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Die RNA-Nerds

Wie die Modifikation von Botenstoffen den Weg zu Covid-19-Impfstoffen ebnete

Innovative Wissenschaftler hatten es immer schon schwer – gerade, wenn sie die Forschung zu ihrer Zeit gegen den Strich der Granden in der jeweiligen Fachrichtung bürsteten. Oft war es ein beschwerlicher Weg. Ohne Beharrlichkeit und einen Schuss Besessenheit wären viele Durchbrüche nicht gelungen. Das gilt auch für die diesjährigen Nobelpreisträger Katalin Karikó und Drew Weissman, die die Auszeichnung im Bereich Medizin erhalten für »ihre Entdeckungen in Bezug auf Nukleosid-Basenmodifikationen, die die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 ermöglichten«, wie das Nobelpreiskomitee Anfang der Woche mitteilte.

Katalin Karikó ist ein Paradebeispiel einer Wissenschaftlerin, die sich durchkämpfen musste: Der aus Ungarn stammenden Tochter eines Metzgers und promovierten Biochemikerin hatte es schon früh die Synthetisierung von Ribonukleinsäure (RNA) angetan. Daran arbeitete sie zunächst an der Universität Szeged und später am biologischen Forschungszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Das stieß auf wenig Begeisterung, und als ihr Vertrag nicht verlängert wurde, wanderte sie 1985 mit ihrer Familie in die USA aus.

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Dort erging es ihr nicht viel besser. An der Medizinischen Fakultät der University of Pennsylvania konnte sie zwar weiterexperimentieren und tat dies ab 1998 zusammen mit dem Immunologen Drew Weissman, den sie nach eigener Aussage am Kopierer kennenlernte. Aber finanzielle Mittel für ihre Projekte waren kaum aufzutreiben. Die Fachgemeinde setzte damals darauf, DNA als stabileres Molekül in menschliche Zellen einzuschleusen, um etwa genetische Defekte zu korrigieren. Als auch noch eine Medikamentenentwicklung scheiterte, wurde Karikó auf eine befristete Postdoc-Stelle zurückgestuft.

Dabei war die Idee plausibel, künstlich hergestellte RNA zu nutzen, um Zellen zur Produktion wichtiger und in der Therapie bei einigen Krankheiten fehlender Proteine genauso anzuregen wie zur Produktion von Virusbestandteilen, um eine Immunreaktion auszulösen. Die RNA ist so etwas wie der kleine Bruder der Desoxyribonucleinsäure (DNA). Beide sind aus vier Einzelbausteinen – den Nukleotiden, die aus jeweils einer Base und einem Einfachzucker bestehen – in Form langer Ketten zusammengesetzt. Während die DNA bei allen Lebewesen die Erbinformationen etwa für das Geschlecht, die Haar- oder Augenfarbe speichert, überbringt die Ribonukleinsäure als Boten-RNA (mRNA) Abschriften einzelner Erbgutabschnitte aus dem Zellkern als Bauanleitungen für Eiweiße zu den Proteinfabriken im Zytoplasma.

Karikó und Weissman waren überzeugt, dass mRNA Vorteile gegenüber DNA als Proteinvorlage hat. Sie muss nicht in den Zellkern eingeschleust werden, was den Vorgang vereinfacht und geringeren Risiken aussetzt. Das sahen zwar andere Pioniere ähnlich, doch diese warfen das Handtuch, denn es gab einen entscheidenden Nachteil der mRNA: Die Moleküle sind sehr instabil und werden vom Immunsystem angegriffen und zerlegt, bevor sie in Proteine übersetzt werden können. Auch in den von den RNA-Nerds selbst durchgeführten Experimenten löste der im Reagenzglas hergestellte Bote die Produktion von Zytokinen und damit schwere Entzündungsreaktionen aus.

Auf die entscheidende Idee brachte Karikó, wie sie vor einigen Jahren in einem Interview mit dem Magazin der US-Akademie der Wissenschaften verriet, ihr Hobby, in uralter Fachlektüre zu schmökern. In einem Papier aus dem Jahr 1963 fand sich demnach der Hinweis auf einen Versuch, bei dem aus Säugetieren isolierte RNA keine zerstörerische Immunreaktion hervorrief. Daraufhin versuchten Karikó und Weissman, mithilfe eines Verfahrens namens Basenmodifikation die künstlich hergestellte mRNA leicht zu verändern. Zu deren Nukleotiden gehört Uridin. Als die Wissenschaftler dieses durch sogenanntes Pseudouridin ersetzten, das auch in tierischer RNA vorkommt, reagierte das Immunsystem kaum noch auf die fremden Molekülstränge und produzierte auch deutlich mehr von den erwünschten Proteinen.

