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Leichtathletik-WM in Budapest als Vorbote für Olympia

Ministerpräsident Orbán will Ungarn als internationalen Ort des Sports etablieren. Nationalstolz soll über Probleme des Landes hinwegtäuschen

  • Ewald Walker, Budapest
  • Lesedauer: 5 Min.
Bei den ungarischen Meisterschaften wurde das neue Nationalstadion in Budapest im Juli eröffnet. Zur WM soll es nun auch voll werden.
Bei den ungarischen Meisterschaften wurde das neue Nationalstadion in Budapest im Juli eröffnet. Zur WM soll es nun auch voll werden.

Es hat schon was, in diesen Tagen im prunkvollen Budapester Café New York zu sitzen, unter Kristallleuchtern zwischen marmorierten Säulen, um bei Kaffeehausmusik über die bevorstehende Leichtathletik-WM im fünf Kilometer entfernten neuen »Nemzeti Atlétikai Központ«-Stadion nachzudenken.

Das Oval steht direkt an der Donau, ist ein Schmuckkästchen, für das die ungarische Regierung ganze 310 Millionen Euro ausgegeben hat. Aber Ministerpräsident Viktor Orbán hat noch viel Größeres vor: »Orbán möchte die Olympischen Spiele nach Budapest holen«, sagt der freie Sportjournalist Botond Csepregi. Die Bürger machen da aber nicht so einfach mit, wie es sich der rechtskonservative Regierungschef wünscht. Einem geplanten Referendum aus der Bevölkerung heraus, das gegen derlei millionenschwere Stadionbauten bei gleichzeitig strukturell maroden Bedingungen in den Bereichen Verkehr, Bildung und Gesundheitswesen gerichtet war, kam Orbán einst mit dem Rückzug der Bewerbung für die Spiele 2024 zuvor. Einlenken ist aber nicht sein Stil. Orbán möchte sein Land ja auch seit Jahren ohne Einfluss der EU lenken und trotzdem das Geld aus der Union einsacken.

Der Machtpolitiker ist auch im Sport ein einflussreicher Drahtzieher. Warum investiert er so viel Geld in den Sport? »Er ist sportbesessen, fest überzeugt, dass der Sport Gemeinschaftsgefühl und Nationalstolz erzeugt«, sagt der regierungskritische Journalist János Kele. Mit seiner nationalkonservativen, rechtspopulistischen Partei Fidesz wolle Orbán Ungarn als international bedeutsamen Ort des Sports etablieren. Zuletzt haben in Budapest daher eine Reihe Großereignisse stattgefunden: wichtige Fußballspiele in der Champions League sowie der EM 2021, teils während der Corona-Pandemie, die Schwimm-WM 2022, ein Olympia-Qualifikationsturnier der Ringer und die Handball-EM der Männer im Vorjahr.

Jetzt also wird die Leichtathletik-WM als nächstes propagandistisches Mittel benutzt. Tamas Kiss (66), der 1992 als Trainer aus Nyíregyháza nach Stuttgart kam und seitdem dort als Bundesstützpunkttrainer arbeitet, kennt die Leichtathletik in seiner Heimat im Detail. »Ungarn hatte immer schon außergewöhnliche Werfer und ist vor allem im Hammerwerfen sehr erfolgreich gewesen«, sagt Kiss, der Marie-Laurence Jungfleisch und Fabian Heinle bei der Heim-EM 2018 in Berlin zu zwei Medaillengewinnern formen konnte. Auch mit ungarischen Athleten hat er international schon Erfolge gefeiert.

Tatsächlich kommen sechs Hammerwurf-Olympiasieger aus Ungarn. Kiss weiß aber auch um die besondere Dopinggeschichte der Diskus- und Hammerwerfer: Robert Fazekas und Adrian Annus hatten sich zum Beispiel mit der kreativen, letztlich aber aufgeflogenen »ungarischen Methode der Gießmaschine« Dopingsperren eingehandelt. Sie gaben aus einer versteckten künstlichen Blase heraus sauberen Fremd-Urin und legten so lange die Kontrolleure herein. Kristián Pars, Hammerwurf-Olympiasieger von 2012, wurde nach einer positiven Kokainprobe gesperrt. »Dies alles hat dem Image der ungarischen Leichtathletik sehr geschadet«, weiß Tamas Kiss.

