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  • Kopftuchverbot im Neutralitätsgesetz

»Kopftuch-Debatte« – Berufsverbot wegen Hijab soll fallen

Das »Kopftuchverbot« für Lehrende steht erneut zur Diskussion im Berliner Abgeordnetenhaus

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 3 Min.

Acht Jahre sind vergangen, seit das Bundesverfassungsgericht entschied, dass ein sogenanntes Kopftuchverbot mit der Verfassung unvereinbar ist. Bald acht Monate sind vergangen, seitdem das Land Berlin Beschwerde gegen das Bundesarbeitsgericht eingereicht hat, mit dem Ziel, Lehrenden weiterhin das Tragen von Hijabs zu verbieten – ohne Erfolg. Nun ist es fünf nach zwölf, um antimuslimischem Rassismus den juristischen Nährboden zu nehmen.

Grüne und Linke beziehen sich mit ihrem jeweiligen Gesetzentwurf auf das »Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin« und fordern eine Streichung der Paragrafen 2 und 3. Dieser verbietet es Lehrkräften an Berlins öffentlichen Schulen, sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole zu tragen, »die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren«. Davon ausgenommen sind Lehrerende an Berufsschulen. Und davon ausgenommen sind Kopfbedeckungen, die die Schultern nicht bedecken – doch das ist bei einem Hijab der Fall.

»Verwaltungstechnisch ist die Änderung des Gesetzes kein großer Aufwand und die Senatsverwaltung hätte spätestens nach 2015 ihre diskriminierende Verwaltungspraxis ändern müssen. Dass jetzt noch an ihm festgehalten wird, zeigt, dass es politisch gewollt ist, Musliminnen mit Kopftuch aus einem angesehenen Berufsfeld auszuschließen«, erklärt Rechtsanwältin Zeynep Çetin gegenüber »nd«. »Viele Musliminnen haben in den letzten Jahren den Lehrberuf gar nicht erst ergriffen aus Angst, nach der Ausbildung nicht übernommen zu werden«, sagt sie und berichtet von der Absurdität, dass eine ihrer Mandantinnen zeitweise in Berlin lebte und in Brandenburg unterrichtete, da ein vergleichbares Gesetz dort nicht existiert.

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Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) verweist auf Absurditäten. Fachkräftemangel an Schulen und überfüllte Klassen geben wenig Anlass, irgendwem die Ausübung des Lehrberufs noch schwieriger zu gestalten. »Wichtig ist uns vor allem, dass dieser Konflikt aus den Schulen herausgehalten wird. Es braucht eine klare Rechtsgrundlage und es kann nicht sein, dass jede Schule in der Frage individuell entscheiden darf«, betont der Pressesprecher Markus Hanisch von der GEW Berlin. »Wir fordern beispielsweise Stipendien für Auszubildende im Lehramt. So können die Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf auch für Migrantinnen erleichtert werden und Kinder profitieren von diversen Vorbildern im Klassenzimmer.«

Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen (Damigra) begrüßt eine Gesetzesänderung, verweist jedoch auf weitere Schritte. »Nur weil ein Gesetz verändert wird, ist antimuslimischer Rassismus nicht passé. Es braucht auch einen besseren Zugang und den Ausbau der bestehenden Beratungsstellen für Betroffene. Politik und Zivilgesellschaft müssen an einem Strang ziehen«, sagt eine Sprecherin von Damigra gegenüber »nd«.

Elif Eralp, Sprecherin für Antidiskriminierung für die Linksfraktion Berlin, erwartet, dass die Koalition dem Vorschlag zustimmt oder einen eigenen Gesetzesentwurf vorlegt, »der die Verbotsvorschriften aufhebt und außerdem Antidiskriminierungs- und Beschwerdestrukturen für den Schulbereich stärkt«. Sie könne sich ein Zugeständnis zur Gesetzesänderung von Seiten der SPD vorstellen, aber auch »dass es bei einer Gefährdung des Schulfriedens« dann wieder ermöglicht werden könnte, berichtet sie gegenüber »nd«. »Wie der Schulfrieden allein durch eine Hijab tragende Lehrerin gefährdet werden solle« , findet sie fraglich. In Zeiten, in denen laut aktuellen Studienergebnissen jede zwölfte Person in Deutschland ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertritt und migrationsfeindliche Rhetorik immer lauter wird, wäre dies ein wichtiges Signal im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus.

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