Russisches Uran in Lingen

Umweltschützer fordern das Ende der Uranlieferungen nach Deutschland

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.

Der im niedersächsischen Emsland gelegenen Stadt Lingen stehen 40 weitere russische Atomtransporte ins Haus. Das geht aus einem Rundschreiben hervor, das die Umweltgruppe »Ausgestrahlt« veröffentlicht hat. Die Umweltschützer*innen beziehen sich auf eine Entscheidung des Bundesamtes für die Sicherung der nuklearen Entsorgung (BASE): Das Amt hat mit Zustimmung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) die Urantransporte aus Russland zur Brennelementanlage im niedersächsischen Lingen genehmigt. Die erste Lieferung soll bereits Anfang September erfolgt sein.

Dem russischen Umweltschützer und Träger des alternativen Nobelpreises von 2021, Wladimir Slivjak, zufolge, stehen die Lieferungen im Zusammenhang mit dem direkt dem Kreml unterstellten Unternehmen Rosatom. Für ihn ist das Geschäft mit der russischen »Rüstungsfirma« ein Skandal, wie Slivjak das Unternehmen bezeichnet. »Wer jetzt von Putin Uran kauft, handelt unverantwortlich, unterstützt den Krieg in der Ukraine und leistet Beihilfe zu Kriegsverbrechen«, sagte Slivjak gegenüber »nd«.

Tatsächlich scheint Rosatom nicht nur Atomkraftwerke und nuklearen Brennstoff zu produzieren. Das Unternehmen soll auch an der Entwicklung neuer Waffen beteiligt sein. So waren am 8. August 2019 bei einem Waffentest in einem militärischen Testgebiet in der Nähe von Archangelsk fünf Atomexperten ums Leben gekommen. Der Vorfall war als Erstes durch die russische Atomenergieagentur bekannt gegeben worden. Kurz danach hatte auch das russische Verteidigungsministerium vom Tod zweier seiner Angehörigen berichtet.

Nun stellt sich die Frage, was Mitarbeiter der Atomwirtschaft auf einem militärischen Sperrgebiet machen, und auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem gerade eine neue Waffe getestet wird. Vieles deutet darauf hin, dass das Verteidigungsministerium und die Atombehörde bei der Entwicklung neuer Waffen zusammenarbeiten. Zudem spielt auch Rosatom im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Rolle. Denn nachdem Anfang März 2022 russische Truppen Europas größtes Atomkraftwerk, das AKW Saporischschja in Energodar, mit militärischer Gewalt überfallen hatten, übernahm das Unternehmen im Anschluss die technische Aufsicht über das erbeutete AKW.

Julian Bothe von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt« und Alexander Vent vom Bündnis »AtomkraftgegnerInnen im Emsland« (Agiel) verurteilten die Lieferungen: »Die skrupellose Geschäftemacherei der Atomfabrik Lingen mit dem Kreml muss endlich ein Ende haben«, fordern sie. Seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine habe die Brennelemente-Fabrik im Emsland bereits achtmal Uran aus Russland importiert.

»Jede Uranlieferung beschert dem Kriegstreiber Putin weitere Deviseneinnahmen«, kritisieren die beiden Umweltschützer Bothe und Vent. »Alle Atomkraftwerke, die weiterhin Brennelemente aus Lingen beziehen, und alle Stromkund*innen, die den daraus erzeugten Atomstrom kaufen, unterstützen aktiv den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine.« Es sei aus ihrer Sicht beschämend, dass die deutschen Behörden anderthalb Jahre nach Beginn des Kriegs grünes Licht für bis zu 40 weitere Uran-Lieferungen gegeben haben.

Offensichtlich soll diese deutsch-russische Zusammenarbeit mit Rosatom noch ausgebaut werden. In einem Joint Venture mit Rosatom wolle die Atomfabrik die Brennelemente-Produktion in Lingen sogar noch ausweiten, berichten die Umweltschützer, die ein Ende der Atomgeschäfte mit Russland fordern.

Kritik kommt auch aus der Ukraine. Deutschlands Entscheidung, mit Rosatom weiter im Geschäft zu bleiben, ist enttäuschend, findet der ukrainische Umweltaktivist und stellvertretende Direktor der ukrainischen Umweltorganisation Ekodi, Olexi Pasyuk. Russland werde so lange Krieg führen, bis dem Staat das Geld ausgehe, erklärte der Umweltschützer gegenüber »nd«. Er bedauert, dass die EU noch immer keine Sanktionen gegen Russlands Atomwirtschaft verhängt hat. Vergangenes Jahr hatte das Bundesumweltministerium zwar angekündigt, sich auf europäischer Ebene für eine Erweiterung der Sanktionsmaßnahmen auf die russische kerntechnische Industrie einzusetzen. Doch die Ankündigung blieb bislang folgenlos. Pasyuk zufolge zeige der Fall Lingen zudem deutlich, dass die Atomwirtschaft von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Es sei darum nicht richtig, sie als autonom zu bezeichnen, betont er.

Immer wieder protestieren in Lingen Umweltschützer*innen gegen die Urantransporte aus Russland. Doch nicht nur dort ist Rosatom gut im Geschäft. Im Dezember 2009 war die Nukem Technologies GmbH vom russischen Kernkraftwerkhersteller Atomstroiexport, der wiederum Rosatom gehört, für 23,5 Millionen Euro übernommen worden und sitzt nun im bayerischen Alzenau.

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