Er kennt aber auch die gute Stadion-Infrastruktur in seinem Heimatland, mit allein sechs modernen Bahnen in Budapest, Győr, Tatabánya, Pécs, Szolnok und Szeged. »Natürlich versucht Orbán mithilfe des Sports Wählerstimmen zu gewinnen«, sagt Kiss. Ein Großteil seiner Mehrheit stammt allerdings aus dem Bereich der Rentnerinnen und Rentner sowie Menschen, die jenseits der eigenen Grenzen leben. Die ungarische Gesellschaft ist politisch längst tief gespalten. Die Leichtathletik-Begeisterung sei dennoch groß, deshalb erwarte er ein volles Stadion, sagt Kiss. Nicht wie im Vorjahr in Eugene, als die Ränge in der US-Kleinstadt nicht ausverkauft waren.

Die Rolle der deutschen Athleten wird dabei wohl erneut eher bescheiden ausfallen. Der Enttäuschung von Eugene 2022 mit nur zwei Medaillen durch Weitspringerin Malaika Mihambo (Gold) und die 4 x 100 Meter-Staffel der Frauen (Bronze) folgten immerhin 16 Medaillen bei der Heim-EM im August des vergangenen Jahres in München, als Sprinterin Gina Lückenkemper, Speerwerfer Julian Weber, die Distanzläufer Konstanze Klosterhalfen und Richard Ringer sowie Zehnkämpfer Niklas Kaul Gold holten und zusammen mit mehr als 300 000 Zuschauern im alten Olympiastadion für ein Sommermärchen sorgten.

Doch was ist dies im Weltmaßstab wert? »Wir wollten natürlich erfolgreicher sein als in Eugene, die Verletzungen machen uns aber einen Strich durch die Rechnung«, ist mittlerweile auch der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands Jürgen Kessing eher pessimistisch gestimmt. Die Verletztenliste im DLV ist zuletzt mit jedem Tag länger geworden und voller Prominenz: Malaika Mihambo, Alexandra Burghardt, Lisa Mayer, Bo Kanda Lita Baehre, Johannes Vetter, Konstanze Klosterhalfen, Hanna Klein und zuletzt Lea Meyer und Katharina Trost haben abgesagt.

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So bleiben nur wenige Medaillenkandidaten übrig. Als Zweiter der Weltrangliste ist Speerwerfer Julian Weber (Mainz) der große Hoffnungsträger, Diskuswerferin Kristin Pudenz (Potsdam) ist als Olympia- und EM-Zweite für Edelmetall gut, einfach wird es aber nicht. Die beiden Zehnkämpfer Niklas Kaul (Mainz) und Youngster Leo Neugebauer (Leinfelden) sind als Europameister und Weltjahresbester wohl schon die letzten Medaillenhoffnungen. Für sonst übliche Überraschungen bleibt wenig Raum und Personal.

Die Stars der WM werden damit wieder andere sein: US-Sprinter Noah Lyles könnte den Titelkämpfen ebenso seinen Stempel aufdrücken wie Stabhochsprung-Überflieger Armand Duplantis (Schweden), Hürden-Ass Femke Bol (Niederlande), Jamaikas Sprinterin Shericka Jackson oder die norwegische Lauffraktion um Jakiob Ingebrigtsen und Karsten Warholm. Die größten Schlagzeilen schrieb in diesem Jahr die überragende kenianische Läuferin Faith Kipyegon, die innerhalb von sieben Wochen gleich drei Weltrekorde über 1500, 3000 Meter und die Meile gelaufen ist. Mit weiteren Bestmarken könnte sie der WM nun Glanz verleihen.

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