Dekarboniserung der Fernwärmenetze

Kommunale Wärmeplanung soll verpflichtend werden. Umstritten bleibt die Rolle von Müllverbrennung und Wasserstoff

Die Kommunen sollen zum wichtigen Akteur bei der Wärmewende zur Klimaneutralität bis 2045 werden. So zumindest möchte es die Bundesregierung: Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern sollen bis Mitte 2026 einen Wärmeplan erarbeiten, alle anderen Kommunen bis Mitte 2028. Dies sieht der aktuelle Entwurf des Bundesbauministeriums für ein »Gesetz zur Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze« vor. Die Pläne sollten den regional passgenauen Umstieg auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung vorbereiten, so der parlamentarische Baustaatssekretär Sören Bartol. »Es ist klar, dass wir einen längeren Atem dafür brauchen, die Umstellung braucht Zeit. Aber wer seine Wärmeversorgung jetzt umstellt, spart in Zukunft Energiekosten.«

Das Gesetz soll Mitte August vom Bundeskabinett beschlossen werden, wie das Bauministerium gegenüber »nd« bestätigte. Die Ampel will es bis Ende des Jahres durchs Parlament gebracht haben. Um Turbulenzen wie beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) zu vermeiden, berät sich das Ministerium vorab mit den Ländern und wichtigen Verbänden. Seit einigen Tagen liegt nun die überarbeitete Version vor.

Im Entwurf finden sich Vorgaben zu Datenerhebung und Ablauf der Wärmeplanung. Jede Kommune soll angeben, in welchen Straßen oder Gebieten sie Fernwärme-Versorgung plant, wo Nahwärme zum Beispiel über Biomasse verfügbar sein wird. Bürgerbeteiligung vor Ort wird ebenfalls großgeschrieben. Und das Gesetz soll mit dem GEG verzahnt werden, wie es heißt. So können sich private Haushalte eine womöglich teure Individuallösung beim Einbau von klimafreundlichen Heizungen sparen, wenn sie wissen, dass sie sich an ein Nah- oder Fernwärmenetz anschließen können. Umgekehrt werden die Kommunen in die Pflicht genommen, bis spätestens 2045 die Wärmeversorgung klimaneutral umzustellen, wo bisher Erdgas, Öl und Steinkohle dominieren. Der Anteil der erneuerbaren Energien beim Heizen privater Haushalte beträgt laut Ministerium nur rund 18 Prozent. Bis 2030 sollen laut Entwurf 30 Prozent der leitungsgebundenen Wärme klimaneutral sein; zunächst war noch von 50 Prozent die Rede, was auf Lobbydruck abgeschwächt wurde.

Neu im Entwurf ist auch, dass, wie es Umweltverbände gefordert hatten, kleine Kommunen unter 10 000 Einwohnern ebenfalls eine Planung erstellen müssen. Für sie gibt es ein vereinfachtes Verfahren und die Möglichkeit, sich mit der Nachbargemeinde zusammenzutun.

Mit der Verzahnung geht indes viel Zeit verloren. Für Bestandsbauten tritt die GEG-Vorgabe, nach dem Austausch einer alten Anlage mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu heizen, erst nach Vorliegen einer kommunalen Planung in Kraft. Nur für Neubaugebiete soll diese Pflicht bereits ab 2024 gelten. Um die Wärmewende aber nicht extrem zu verzögern, womit das Erreichen der Klimaziele im Gebäudebereich in noch weitere Ferne rücken würde, will die Ampel bei der kommunalen Planung jetzt etwas mehr Tempo machen. Gegenüber dem ersten Entwurf wurden die Fristen um ein halbes Jahr nach vorn verlegt.

Sehr zum Ärger des Deutschen Städtetages: »Wir setzen darauf, dass die Städte für den Ausbau der Fernwärmenetze die nötige Investitionssicherheit bekommen und dass bei den Fristen kein zu enges Korsett geschnürt wird«, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Verbandes, Verena Göppert, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie plädiert dafür, die ursprünglichen Fristen für die Wärmeplanung – Ende 2026 und Ende 2028 – beizubehalten.

