Der Iran verändert sich von unten

Schon vor den Protesten kämpften Frauen für ein selbstbestimmtes Leben

  • Arne Bänsch, Teheran
  • Lesedauer: 4 Min.

Mariam Talai ist über Irans Landesgrenzen hinaus bekannt. Berühmt wurde die 43-Jährige durch ihre Liebe für den Motorsport. Mehr als 20 Jahre lebte die Frau in Kanada, wo sie 2008 ihr erstes Motorrad kaufte. Tausende Kilometer tourte Talai durch Afrika, ehe sie 2016 wieder zurück in ihre Heimat kam. Frauen im Motorradsport, das war im Iran vor einigen Jahren noch undenkbar. »Früher haben sich andere Sportler über uns lustig gemacht«, sagt Talai. Während immer mehr Frauen den Motorsport für sich entdecken, dürfen sie offiziell gar keinen Motorradführerschein machen.

Heute lebt die 43-Jährige in Teheran, hilft jungen Unternehmerinnen, in der Autobranche Fuß zu fassen, und engagiert sich als Tierschützerin. Elf Hunde, viele mit Verletzungen und schwerer Vergangenheit, leben in ihrer Wohnung. Nebenbei betreibt Talai ein Tierschutzheim in der Einöde rund 100 Kilometer außerhalb der Millionenmetropole. 150 Hunde haben hier ein Domizil gefunden. Das sei nicht immer ganz einfach, sagt sie. Hunde gelten in muslimisch-traditionellen Kreisen als unrein.

Frauen haben mehr Power

Oft wird Talai gefragt, woher sie all die Energie nehme. »Frauen wollen sich nicht mehr verstecken und fühlen sich bestärkt, an sich selbst zu glauben«, sagt sie. Vor allem die junge Generation, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist, habe sich verändert. »Frauen im Iran sind stärker, haben mehr Power, weil sie sich ihren eigenen Weg erkämpfen.«

In einem von Männern dominierten Handwerk zu arbeiten und deshalb unterschätzt zu werden, das kennt Sahar Biglari nur zu gut. In ihrem Tischlerbetrieb im Westen Teherans erzählt die 41-Jährige, wie sie kurz vor der Corona-Pandemie als Quereinsteigerin einen beruflichen Neubeginn wagte. Alles fing an mit einem Tisch, den sie kaufen wollte, aber nicht finden konnte. Kurzerhand beschloss sie, ihr Wunschobjekt selbst zu bauen.

Der Start sei nicht leicht gewesen. »Die meisten Reaktionen waren schlecht, vor allem zu Beginn, als ich Holz eingekauft habe.« Ihre Instagram-Seite habe ihr schließlich zum Durchbruch verholfen. Einen Rückschlag erlebte Biglari wie Tausende andere Unternehmerinnen, als das beliebte soziale Netzwerk vergangenes Jahr von den Behörden im Iran gesperrt wurde. Doch das habe sie nicht daran gehindert, weiterzukämpfen, sagt sie.

Auch zwei Automechanikerinnen sind durch Instagram bekannt geworden: Kiana Yarahmadi und Nilufar Farahmand, beide 32 Jahre alt, haben sich in der Männerdomäne behauptet. Skeptische Kundenblicke gehören inzwischen der Vergangenheit an, wie Yarahmadi sagt: »Heute kommen Kunden mit ihren Autos extra zu uns, unser Auftritt in den sozialen Medien hat ein gewisses Vertrauen hergestellt.«

Das war nicht immer so. Auf Umwegen landeten die Freundinnen in der Autobranche. Yarahmadi etwa studierte erst Jura, bevor sie ihrer Technikliebe nachging. Mentorinnen waren nicht zu finden – schließlich leisteten die beiden Frauen als Auszubildende Pionierarbeit. »Die größte Herausforderung bestand darin, in einem männlichen Umfeld zu lernen und keine Probleme zu bekommen.« Als Beispiel nennt die 32-Jährige, Arbeitskleidung zu finden, die den islamischen Dresscodes gerecht wird.

Die beiden Frauen sind ehrgeizig, erfolgreich und landesweit bekannt. Trotzdem denken sie übers Auswandern nach, nach Deutschland, das besonders unter Autoliebhabern einen guten Ruf genießt. »Früher hätten wir nicht darüber nachgedacht«, sagt Farahmand. Aber: »Als Frau im Iran spürt man kaum Ruhe. Unsere Räume werden immer kleiner.«

Neben dem großen politischen und gesellschaftlichen Druck, dem Frauen im Iran ausgesetzt sind, seien auch die internationalen Sanktionen ein Grund für ihre Überlegungen. Ersatzteile seien oft teuer und schwer oder nur über Umwege zu bekommen. Das führe zu Frust am Arbeitsplatz: »Im Ausland gibt es Elektroautos, hier arbeiten wir täglich an Verbrennern, als ob wir in der Zeit stehen geblieben wären.«

Kampf gegen Rollenbilder

Auch Profisportlerinnen kämpfen gegen fest verankerte Rollenbilder. Als eine der wenigen Bodybuilderinnen Irans ist Sara Mustafanejad immer wieder auf Widerstand gestoßen und hatte teils auch Probleme mit den Behörden. Die Kraftsportlerin ist Anfang 40, lebt in einem ruhigen Außenbezirk der Hauptstadt Teheran, mit eigenem Fitnessstudio.

Vor etwa zehn Jahren hatte die muskulöse Frau ihre professionelle Sportkarriere begonnen. »Das war ganz natürlich, da ich aus einer Sportlerfamilie komme«, erzählt Mustafanejad. Gegen den Strom zu schwimmen sei aber nicht immer einfach. »Wenn man als Frau im Iran anders ist, fällt vieles nicht leicht.«

Trotz oder gerade wegen der strengen Kleidungsregeln boomt die Schönheitsbranche im Iran. Mustafanejad sieht das auch mit Sorge: »Frauen wollen immer schöner und fitter werden und unterziehen sich deshalb kosmetischen Eingriffen.« Ihren Sport übt die Bodybuilderin heute mehr als Hobby aus, auch wenn sie ehrgeizig ist. Wettbewerbe für Frauen gebe es ohnehin nicht. dpa/nd

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