- Politik
- Landtagswahlen in Bayern
Volksfest Gillamos: Wenig Inhalt, viel Kulturkampf
Politischer Schlagabtausch im Bierzelt – Söder und Aiwanger setzen auf billigen Populismus
Nur wenige Tage nach der Affaire um das antisemitische Flugblatt aus dem Hause Aiwanger scheint das Thema für Markus Söder (CSU) abgeschlossen zu sein. Erst am Sonntag hatte der bayrische Ministerpräsident angekündigt, seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz der gravierenden Antisemitismus-Vowürfe im Amt zu behalten. Genau wie Söder schwieg auch Aiwanger beim traditionellen politischen Schlagabtausch auf dem »Gillamoos«-Volksfest im niederbayrischen Abensberg zu dem Vorfall. CDU-Chef Friedrich Merz lobte derweil Söder für die Aufarbeitung der Flugblatt-Affäre. Dieser habe in den vergangenen Tagen eine verdammt schwierige Aufgabe gehabt – und die habe er bravourös gelöst.
Stattdessen setzten die Konservativen kurz vor der bayrischen Landtagswahl im Oktober auf populistische Erzählungen und Kulturkampf von rechts. Bei der Bierzelt-Ansprache des CDU-Chef Friedrich Merz ging es – genau wie bei seinen Kollegen der CSU und den Freien Wählern – vorrangig darum, mit altbekannten Feindbildern Stimmung zu machen. Ganz nach dem Motto: Die woke Berlin-Elite, repräsentiert durch die Ampel-Regierung, will der bayrischen Bevölkerung ihren traditionellen Lebensstil verbieten. Merz konstatierte etwa während seiner Rede: »Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland«. Damit suggeriert er, all das, wofür Berliner Szenekieze stereotypisch bekannt sind – etwa queer-feministische und antirassistische Diskurse –, gehöre nicht ins Land.
Auch Aiwanger und Söder bedienten sich einer ähnlichen »Die da oben in Berlin«-Rhetorik. Woke Moralisten, so der Freie-Wähler-Chef, versuchten immer mehr, die Meinungsfreiheit in Deutschland einzuschränken und dem Rest der Bevölkerung des Mund zu verbieten. Deshalb habe sich seine Partei etwa bei der Debatte über kulturelle Aneignung entschieden hinter die Winnetou-Fans gestellt. Söder beteuerte nach gleichem Muster seine Solidarität mit denen, die dafür in die Kritik geraten waren, den Schlagersong »Layla« gefeiert zu haben. Der Sommerhit 2022 enthielt explizit frauenverachtende Textzeilen. Er selbst befürworte den Feminismus sehr, erklärte Söder und lachte: »Im Herzen sind wir doch alle Feministen.« Schließlich habe der CSU-Chef ja auch zwei Töchter. Verpflichtendes Gendern, das werde es aber an bayrischen Schulen unter Führung der CSU niemals geben.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Die links-grünen Großstädter und die Ampel gefährdeten nach Sicht der erzkonservativen Politiker aber nicht nur die traditionelle Lebensweise, sondern auch den Wohlstand in Deutschland. Aiwanger kritisierte etwa, das Bürgergeld werde einfach so an junge, gesunde Menschen ausgezahlt, ohne jegliche Nachfrage. »Man muss sich inzwischen mehr dafür rechtfertigen, zu arbeiten als nicht zu arbeiten«, beklagte er. Um harte Arbeit und gute Leistung wieder zu fördern, forderte Aiwanger eine Abschaffung der Erbschaftssteuer. »Weil Kinder Hunderttausende und teils Millionen an Erbschaftssteuern zahlen müssen, werden in Deutschland keine Häuser mehr gebaut.« Mit billigem Populismus habe seine Rede, so Aiwanger, aber nichts zu tun.
Wenige Meter entfernt hagelt es bei den Oppositionsparteien scharfe Kritik. Die Flugblatt-Affäre spielte vor allem bei SPD und Grünen eine Rolle. Aiwanger verhalte sich unanständig, kritisierte SPD-Bundeschef Lars Klingbeil. Es würde der politische Diskurs verschoben, »da verschwindet Anstand aus der Politik«, sagte er. Klangbeil warf Söder Egoismus vor: »Der guckt nur auf sich selbst, aber nicht auf dieses Bundesland.«
Ähnlich die Grünen. »Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Antrieb unseres Handelns«, so der Spitzenkandidat der bayerischen Ökopartei, Ludwig Hartmann: »Der Populismus ist der Feind unserer Demokratie.« Für den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki ist Aiwanger ebenfalls »ein gnadenloser Populist«. Und weiter: »Aber das ist in Bayern ja üblich, der Ministerpräsident Markus Söder ist es ja auch.«
Hubert Aiwanger überließ das Thema Flugblatt-Affäre unterdessen anderen Vertretern seiner Partei. Der parlamentarische Geschäftsführer, Fabian Mehring, bezeichnete die Vorwürfe als Kampagne »mit dem Ziel, der Ampel den Weg zu bahnen«. Die Opposition habe den Vize-Ministerpräsidenten »aus wahltaktischen Gründen in den Dreck ziehen wollen«.
Spätestens am Donnerstag werden sich CSU und Freie Wähler noch einmal mit der Thematik auseinandersetzen müssen. Dann nämlich beschäftigt sich der sogenannte Zwischenausschuss im bayerischen Landtag in einer von Grünen, SPD und FDP beantragten Sondersitzung mit den Vorwürfen.
Der Gillamoos ist ein Jahrmarkt mit Volksfestbetrieb, der immer Anfang September stattfindet. Die Veranstaltung im Landkreis Kelheim hat eine mehr als 700-jährige Tradition und ist gerade für die politischen Reden am letzten Festtag überregional bekannt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.