Auch der Stadtwerkeverband VKU verlangt »realistische Vorgaben, die von kommunalen Energieversorgern vor Ort umgesetzt werden können«. Er bemängelt ferner, dass »der immense Finanzierungsbedarf für den Ausbau und die Herstellung klimaneutraler Wärmenetze unerwähnt bleibt«. Bisher will die Bundesregierung den Kommunen laut Entwurf lediglich bei der Erstellung der Wärmepläne unter die Arme greifen – dabei geht es um einen Bruchteil der absehbaren Kosten für Auf- und Umbau der Wärmnetze.

Gleichzeitig freuen sich die Stadtwerke über zwei Neuerungen gegenüber dem ersten Entwurf: eine Aufwertung der Nutzung von Abwärme aus der Müllverbrennung, die nun als klimafreundlich angerechnet werden soll, und darüber, dass Kommunen sogenannte Wasserstoffnetzgebiete verbindlich ausweisen dürfen. Statt Wärmenetz tut es demnach auch ein umrüstbares Gasnetz. Voraussetzung: Die Planer können belegen, dass es vergleichsweise geringe Kosten und »geringe akkumulierte Treibhausgasemissionen« gibt. Hier schuf die jüngst beschlossene Nationale Wasserstoffstrategie der Regierung die Voraussetzung, die auf eine deutlich stärkere Nutzung des Energieträgers setzt und besonders die Handschrift der FDP trägt.

Umweltverbände warnen hier vor Fehlentwicklungen: »Die Gefahr besteht vor allem darin, dass der Einsatz anderer grüner Technologien aufgrund einer Ausweisung als Wasserstoffnetzgebiet ausbleibt«, sagt Ricarda Dubbert, Referentin Energie & Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, gegenüber »nd«. Es dürfe nicht sein, dass »aufgrund einzelner Betriebe, die dem örtlichen Gasverteilnetzbetreiber einen Wasserstoffbedarf anmelden, die energetische Gebäudesanierung und der Heizungstausch in einem ganzen Ortsteil stillsteht«. Zumal die künftige Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff unklar sei, so die Expertin. Haushalte in Wasserstoffnetzgebieten würden zudem auf den hohen Brennstoffkosten sitzenbleiben.

Und auch Müllverbrennung als Teil der Wärmewende ist umstritten: »Abfallverbrennung verursacht jährlich etwa 24 Millionen Tonnen CO2, schadet damit dem Klima, vernichtet wertvolle Rohstoffe, führt zu giftigen Rückständen und sollte deshalb nicht mit Wärme aus erneuerbaren Energien auf eine Stufe gestellt werden«, heißt es in einem offenen Brief zahlreicher Umweltorganisationen und von Vertretern der Recyclingindustrie an die Bundesregierung. Rolf Buschmann, Referent für technischen Umweltschutz beim BUND, warnt vor »Lock-ins«: Wenn Abfallverbrennungsanlagen mit Blick auf die Wärmewende modernisiert oder gar neu gebaut werden, stehe dies dem Ziel einer höheren Recyclingquote im Weg. Zwei Drittel des Restmülls seien Bioabfälle und andere Wertstoffe, die wiederverwendet werden sollten.

Trotz der Kontroverse bei diesen Details, wird einmütig begrüßt, dass kommunale Planung und die Stadtwerke einen großen Stellenwert bei der Wärmwende bekommen sollen. Lediglich AfD, Teile der C-Parteien und der Boulevardpresse sowie die üblichen Heizungsschwurbler machen auf Fundamentalopposition. Von »Planwirtschaft 2.0« und »Energie-Stasi« ist die Rede.

Hauptvorteil der dezentralen Wärmwende: Sie ermöglicht die wohlüberlegte Kombination verschiedener grüner Wärmequellen gemäß lokaler Gegebenheiten. »Man muss dann wirklich auf die Suche gehen nach den jeweils ortsspezifischen Quellen«, sagt Martin Pehnt, Chef des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg. »Aber es gibt überall ausreichend Quellen für diese Dekarbonisierung der Fernwärmenetze.«

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