Ihre Ergebnisse fassten Karikó und Weissman 2005 in einer Studie zusammen, die zunächst von »Nature« nicht zur Veröffentlichung angenommen wurde. Aber das Fachmagazin »Immunity« publizierte die für die mRNA-Technologie letztlich bahnbrechenden Erkenntnisse. Verschiedene Biotechnologie-Firmen, darunter Moderna in den USA und Biontech in Deutschland, nutzten später das neue Wissen aus der Grundlagenforschung. Und nicht nur das: Die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türci gewannen Karikó für das damals noch ganz kleine Unternehmen. Von 2013 bis September 2022 bekleidete sie dort den Posten eines Senior Vice President.

Im Impfstoffbereich ist die mRNA-Technologie etwas völlig Neues. Bisher sollten die Viren oder Bakterien selbst die Immunabwehr trainieren. Sie wurden in lebender, abgeschwächter oder abgetöteter Form verabreicht. Dabei kam es aber immer wieder zu tragischen Unfällen oder Zwischenfällen wie der Rückentwicklung des inaktivierten Polio-Virus in seine virulente Form. Werden nur Proteinteile des Virus verabreicht, braucht es wiederum Adjuvanzien zur Verstärkung der Immunantwort. Auch dauert die Herstellung konventioneller Vakzine beispielsweise gegen die saisonale Grippe oft Monate, da hier lebende Systeme wie Hühnereier oder Zellkulturen benötigt werden.

Bei mRNA-Vakzinen wird nur der Bauplan übertragen, der Körper des Geimpften stellt selbst die Virusteile her – bei Sars-CoV-2 das Spike-Protein, mit dem das Virus an die Körperzellen andockt –, gegen die dann die Immunabwehr passende Antikörper bereitstellt. Optimisten in der Fachwelt gehen davon aus, dass dies die neue Plattform sein wird, die andere Impfstoffe nach und nach verdrängen und ganz neue Wege der Bekämpfung von Krankheiten aufzeigen wird.

»Die schnelle Herstellung ist vielleicht der größte Vorteil von mRNA-Impfstoffen«, erläutert Nobelpreisträgerin Karikó. »Sie können ein gewünschtes Gen innerhalb von ein bis zwei Tagen bestellen und erhalten und es als Vorlage für die Herstellung von mRNA innerhalb weniger Stunden verwenden.«

Das theoretisch Mögliche ist aber nur die eine Seite. Die andere: Es ist kein Zufall, dass weder für die Krebstherapie noch für Impfungen etwa gegen Influenza, Malaria oder Tuberkulose Zulassungen in Sicht sind. Skeptiker verweisen auf praktische Probleme bei der Entwicklung. Außerdem müssten die zwar äußerst seltenen, aber bisher rätselhaften Nebenwirkungen, die bei Covid-19-Impfungen auftreten, genauer erforscht werden. Und es ist schwierig, klinische Studien durchzuführen, da wie bei Influenzaviren »große Teile der Bevölkerung infiziert sind und bereits Antikörper tragen«, wie Karikó einräumt. Sars-CoV-2 sei hingegen prädestiniert dafür gewesen, einen Feldversuch durchzuführen. Und, was sie nicht sagt: Hier waren auch entsprechende Finanzmittel verfügbar.

Nichtsdestotrotz haben die mRNA-Impfstoffe zumindest für einen Teil der Menschheit einen großen Dienst im Kampf gegen eine tödliche Pandemie geleistet. Und ohne die Grundlagenforschung der beiden Nobelpreisträger wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Für Katalin Karikó hagelt es nach ihrer steinigen Karriere geradezu Auszeichnungen. Und auch zu Hause wird der 68-Jährigen jetzt die gebührende Anerkennung zuteil. In Budapest existiert seit 2021 ein Wandbild zu ihren Ehren, die Ungarische Akademie der Wissenschaften hat sie zum Ehrenmitglied ernannt. Und seit ihrem Abgang bei Biontech lehrt sie als Professorin an der Universität Szeged.

»In der Wissenschaft arbeitet man oft ohne die Gewissheit, Ergebnisse zu erzielen«, sagt Karikó und zieht einen Vergleich zu ihrer Tochter, der Ruder-Olympiasiegerin Susan Francia: »Man sitzt in einem Boot, das rückwärts fährt, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wie weit die Ziellinie entfernt ist.«

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