KI: Militärische Datensammler

Die Ukraine setzt Künstliche Intelligenz auch aus Deutschland ein

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Soldat der Ukraine kontrolliert die Aufklärung mithilfe von Drohnen.
Ein Soldat der Ukraine kontrolliert die Aufklärung mithilfe von Drohnen.

Wie auf zahlreichen anderen militärtechnischen und -taktischen Gebieten bietet der Krieg in der Ukraine bislang ungeahnte Möglichkeiten für Unternehmen der Software-Branche. Auf dem Gefechtsfeld gilt Künstliche Intelligenz (KI) als »disruptive Technologie«, die eine heutige Kriegsführung grundsätzlich verändert. Wer historische Vergleiche braucht, kann sich an den Bürgerkrieg in Spanien (1936–1939) erinnern: Damals schickten Firmen wie Heinkel, Junkers und Messerschmitt ihre modernsten Kampfflugzeuge unter anderem gegen sowjetische Modelle in die Luft. Das verschaffte den deutschen Aggressoren im anschließenden Weltkrieg eine gewaltige Überlegenheit.

Heute geht es unter anderem darum, dass mithilfe vergleichsweise billiger Drohnen gegnerische Hochwertziele entdeckt, identifiziert und bekämpft werden können. Dabei hilft KI. Maschinen lernen, Minen zu erkennen oder Funk- und Radarsignale zu manipulieren. Die Technik vernetzt außerdem die verschiedenen Waffensysteme. So werden neue, komplexe Formen der Aufklärung, der Täuschung und der Truppenführung kreiert. Auffällig ist allerdings: Es gab viele Cyberangriffe im Ukraine-Krieg, bisher ist ihr Einfluss aber geringer als befürchtet: Dank KI, sagen Experten.

Das Ausmaß der Kämpfe in der Ukraine und die ungeheure Anzahl der verschiedensten eingesetzten Waffensysteme und Hightech-Sensoren lassen riesige Datenmengen entstehen. Für diejenigen, die sie sammeln und auswerten können, sind das Ressourcen von unschätzbarem Wert. Diverse westliche Unternehmen, die auf Datenanalyse spezialisiert sind, haben deshalb Stützpunkte in der Ukraine aufgebaut. Hierzu gehören etwa Clearview oder Palantir. Weitere, weniger bekannte Firmen sind sogar direkt an den Frontlinien unterwegs und beraten das ukrainische Militär – in vielen Fällen kostenlos, denn sie profitieren selbst davon.

Man könne sich »gar nicht vorstellen, wie viele ausländische Unternehmen die Ukraine bereits als Testgebiet für ihre Produkte nutzen«, sagt dazu Alex Bornyakov dem Internetmagazin Wired. Er ist der ukrainische Vizeminister für digitale Transformation und betont, das Land sei sich des Wertes seiner Daten durchaus bewusst. Diese würden aber nur herausgegeben, »wenn man eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit anbietet«.

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Auch das junge deutsche KI-Unternehmen Helsing hat nach eigenen Angaben ständig Mitarbeiter in der Ukraine. Gegründet 2021, war Helsing zunächst nur eines von vielen Münchner Start-ups: kreativ und mittellos. Jedoch verfügte Helsing mit Gundbert Scherf über einen Geschäftsführer, der in seiner Zeit als Unternehmensberater bei McKinsey dem deutschen Verteidigungsministerium beim Aufbau eines »Cyber-Kommandos« geholfen hat. Scherf weiß deshalb, was Militärs brauchen.

Die Finanzierung der Firma besorgte anschließend der Schwede Daniel Ek, der mit 100 Millionen Euro bei Helsing einstieg. Der Erfinder des Musik-Streaming-Dienstes Spotify hatte zuvor die Prima-Materia-Stiftung gegründet, deren Ziel ebenfalls das massenhafte Datensammeln ist. Sie soll ehrgeizigsten europäischen Unternehmern dabei helfen, technologische Lösungen für die schwierigsten Probleme der Gesellschaft zu finden. »Wir stehen an einem wichtigen Scheideweg für die Art von Zukunft, die wir für die Welt sehen wollen«, heißt es auf der Webseite der Stiftung.

»Wir glauben, dass Software und insbesondere Künstliche Intelligenz eine Schlüsselrolle für den Schutz unserer Demokratien spielen werden. Unsere Teams entwickeln Technologien, die operative Fähigkeiten neuer und bestehender Verteidigungssysteme in ein neues Zeitalter führen. Wir suchen Menschen, die unsere demokratischen Werte teilen und sie schützen wollen – für uns selbst und für künftige Generationen«, beschreibt sich Helsing selbst.

So entwickelt das kleine Unternehmen offenbar sehr erfolgreich Software zur Verbesserung der »Feindaufklärung«, verknüpft optische Daten mit anderen Sensormessungen, integriert Wärme- und Wetterdaten, paart sie mit Radarmessungen. Ein Großteil der Echtzeit-Auswertung, das sogenannte Edge-Computing, kann auch ohne Datenverbindung auskommen, sollte die Gegenseite den Funk stören.

Zukünftig will auch die Ukraine eine bedeutende Rolle auf dem waffentechnischen KI-Markt spielen. Die Regierung in Kiew wolle zwar nach wie vor Partnerschaften und Kooperationen mit internationalen Unternehmen eingehen, sagt Nataliia Kushnerska, die junge Projektleiterin von Brave1 dem Magazin »Wired«. Brave 1 ist eine staatliche Plattform zur Unterstützung des Rüstungssektors in der Ukraine. Laut Kushnerska ist jedoch die Begeisterung für westliche KI-Systeme abgekühlt: »Technologien, die sehr viel Geld kosten und in [ausländischen] Labors entwickelt wurden, kommen an die Front und funktionieren nicht.« Man lege deshalb immer mehr Wert auf einheimische KI-Lösungen, um das Land vor künftigen russischen Angriffen zu schützen.

Vielleicht steht dahinter auch die Erkenntnis, dass die Daten der Gefechtsfelder in der Ukraine von sehr hohem Wert sind und deshalb selbst vermarktet werden sollen.

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