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»Für mich ist Feminismus immer etwas Lustförderndes und Lustbefreiendes gewesen«

Die österreichische Regisseurin Katharina Mückstein über ihren Dokumentarfilm »Feminism WTF«

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 6 Min.
»Ich wollte leerstehende kapitalistische Funktionsarchitektur mit intersektionalen Ideen ausfüllen«, sagt die Regisseurin Katharina Mückstein.
»Ich wollte leerstehende kapitalistische Funktionsarchitektur mit intersektionalen Ideen ausfüllen«, sagt die Regisseurin Katharina Mückstein.

In Ihrem Film kommen Akademiker*innen in kurzen Statements zu Wort, die erstaunlich leicht verständlich und auf den Punkt formulieren. Wie haben Sie Ihre Interviewpartner*innen gebrieft? Sollten sie sich eine bestimmte Zielgruppe vorstellen?

»Feminism WTF« ist eine Hommage an den akademischen Feminismus und versucht, eine Brücke zu schlagen zu einem interessierten Publikum. Ich habe die Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen gefragt: »Wie erklärst du dein wissenschaftliches Interesse bei einem Abendessen mit Leuten, die keine große theoretische Vorbildung haben?« Es war mir wichtig, dass es ein gemeinsames Vorhaben ist, zu einer möglichst niedrigschwelligen Sprache zu finden.

Wie haben Sie die Auswahl der Expert*innen getroffen?

Ich wollte unterschiedliche Personen, Perspektiven und Fachbereiche im Film haben, wobei es natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit gibt. Die Expert*innen sollten zumindest einen kleinsten gemeinsamen Nenner wie Intersektionalität haben. Alle können durchaus zweifelnd sein, Ambivalenzen aushalten und haben Lust auf den Diskurs. Letztlich ist die Zusammenstellung dieser elf Personen meiner persönlichen Prioritätenliste geschuldet.

Die Abgrenzung gegenüber Terfs, die ich natürlich auch nicht als Feminst*innen bezeichnen würde, und die Einbindung von Trans-Expert*innen scheint Ihnen sehr wichtig zu sein.

Absolut, auf keinen Fall hätte ich eine Perspektive zu Wort kommen lassen, die Trans-Hass reproduziert. Die Debatte um Trans-Rechte war zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Film konzipiert habe, in Europa noch nicht so polemisch und hassvoll aufgeladen wie heute. Sonst hätte ich darauf viel mehr Fokus gelegt.

Trotzdem kann man Ihren Film als Beitrag zur aktuellen Debatte sehen.

Ja, Aufklärung über die Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit sollte von Anfang an ein wichtiger Punkt in der Erzählung des Films sein. In der Trans-Debatte reden viel zu viele mit, die nicht mal ein Basiswissen davon haben.

Ihr Film handelt nicht nur vom Feminismus, Sie sprechen auch von einer feministischen Art, Filme zu machen.Was verstehen Sie darunter?

Ich komme aus dem Spielfilmbereich, in dem sehr krasse Arbeitshierarchien vorgegeben sind und ich als Regisseurin unheimlich viel allein entscheiden darf oder muss – je nachdem, wie sehr man auf Macht steht. Bei »Feminism WTF« war das ganz anders. Ich musste die Expert*innen und Performer*innen, die allesamt aus einer queerfeministischen Szene kommen und klare Vorstellungen davon haben, was Kooperation bedeutet, davon überzeugen, in diesem Projekt mitzuwirken. Die Machtachse war umgedreht. Ich musste mir überlegen: Wie schaffe ich einen Raum, in dem sie sich wohlfühlen, sich öffnen können, in dem sie bereit sind, sich von uns ein Kostüm anziehen zu lassen, und mir dann die Verantwortung übertragen, sie abzubilden und im Schnitt die Bedeutungszusammenhänge herzustellen.
Dieses Projekt hat mir gezeigt, wie ich auch im Spielfilm gern arbeiten würde: viel mehr auf Augenhöhe und in Kooperation, als Regisseurin viel mehr fragend als wissend. Leider verunmöglicht die Priorität von Zeit und Geld vieles, und wir können uns oft nur korrigierend mit feministischen Perspektiven einbringen.

Warum nehmen Sie sich im Film in der Position der Zuhörenden zurück und betonen an manchen Stellen dennoch Ihre Anwesenheit?

