Reinigungskräfte in Berlin: Putzen am Rande des Legalen

Die Ausbeutung meist bulgarischer Beschäftigter hält Kaufhausklos in der Haupstadt sauber

Harte Arbeit: Manche Reinigungskraft putzt sechs Tage die Woche für 1200 Euro netto.
Harte Arbeit: Manche Reinigungskraft putzt sechs Tage die Woche für 1200 Euro netto.

Asen Balabanov ist Abteilungsleiter für Arbeit und Soziales der bulgarischen Botschaft. Als solcher ist er für ganz Deutschland zuständig. Es hat also einen gewissen symbolischen Wert, wenn er sich am Freitagmorgen zu einer 15-köpfigen Gruppe vor dem Roten Rathaus gesellt.

Anlass ist der weltweite Tag für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober. Das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (Bema) hat zu einer Aktion aufgerufen. Migrantische und geflüchtete Arbeitnehmer*innen, die in Einkaufszentren die Toiletten reinigen, will die Bema besuchen. Damit soll einerseits ein Schlaglicht auf deren häufig schlechte Arbeitsbedingungen geworfen werden. Vor allem aber geht es darum, die Beratung der Bema bekannt zu machen, zu zeigen, dass es Unterstützungsmöglichkeiten gibt, und über Arbeitsrechte zu informieren. Gleichzeitig gewährt die Aktion den Berater*innen der Bema Einblick in die sonst so unsichtbare Branche.

Die Berater*innen und ihre Unterstützer*innen – Sozialarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen – teilen sich für vier Touren in Gruppen auf. Auf der Tour von der Mall of Berlin über The Playce (ehemals Potsdamer-Platz-Arcaden), Kadewe, Europacenter und Bikini werden fast ausschließlich Arbeiter*innen aus Bulgarien angetroffen. Eine Beraterin, die selbst Bulgarisch spricht, ist davon nicht überrascht: »Es ist ein System, das in Berlin hauptsächlich auf der Beschäftigung von Bulgar*innen aufbaut. Die Stellen in der Toilettenreinigung vieler Häuser sind in Deutschland gar nicht zu bekommen. Die werden nur in Bulgarien ausgeschrieben.« Und es dominiert vor allem ein Unternehmen, das in über 15 Einkaufszentren mit der Reinigung beauftragt ist. Laut der letzten einsehbaren Jahresbilanz seien 2020 durchschnittlich 270 Mitarbeitende beschäftigt gewesen. Eine Million Euro Schulden hätte die Firma angehäuft.

Die während der Tour angetroffenen Arbeiter*innen sind Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. Teilweise sind sie schon viele Jahre für die Firma tätig, manche haben erst vor ein paar Wochen angefangen. Sie berichten von Zwölf-Stunden-Schichten und Sechs-Tage-Wochen. Davon, dass sie einen Teil des Lohns überwiesen und den Rest in bar bekommen. Davon, dass sie sich mit acht Personen eine Wohnung teilen, die der Arbeitgeber zur Verfügung stelle. Schriftliche Verträge bekämen sie, Lohnabrechnungen hingegen nicht. Die Arbeitskleidung aus weißem Hemd, schwarzer Hose und schwarzer Weste würde der Arbeitgeber stellen, genauso das Material und die Putzhandschuhe. Es sind allerdings dünne Einmalhandschuhe. Von Lohnprellung erzählen sie nichts, und Pausen von zwei Stunden nähmen sie jeden Tag. Einer sagt, er würde 1200 Euro netto verdienen. Die meisten wollen dazu nichts sagen. Bis zur Rente wolle sie in Berlin bleiben, sagt eine Frau. Geld verdienen und dann Deutschland so schnell wie möglich wieder verlassen wolle er, sagt ein jüngerer Mann.

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»Ich habe den Eindruck, die Beschäftigten erzählen uns von Arbeitsbedingungen, die gerade so noch am Rand des Legalen sind«, sagt ein Gewerkschafter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) Berlin, der die Aktion mit unterstützt. Auch die Bema-Beraterinnen glauben nicht, dass die Beschäftigten alles preisgegeben haben. »Wir haben nicht erwartet, dass jemand sich heute direkt meldet damit, dass Geld fehlt oder so. Aber wir hoffen, dass die Beschäftigten dann später in die Beratung kommen«, sagte eine von ihnen.

Auf Grundlage ihrer Beratungsarbeit hat die Bema ein Papier erstellt, in dem sie die Arbeitsbedingungen und damit einhergehende Rechtsbrüche auflistet, darunter Verstöße gegen das Mindestlohngesetz, Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung. Das Papier führt auch Empfehlungen, wie das System durchbrochen werden kann. Neben engerer Zusammenarbeit der Akteure und effizienteren Kontrollen will die Bema ein Ende der »Geld-Teller«. Stattdessen sollte die Nutzung kostenlos oder automatisiert, ähnlich wie an Autobahnen erfolgen, denn: »Es ist normal, dass abends nach der Schicht jemand die Tüte mit dem Trinkgeld holt«, sagt eine Beraterin. Zum Teil müssten sogar Normen erfüllt werden, und die Vorgesetzten würden Tipps gegeben, wie diese durch freundliches Verhalten erreicht werden könnten.

Die Bema fordert, dass die Reinigungskräfte direkt bei den Betreiber*innen der Zentren angestellt werden. Das sieht auch Katja Karger, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Berlin-Brandenburg so. Sie ist für ein Grußwort zum Roten Rathaus gekommen. Sie sei nicht per se gegen die Beauftragung eines Subunternehmens, doch: »Wir müssen die Logik umdrehen und bestimmen, in welchen Ausnahmefällen es erlaubt ist.« Zudem müsse geregelt werden, wie viele Ketten zulässig sind. »Bei der WC-Reinigung in den Centern sehe ich gar keinen Grund für eine Auslagerung«, so Karger.

Gewerkschaften könnten über politische Einflussnahme hinaus Druck über die Betriebsräte ausüben, sagt Karger. Das sei in einigen Betrieben schon erfolgreich gewesen. Den Gewerkschafter der IG BAU interessiert, welchen Anteil ihrer Arbeitszeit die Beschäftigten tatsächlich mit der Reinigung verbringen und nicht kontrollieren oder bereitstehen. Wenn der Arbeitstag zu mehr als 50 Prozent aus Reinigungstätigkeiten bestünde, müsste der Tarifvertrag Gebäudereinigung greifen, sagt er. Nur das festzustellen und zu belegen, sei schwierig. Und die Kapazitäten der Gewerkschaften seien begrenzt. Er stehe oft vor der Wahl: »Nutze ich meine Zeit für die fünf Gebäudereiniger im Kaufhaus oder für die eine Person, die die Toiletten reinigt

Botschafter Balabanov sagt: »Was wir sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.« Die meisten Menschen, die aus dem EU-Land Bulgarien kämen und in Deutschland unter diesen Bedingungen arbeiten, seien gehemmt. »Weil sie denken, selbst etwas falsch gemacht zu haben, meiden sie Beratungsstellen.« Und sie hätten Angst davor, gefeuert zu werden, denn dann würden sie vom Arbeitgeber zurück nach Bulgarien geschickt. Mit dem Ende der Beschäftigung ende man als Arbeiter*in auf der Straße.

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