschen gefällt meine Sammlung – und mein Verdacht ist, dass sie vor allem auch deswegen gefällt, weil ich keine Barbies in dieser streng kuratierten Auswahl an Kuriositäten untergebracht habe.

Nadia Shehadeh
Bielefeld

Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Kritik ruft ab und zu eine »Pennywise«-Actionfigur hervor, die detailreich dem Clown aus dem berühmten Stephen King-Film »Es« nachempfunden ist und in meinem Wohnzimmer-Regal steht. »Also ich wüsste nicht, ob ich sowas in meiner Wohnung haben wollen würde. Das ist ja gruselig!«, heißt es dann oft. Dennoch käme niemand je auf die Idee, die Pennywise-Figur als anti-feministische Spielzeugzelle oder als kapitalistischen Schrott zu deklarieren – obschon es sich genau genommen um einen massenmordenden Clown handelt, der zumindest menschenfeindliche Einstellungen hat.

Als Sammlermaterial ist alles voll und ganz anerkannt – genauso wie anderer Quatsch, den ich schon mein Eigen nannte oder konsumiert habe: Duff-Bier aus der Dose (»Simpsons«), »Gremlins«-Socken, ein Lego-Set zur Serie »Seinfeld« und ein Adventskalender mit Playmobil zur Filmreihe »Zurück in die Zukunft«. Niemand unterstellt mir Gehirnschmelze, wenn ich mich mit der letzten angekündigten »McFarlane«-Reihe mit Batman-Figuren auseinandersetze. Menschen finden das, was ich habe, oft gut, weil auch Männer es ohne falsche Scham besitzen würden. Das ist die traurige Wahrheit. Und als ich im Juli in Barcelona in einer Reihe Vintage-Spielzeugläden unterwegs war, in denen Sammlerstücke und Raritäten feilgeboten wurden, fiel mir eins auf: Es gab alles außer Barbie – und es gab überhaupt sehr wenig Mädchenzeug.

»Ich würde gerne mit ihnen ein Gespräch darüber führen, ob Barbies überhaupt feministische Vorbilder sein können«, so ungefähr lauten die Anfragen, seit der Barbie-Film läuft. Und es wundert mich. Dass es den Film gibt, den viele Menschen weltweit feiern, ist für viele noch hinnehmbar. Dennoch aber bietet sich genau jetzt wieder der Moment an, in dem man Barbie, pinkes Zeug und generell Mädchenkram auf perfide Art und Weise in Frage stellen kann – so, wie man es seit Jahrzehnten eh schon macht. Ganz so, als hätten Personen, die sich für Barbie begeistern, kein Recht auf harmlose und vor allem sinnlose Vergnügungen. Wenn es schon keine gender-neutrale Tauglichkeit der Waren gibt, dann muss es doch zumindest einen höheren Sinn in der Produktpalette geben. Zum Beispiel, indem man bei Barbies wenigstens eine Vorbildfunktion vermutet. Denn alles andere würde doch bedeuten, dass es sich einfach um pinken Plastikmüll handelt, mit dem Profit gemacht und der Planet zerstört wird.

»Der Körperbau ist doch schon unrealistisch«, entgegnet mir jemand, als ich sage, dass ich Barbie schon als Kind eher für eine Kunstfigur gehalten habe. »Bei einer Batman-Figur würde sich doch auch niemand fragen, ob die Brustmuskulatur realistisch ist«, entgegne ich. »Ja, aber bei Batman wissen alle, dass das nur eine Fantasiefigur ist!«, bekomme ich erwidert. Das Problem sei also, dass Barbie ein 1:1-Vorbild aus der realen Welt sei – wobei das etwas ist, was mir schon als Siebenjähriger niemals in den Sinn kam. Ich wusste, dass die Barbie-Fantasiefigur in einem pinken Haus mit einem Swimmingpool wohnt, keinen flachen Fuß hatte und unrealistisch hübsch war. Barbie war ungefähr genauso ein realistisches Vorbild für mich wie die Franchise-Figur »Emily Erdbeer« oder die Figur »She-Ra« aus der Actionserie »Princess of Power«. Ein Spielzeug eben und nicht meine in Plastik gemeißelte Zukunft. Und ich hatte viele Barbies, mit denen ich einige Jahre so viel gespielt habe, dass mich eigentlich eine Gehirnschmelze hätte ereilen müssen, wenn man der Sache Glauben schenkt, dass es schlechtes Spielzeug gibt, das dumm macht (wie zum Beispiel: Barbies).

Gut, der Barbie-Film wird weder die feministische Revolution ausrufen noch das Patriarchat abschaffen, aber das ist ja auch nicht das Anliegen von Blockbustern, deren Ziel Zuschauer*innen-Generierung und Gewinn ist. Den Aufschreienden geht es darum aber auch nicht, und auch die Pseudo-Empörung über die Begleitwaren zum Film dient nur dazu, Barbie auf ihren alt-angestaubten Platz zurückzuverweisen: Sie soll zurück in die Welt kindischer Mädchen, die man – wie es die Journalistin Meredith Haaf zurecht kritisiert – anscheinend immer schon für »so schlicht« hält, dass sie tatsächlich denken, »sie müssten wie ihr Lieblingsspielzeug aussehen«.

Sie selbst habe nie »Stress, Sexualisierung, Körperscham« mit ihren eigenen Spielsachen empfunden, schreibt sie bei Twitter – und ich gehe voll mit. Stress ereilte mich erst, als ich irgendwann feststellte, wofür die Welt um mich herum Barbies hielt: Das alberne pinke Spielzeug von kleinen Kindern, die nicht weiterkommen. Schon als Elfjährige war ich also tunlichst darauf bedacht, die Barbie-Puppen schnell aus meinem Zimmer zu verbannen, um der Welt zu zeigen, dass ich mich auf der Schwelle zum normalen Teenager-Dasein befand. So viel patriarchale Selbstregulierung hatte mir die Welt schon eingebläut.

Der Barbie-Film holt nun mit der Palette an Lipgloss und T-Shirts mit »Kenergy«-Aufschrift die Puppen aus der Schmuddelecke der internalisierten Frauenfeindlichkeit und kann sie zu Nerd-Kram adeln. Und klar, auch das ist kapitalistische Energie, die weder die Gesellschaft verändert noch den Planeten rettet. Barbie ist eine Actionfigur, die über die Jahrzehnte Vielen Freude bereitet hat und die gar nicht so ikonisch war, wie immer behauptet wurde, sondern als Angebot für die Zielgruppe kleiner Mädchen immer mit Argwohn betrachtet wurde. Auf derselben popkulturellen Wertungsskala wie »Star Wars«-Merch stand Barbie nie – aber vielleicht ändert sich das jetzt. Und das wäre nicht das Schlechteste.

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