Mir war nicht daran gelegen, als Person in Erscheinung zu treten, auf der anderen Seite spielt Subjektivität eine große Rolle. Ich habe mich da sichtbar gemacht, wo ich es für notwendig gehalten habe. Zum Beispiel, als ich die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan gefragt habe, ob sie bereit ist, einem weißen europäischen Publikum eine Nachhilfestunde zu geben in Geschlecht und Kolonialgeschichte. Diese Erlaubnis wollte ich stellvertretend für das Publikum einholen.

Ist es als kämpferische und antikapitalistische Geste zu verstehen, dass Sie mit den bunt gekleideten Expert*innen und queeren Performer*innen im wahrsten Sinne des Wortes Farbe in ein tristes verlassenesrogebäude hineinbringen?

Ich wollte leerstehende kapitalistische Funktionsarchitektur – also Räume, in die wir hineingepresst werden, in denen unsere Arbeitskraft rausgepresst wird, bis sie uns zur Rente wieder ausspucken – mit intersektionalen Ideen ausfüllen. Es hat mir gefallen, das Haus auch als Raum für eine Community zu verstehen. Die Tanzperformances drehen sich um das Unten und Oben, den Keller, den wir mit Wasser überflutet haben, die Treppen, die es zu erklimmen gilt. Das übergeordnete System, in dem wir das alles denken müssen, ist eben Kapitalismus.

Dienen die Tanzsequenzen zudem der Betonung von Körperlichkeit oder sind sie eine Referenz an die Frauenrechtlerin Emma Goldman, der das Zitat »If I cant dance, I dont want to be part of your revolution« zugeschrieben wird?

Beides. Für mich ist Feminismus immer etwas Lustförderndes und Lustbefreiendes gewesen. Queere Körper und Queerness auf eine schöne und feierliche Weise auf die große Leinwand zu bringen, soll auch ein Geschenk zurück an meine Community sein. Feminismus ist außerdem nicht nur Denken, sondern auch Kunst, Aktivismus, Ausdruck und Körper. Die Performance- und szenischen Sequenzen sollen Räume eröffnen, in denen das, was man gerade mit dem Hirn rezipiert hat, in den Körper sinken darf und auf einer sinnlichen Ebene nachwirken kann.

Sie haben mit eigenen Erfahrungsberichten Mitte vergangenen Jahres die MeToo-Debatte in der österreichischen Film- und Theaterbranche angestoßen. Hat sich seither etwas getan?

Es wird einerseits viel mehr und offener über Machtmissbrauch gesprochen. Strukturell hat sich aber nicht viel verändert. Es besteht eine große Ratlosigkeit, wie man mit der Gewalt, die unter uns ist, umgehen soll. Da gibt es Abwehrreaktionen, Versuche, einzelne Bösewichte auszumachen und auszuschließen, damit alle anderen reingewaschen sind. Dabei ist der Übergriff die Normalität und nicht die Ausnahme. So weit, dass sich die Branche mit sich selbst und ihren Ausbeutungs- und Machtstrukturen wirklich befassen kann, sind wir definitiv noch nicht.

Ich möchte Ihre Schlussfrage an die Expert*innen im Film nun an Sie richten: Was wird der Feminismus in 100 Jahren erreicht haben?

Die Expert*innen haben die Frage mit einiger Skepsis beantwortet, und mir geht es genauso. Der intersektionale Feminismus hält unheimlich viele Ideen bereit, mit denen wir den aktuellen Krisen begegnen könnten; wir müssten sie schnell aufgreifen, damit wir noch die Kurve kratzen können. Gleichzeitig macht mir Angst, wie erfolgreich sich rechte Ideologie durchsetzt, die alles, was der Queerfeminismus erkämpft hat, wieder rückgängig machen will. Ich fühle mich wie in einer Cliffhanger-Situation: Werden wir es schaffen? Ich weiß es nicht.

»Feminism WTF«, Österreich 2023. Regie: Katharina Mückstein. Mit: Maisha Auma, Persson Perry Baumgartinger, Astrid Biele Mefebue, Nikita Dhawan u.a. als Expert*innen. 96 Min. Kinostart: 7. September.

Interview
Regisseurin Katharina Mueckstein beim RadioEins Berlinale-Nightt...

Katharina Mückstein wurde 1982 in Wien geboren. Sie studierte Philosophie und Gender Studies. Danach absolvierte sie ein Regiestudium an der Filmakademie Wien – vor allem bei Michael Haneke. Schon ihr erster Spielfilm »Talea« wurde 2013 beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet. Ihr Coming-of-Age-Drama »L’Animale« wurde zur Berlinale 2018 in die Sektion Panorama eingeladen.

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