Holpriger Start für die Tories

Nach der Sommerpause ist in Großbritanniens Politik kein Trendwechsel erkennbar

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Das hatte sich Großbritanniens Premierminister so schön ausgemalt. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub mit der Familie im sonnigen Kalifornien wollte Rishi Sunak die Labour-Opposition mit einer Reihe von Initiativen vor sich hertreiben: die Ankunft von Bootsflüchtlingen über den Ärmelkanal verhindern, der Verbrechensrate zu Leibe rücken. Jede Woche etwas Neues, an dem sich Labour abarbeiten sollte.

Der Plan ist jedoch gründlich schiefgegangen. Sunaks Luxusurlaub in der US-Zweitheimat führte den Briten noch einmal vor Augen, dass ihr Premier Multimillionär ist, während das Land unter hohen Strom-, Lebensmittel- und Mietkosten leidet.

Das fragwürdige Tory-Vorhaben gegen einige der Verdammten dieser Erde unter dem Motto »Stoppt die Boote!« sollte durch Verbringung Hunderter Flüchtlinge auf die »Bibby Stockholm«, eine Art riesiges Gefängnisschiff, angegangen werden. Den angeblich erbosten Steuerzahlern sollten damit Tory-Behauptungen zufolge Unterbringungskosten erspart bleiben. Doch zunächst einmal konnten ganze 39 Ankömmlinge die »Bibby« betreten. Bereits nach zwei Tagen mussten sie wieder evakuiert werden, wegen Legionellengefahr an Bord.

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Sunaks rabiate Innenministerin Suella Braverman, ehrgeizige Rechtsaußen im Kabinett, will damit punkten, dass sie der Polizei befahl, ausnahmslos jedes kleinste Vergehen zu ahnden – selbstverständlich ohne zusätzliches Personal oder genügend Ressourcen.

Der Kampf der Regierung um günstige Schlagzeilen ist zunächst kläglich gescheitert. Labours Vorsprung in den Umfragen pendelt trotz eigener Untätigkeit weiter zwischen 14 und 21 Prozentpunkten.

Den neuesten Schlag brachte der Schulanfang in der vergangenen Woche. Nach der Pandemiezeit und dem dazugehörigen Unterrichtsausfall ereilte viele Kinder und ihre Eltern die Nachricht, dass die Dächer etlicher Schulgebäude wegen alternden Betons einsturzgefährdet seien und das Lernen dort nicht sicher möglich sei. Bildungsministerin Gillian Keegan versuchte mit der Aussage zu trösten, sie selbst sei trotz fehlender Qualifikationen aufgestiegen. Der sonst knauserige Finanzminister Jeremy Hunt hat Soforthilfe versprochen. Doch nur wenige glauben ihm.

Der Verlust der Glaubwürdigkeit geht auf die unselige Brexit-Entscheidung und ihre wirtschaftlichen und politischen Folgen zurück. Premier Sunak vermag die scharfe antieuropäische Haltung einer mächtigen Minderheit in der Tory-Fraktion nicht zu bremsen – teils weil er selbst gegen den EU-Verbleib agitiert hatte, teils aus Schwäche.

Statt sich mit den EU-Hassern in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen und ihnen das satte Minus in der Handelsbilanz um die Ohren zu hauen, umgibt sich Sunak mit bequemen Jasagern wie dem neuen Verteidigungsminister Grant Shapps. Es ist bereits dessen fünfter Regierungsjob binnen zwölf Monaten, doch von den Problemen in seinem Ressort – von der Militärhilfe für die Ukraine bis zu kostspieligen und komplexen Beschaffungsprojekten – versteht er wenig. Umso loyaler ist Shapps zum Chef.

Ähnlich liegt das Problem bei Shapps’ Nachfolgerin als Ministerin für Energiesicherheit und Klimaneutralität, Claire Coutinho. Hier blättert der grüne Anstrich, den sich die Konservativen geben wollten, wegen der Interessen der Gas- und Ölindustrie schnell ab. Rechte Hardliner unter den Tories wollen sich mit der wenig intelligenten Forderung profilieren, Klimaaktivisten wie die Anhänger von »Just Stop Oil«, die den reibungslosen Autoverkehr behindern, einzulochen.

Sunaks Gegenspieler, Labour-Chef Keir Starmer, präzisiert indessen mit der Umbildung seines Schattenkabinetts den Kurs für mögliche Wahlen zum Unterhaus im kommenden Jahr. Starmers neue Stellvertreterin Angela Rayner soll ein eigenes Ministerium für »Levelling Up«, also die Besserstellung benachteiligter Regionen, erhalten. Rayner folgt Lisa Nandy nach, die zur Schattenentwicklungshilfeministerin degradiert wurde, aber deshalb nicht das Handtuch geworfen hat.

Zwei ausgewiesene Freunde des früheren Premiers Tony Blair wurden von Starmer berücksichtigt. Liz Kendall wird das Arbeits- und Rentenressort überwachen, Pat McFadden Labours Wahlkampagne koordinieren. Thangam Debbonaire ist zuständig für Kultur, Medien und Sport, Nordirland geht an den Routinier Hilary Benn. Labour behält also die Initiative. 

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