• Kultur
  • Film »One for the Road«

One for the Road: »Der Schritt zum Alkohol ist ein ganz kleiner«

Markus Goller zeichnet in »One for the Road« das Bild eines Alkoholikers, der sich seiner Sucht stellt

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Dem Hochprozentigen muss man nicht allein frönen: Helena (Nora Tschirner) und Mark (Frederick Lau)
Dem Hochprozentigen muss man nicht allein frönen: Helena (Nora Tschirner) und Mark (Frederick Lau)

Markus Goller, Sie kommen aus München, wohnen aber in Berlin. In welcher Stadt haben wir das größere Alkoholproblem?

Das kann man nicht pauschalisieren. In München ist der Alkohol, besonders in Form von Bierkonsum, sicherlich ein wichtiger Bestandteil der Kultur. In Berlin gibt es diese spezielle Identifikation mit Alkohol nicht, aber auch hier ist der Alkohol – wie eigentlich überall in Deutschland – Bestandteil der Gesellschaft. In beiden Städten steht man beim Warten an der Supermarktkasse vor einem Regal aus hartem Alkohol und Zigaretten. Wenn man es zulässt, ist der Schritt zum Alkohol ein ganz kleiner.

Tagsüber arbeitet Mark, der Protagonist Ihres Films, erfolgreich als Bauleiter einer Berliner Großbaustelle – kaum hat er Feierabend, trinkt er. Welches Problem steckt dahinter?

Mark ist einsam und sucht nach Verbindung. Mit dem Alkohol spürt er seine Schattenseiten nicht. Er betäubt sich und kann loslassen. Sobald er nüchtern ist, geht die Reise von vorne los.

Interview
Markus Goller, Deutscher Regiepreis Metropolis 2018 an der Hochs...

Markus Goller, geboren 1969 in München, ist ein deutscher Filmregisseur und Filmeditor. 2010 konnte er mit seiner zweiten Regiearbeit »Friendship!« mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle einen Überraschungserfolg verbuchen. Gemeinsam mit Oliver Ziegenbalg, der das Drehbuch für »One for the Road« schrieb, betreibt Goller die Produktionsfirma Sunny Side Up.

Im Suff verhält sich Mark oft ziemlich peinlich. Wie haben Sie sich für die Szenen entschieden, die wir im Film sehen?

Dazu gibt es keine Formel. Aber ich wusste, wenn ich zu viel zeige, mache ich die Figur kaputt. Es war unser Anspruch, einen Film zu machen, der humorvoll und unterhaltend ist – aber zugleich das Thema Alkohol in seinem Kern erfasst und erlebbar macht, ohne lehrerhaft zu sein.

Haben Sie durch die Arbeit an »One for the Road« Erkenntnisse gewonnen?

Mir ist währenddessen oft aufgefallen, dass in unserer Gesellschaft nicht so richtig über Alkohol und darüber, wie er uns beeinflusst, gesprochen wird. Übrigens kam Oliver Ziegenbalg, der das Drehbuch geschrieben hat, auch durch diese Beobachtung auf die Idee für den Film: Er saß eines Dienstagabends mit Freunden zusammen, alle haben sehr viel getrunken, sind am Mittwoch wieder zur Arbeit, um sich am Donnerstag wieder zu treffen – und erneut endete der Abend mit geselligem Betrunkensein. Für alle war das absolut normal.

Wie haben Sie sich während der Dreharbeiten mit Alkoholkonsum auseinandergesetzt?

Während der Dreharbeiten haben die Schauspieler keinen Alkohol getrunken. Wir haben die Szenen in Betrunkenheitsgrade aufgeteilt. Von eins bis fünf – je nach dem, was die Szene erforderte. Das hat uns geholfen. Wir hatten außerdem professionelle Beratung von Christoph Middendorf, dem leitenden Oberarzt der Oberberg-Tagesklinik Kurfürstendamm in Berlin. Durch den Film hat auf jeden Fall eine Kommunikation zwischen uns allen stattgefunden, die es sonst nie gegeben hätte. Zum Beispiel haben Leute, die mir während der Dreharbeiten begegnet sind oder mit uns zusammengearbeitet haben, aus dem Nichts über Freunde oder Bekannte, ihre Mutter, ihren Vater oder sich selbst gesprochen – dabei ging es interessanterweise nicht nur um Alkohol, sondern auch um andere Tabuthemen wie Missbrauch, Drogen oder Depressionen.

Was könnte eine Lösung für unser gesellschaftliches Alkoholproblem sein?

Für jede Art von Problem, sei es ein Beziehungs- oder Suchtproblem, kann es eine Lösung für den Einzelnen sein, in sich reinzuhören, achtsam zu sein und sich selbst darüber bewusst zu werden: Was fühle ich? Was brauche ich? Wovon will ich loslassen? Und diese Gefühle dann am besten mit vertrauten Menschen zu teilen. Kommunikation ist der Beginn jeder Veränderung, davon bin ich überzeugt.

Wie betrachten Sie nun eigentlich Ihre älteren Filme wie »Friendship!« oder »25 km/h«? In denen wird ja nicht wenig getrunken.

Die Filme haben ein anderes Thema und sind aus dem Leben gegriffen – in unserer Gesellschaft spielt Alkohol nun mal eine große Rolle. Hätte man auf ihn verzichtet, hätte das zu sehr vom eigentlichen Inhalt der Szenen abgelenkt. Das zeigt mir jetzt: unglaublich, wie selbstverständlich wir mit Alkohol umgehen. Ich beziehe mich da explizit mit ein.

Wird Alkohol weiterhin in Ihren Filmen zu sehen sein?

Solange Alkohol in unserer Kultur eine Rolle spielt, wird er auch in Geschichten und Filmen vorkommen. Ich bin kein Fan davon, dass wir als Filmemacher Meinungsbildner, Moralapostel und Maßregler für die Menschen sind. Das wäre auch absolut heuchlerisch.

Wie hat der Film Ihr Verhältnis zu Alkohol verändert?

Ich habe begonnen, mich bewusster damit zu beschäftigen und auch mein Trinkverhalten zu überprüfen. Ich komme wie Mark vom Dorf. Alkohol war in der Jugend ein Teil der Männlichkeit: je mehr, desto cooler war man. Glaubte ich zumindest. Ich hatte mit 16 Jahren eine Alkoholvergiftung und seitdem gibt es eine körperliche Sperre. Ich musste erstmal an die Wand fahren, um zu lernen.

»One for the Road«: Deutschland 2023. Regie: Markus Goller. Buch: Oliver Ziegenbalg. Mit: Frederick Lau, Nora Tschirner, Burak Yiğit. 115 Min. Jetzt im Kino.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal