Meseberg: Die Broderie der Ampel-Koalition

In barockem Ambiente von Meseberg gibt sich die Regierung geschlossen – mit Förderung der Wirtschaft

Es hat schon fast Tradition: Damit die Bundesregierung mal wieder ein Bild der Einigkeit und Handlungsfähigkeit abgeben kann, braucht es eine Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Die Ampel-Koalition hatte es mit Blick auf die Umfragewerte jetzt besonders nötig; man versucht sich wie zu Beginn der Amtszeit als innovative Macher zu präsentieren.

Schloss Meseberg, das Gästehaus der Regierung 70 Kilometer nördlich von Berlin im betulichen Landkreis Oberhavel gelegen, zeichnet sich durch barocke Symmetrie samt schwülstiger Ornamentik aus. Es kulminiert in der Broderie der Gärten: Die Buchsbaumhecken sind exakt zurechtgeschnitten, hier stört kein bisschen Wildwuchs oder Gärtnerkreativität die im Umriss streng vorgegebene Anordnung.

Überschaubarkeit und Einheitlichkeit prägen auch das Bild, das die Protagonisten des zweitägigen Meseberg-Treffens vermitteln wollten. »Unsere Leistungsbilanz ist gut«, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch auf der Abschlusspressekonferenz vor der Schlosskulisse zur Halbzeitbilanz der Koalition. Sein Grünen-Vize Robert Habeck beschwor eine »lernende Geschlossenheit« des Dreierbündnisses. Und der Dritte im Leitungsbunde, FDP-Chef Christian Lindner, sagte zu den andauernden Streitigkeiten, es werde »gehämmert und geschraubt, was zu Geräuschen führt, aber es kommt was raus«.

Für die Ornamentik bei dem Treffen zuständig war aber Verkehrsminister Volker Wissing. Der FDP-Politiker, der im Kabinett neben dem Ausbremsen der Verkehrswende auch für Digitalisierung zuständig ist, brachte den Gründer des Heidelberger KI-Start-ups Aleph Alpha, Jonas Andrulis, mit, der den Kollegen deutlich machen sollte, wie wichtig Künstliche Intelligenz in Zukunft sein wird. Die Bundesregierung will nun die Voraussetzungen für den Einsatz von KI-Anwendungen in der Verwaltung schaffen, wie Wissing ankündigte. Die zentralen Fragen angesichts der Risiken in diesem Bereich – insbesondere die der Regelung der Haftung für Schäden durch lernende Maschinen – werden hingegen nicht angepackt.

Konkret wurde es bei einer anderen Frage: Was tun gegen die Wirtschaftsflaute? Die Unternehmensverbände hatten im Vorfeld des Meseberg-Treffens massiv die Lobbytrommel gerührt und auf ein »klares Signal für mehr Wachstum« gedrängt. Verbunden wurde dies mit Weltuntergangsszenarien einer angeblich bedrohten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Zwar haben BDI, BDA, DIHK und andere Verbände immer ellenlange Wunschlisten parat, aber die derzeitige Konjunkturschwäche – für das Gesamtjahr 2023 wird mit einem leicht schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt gerechnet – sowie lautstarke Töne der konservativen Opposition bauten Handlungsdruck auf.

Und die Bundesregierung liefert wirtschaftspolitische Broderie: Kernstück der Meseberg-Beschlüsse ist ein von den Koalitionschefs Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner verfasster »Zehn-Punkte-Plan für den Wirtschaftsstandort Deutschland«. Die übersichtlich aufgereihten Maßnahmen sollen eine »grundlegende Modernisierung« der Volkswirtschaft befördern, wie es in dem Papier heißt. Darin finden sich mehrere längst beschlossene Punkte, aber auch einige neue Vorhaben. Dazu gehört ein Zukunftsfinanzierungsgesetz, das innovativen Start-ups bei der Mobilisierung privaten Kapitals helfen soll. Vorne dran steht das von Finanzminister Christian Lindner konzipierte Wachstumschancengesetz, das sich auf Dutzende Maßnahmen zu Steuervereinfachung und -entlastung der Wirtschaft kapriziert. Rund sieben Milliarden Euro pro Jahr sind dafür veranschlagt. Insbesondere eine bessere Verlustverrechnung soll mit Blick auf die Transformation Richtung Klimaneutralität Investitionen bei kleinen und mittleren Unternehmen anstoßen.

»Das ist reine Angebotstheorie, mit der die Nettogewinne gesteigert werden sollen«, kritisiert der Bremer Ökonom Rudolf Hickel gegenüber »nd« das Gesetzesvorhaben. »Abschreibungen beim Wohnungsbau und Investitionsprämien werden einen spürbaren Investitionsschub nicht auslösen.« Dem Mitgründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fehlt die Analyse der Ursachen der Investitionsschwäche: Lieferkettenprobleme, Energiepreise, Krise der Globalisierung auch durch geopolitische Blockbildung sowie Protektionismus vor allem aus den USA. Das Vorhaben vermeidet laut Hickel zudem eine »umfassende Politik der wirtschaftlichen Sanierung unter dem Regime des ökologischen Umbaus«. Jetzt wären Förderprogramme für den mittelfristigen Umbau wichtig, die sofort zu Investitionen führen.

Die Wirtschaftslobby ist derweil erstmal zufrieden, auch wenn man dies nur als ersten Aufschlag ansieht. Nicht zum Zehn-Punkte-Plan gehört indes die Frage eines vergünstigten Strompreises für energieintensive Industrien wie Stahl, Zement und Chemie, den einzelne Länder mit dem Argument einer angeblichen drohenden Deindustrialisierung seit Monaten lautstark fordern. Hier sind die Liberalen dagegen, die Grünen dafür. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu Anfang der Woche sogar ein Konzept beschlossen, dem indes der Kanzler nicht zustimmt. In Meseberg sagte Scholz, insbesondere der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren und der Nord-Süd-Netze solle für günstige Strompreise sorgen. Ihm ist klar, dass der koalitionsinterne Streit darum weitergeht. Er wünscht sich jedoch in Zukunft »ein Hämmern und Klopfen mit Schalldämpfer«.

Und so gleicht der Auftritt in Meseberg auch einem barocken Musikstück. Die in Massen fabrizierte Auftragskunst für die Fürstenhäuser zeichnete sich durch die Ritornellform aus: Auf ein wiederkehrendes Motiv des Orchesters folgen teils konstrastierende Solopassagen.

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