Berliner Gewaltschutzambulanz muss Krankenhaus-Angebot einstellen

Gewaltschutzambulanz kommt nicht mehr für vertrauliche Spurensicherung in die Klinik

Wer sexualisierte Gewalt erfahren hat, möchte unter Umständen nicht die Polizei einschalten. Dafür gibt es gute Gründe: Vielleicht vertrauen Betroffene nicht den Sicherheitsbehörden, vielleicht wissen sie noch nicht, ob sie Anzeige erstatten und den mühsamen juristischen Weg gehen wollen – denn sobald die Polizei nach einer Gewalttat gerufen wurde, muss sie Strafermittlungen einleiten.

Um sich auch ohne Polizei die Möglichkeit eines Strafprozesses offenzuhalten, bietet die Berliner Gewaltschutzambulanz die vertrauliche Spurensicherung an. Rechtsmediziner*innen dokumentieren Verletzungen und suchen nach DNA-Spuren, damit die betroffene Person im Falle eines Gerichtsverfahrens Beweise liefern kann. Bis zu ein Jahr nach der Tat können sich Betroffene dann noch für eine Anzeige entscheiden.

Ein wichtiges Angebot, dem jedoch seit Juni ein entscheidender Bestandteil fehlt. Seitdem kann die Gewaltschutzambulanz das »Rendezvous-Verfahren« temporär nicht mehr durchführen, wie aus der Senatsantwort auf eine Schriftliche Anfrage von Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hervorgeht. Beim »Rendezvous-Verfahren« kommen Mitarbeiter*innen der Gewaltschutzambulanz direkt in die Notaufnahmen der Charité-Krankenhäuser und ermöglichen Patient*innen dort die vertrauliche Spurensicherung. Wegen eines Personalengpasses ist das nun nicht mehr möglich.

»Damit bricht die Versorgungslage für von sexualisierter Gewalt Betroffene ein«, sagt Haghanipour. Die Gesundheitsverwaltung schreibt dagegen, »Versorgungslücken sind dem Senat nicht bekannt«. Die vertrauliche Spurensicherung erfolge durch Gynäkolog*innen der Charité. Doch Haghanipour weist darauf hin, dass in den anderen Kliniken das Know-How und die notwendigen Kits zur Spurensicherung nicht zur Verfügung stünden.

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Selbst wenn diese Aufgabe, wie von der Gesundheitsverwaltung behauptet, Charité-Ärzt*innen erfüllt wird, müssten Betroffene für die rechtsmedizinische Dokumentation weiterer Verletzungen zur Gewaltschutzambulanz. »Das ist ein Spießrutenlauf«, sagt Friederike Strack von Lara, einer Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen, trans und nichtbinären Personen. Es sei ohnehin schon eine große Hürde, sich innerhalb maximal 72 Stunden um eine rechtssichere Dokumentation zu kümmern. »Dann von einer Stelle zur anderen geschickt zu werden, das ist eine Zumutung.«

Bereits vor Juni ließ das Angebot zur vertraulichen Spurensicherung zu wünschen übrig, sagt Strack. Denn die Gewaltschutzambulanz ist nur von Montag bis Freitag von 8.30 bis 15 Uhr teleonisch erreichbar, das »Rendezvous-Verfahren« war also nur in diesem Zeitraum für lediglich drei Notaufnahmen in ganz Berlin verfügbar.

Genau deshalb fordern Strack und Haghanipour die dezentrale Einrichtung vertraulicher Spurensicherung, um sie in allen Krankenhäusern oder bestimmten Arztpraxen anzubieten. Ein Bundesgesetz von 2020 ermöglicht das Angebot als Kassenleistung. Um das auf Landesebene umzusetzen, wurde ein entsprechender Prozess 2022 unter Rot-Grün-Rot angestoßen. Laut der nun SPD-geführten Gesundheitsverwaltung wurde der Vertragsentwurf im Juli 2023 »umfassend überarbeitet«. Ein Ergebnis ist demnach nicht in Sicht. Solange müssen sich Berliner*innen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, auf eine Unterversorgung einstellen. Strack zufolge berichtete ihr eine Klientin in der Beratung, die Gewaltschutzambulanz hätte sie für die vertrauliche Spurensicherung sogar nach Potsdam geschickt.

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