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Tausende bei Kitastreik in Potsdam

Für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder beginnt die zweite Verhandlungsrunde

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Um dem Fachkräftemangel in ihren Einrichtungen entgegenzuwirken, fordern die Kitabeschäftigten Berlins bessere Arbeitsbedingungen.
Um dem Fachkräftemangel in ihren Einrichtungen entgegenzuwirken, fordern die Kitabeschäftigten Berlins bessere Arbeitsbedingungen.

Donnerstagmorgen, kurz vor acht, eine Gruppe Erzieher*innen wartet am S-Bahnhof Westkreuz auf den Bus. Kinder für einen Wandertag haben sie nicht dabei, heute wird gestreikt. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hat Shuttlebusse nach Potsdam organisiert. Dort findet im Kongresshotel die zweite Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst der Länder statt. Anders als in anderen Bundesländern, in denen die Kindertagesstätten den Kommunen unterstehen, werden sie in Berlin vom Land verwaltet. In den 284 landeseigenen Kitas in Berlin arbeiten etwa 7500 Beschäftigte.

Während im Bus die Streikliste herumgeht, erläutert René Schneider gegenüber »nd« seine Motivation. Der 47-Jährige arbeitet seit sechs Jahren als pädagogische Fachkraft, zurzeit in einer Kindertagesstätte im Bezirk Reinickendorf. Davor habe er 20 Jahre im Vertrieb gearbeitet. »Grundsätzlich bin ich von meinem Job begeistert, aber wegen des Fachkräftemangels kann man den Kindern nicht mehr das bieten, was sie brauchen.« So fielen viele Aktivitäten flach, etwa Morgenkreise. »Wir brauchen dringend Nachwuchs. Das geht nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen und dazu gehört nun mal auch das Finanzielle. Dafür kämpfen wir heute«, sagt Schneider.

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Ihr Träger sei bemüht, der Entwicklung gegenzusteuern, ergänzt Miriam Fuchs im Gespräch mit »nd«, die als Kitaleitung arbeitet. Die Kindertagesstätten Nordwest hätten sich unter anderem um psychologische Unterstützungsangebote für Beschäftigte bemüht sowie vier Millionen Euro für eine Sonderklasse für Auszubildende ausgegeben, die nicht auf den Personalschlüssel angerechnet würde, sagt sie. Fuchs sieht eine mangelnde Anerkennung des Berufs als mitverantwortlich dafür, dass viele junge Menschen lieber studierten. »Ich finde, der Begriff Erzieher*innen trägt dazu bei. Ich ziehe ja an nichts.« Angesichts hoher Anforderungen an den Beruf bevorzuge sie es, pädagogische Fachkraft genannt zu werden.

Auch die unterschiedliche Entlohnung von Brandenburger und Berliner Erzieher*innen habe zum akuten Personalmangel geführt, so Fuchs. Zwar habe es in den vergangenen Jahren Verbesserungen im Tarifvertrag der Länder (TV-L) gegeben, Lohnlücken zu den Beschäftigten im Nachbarland, in dem der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) gilt, bestünden allerdings teils weiter. Gerade in den Stadtrandlagen sei es daher schwierig, Fachkräfte zu finden. Auch in der Kita von René Schneider habe es daher schon Abgänge nach Brandenburg gegeben, sagt er.

Angekommen am Bahnhof Pirschheide ziehen die Streikenden Warnwesten über und begeben sich zur Kundgebung auf einem Platz hinter dem Kongresshotel. Dieser füllt sich nach und nach, am Ende sind laut Gewerkschaft über 2000 Menschen dort. Auch aus anderen Branchen und Gewerkschaften sind Landesbeschäftigte nach Potsdam gekommen. So finden sich neben Forstarbeiter*innen und Polizist*innen auch Studierende und Sanitäter*innen. Die Berliner Kitabeschäftigten bilden jedoch das Gros der Versammelten. Sie stehen im Fokus der Kundgebung.

»Das Land Berlin, wo die Kitabeschäftigten nach dem TV-L bezahlt werden, muss ein starkes Interesse an der Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes haben«, erklärt Andrea Kühnemann, Verdi-Landesleiterin Berlin-Brandenburg in einer Pressemitteilung.

Für Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes, die unter den TVöD fallen, waren 2022 in einem Manteltarifvertrag Zulagen von 130 bis 180 Euro vereinbart worden. Da im TV-L allerdings nur der Entgelttarifvertrag gekündigt wurde, ist nicht zu erwarten, dass es eine äquivalente Zulage für Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes, die unter den TV-L fallen, geben wird. Kühnemann erwarte daher eine klare Zusage der Arbeitgeber, dass die Verbesserungen aus dem TVöD übernommen werden. Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten.

Für die rund 1,2 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder fordern die Gewerkschaften einen Lohnzuwachs von 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro pro Monat. Dazu soll eine Stadtstaatenzulage für Berlin, Hamburg und Bremen in Höhe von 300 Euro kommen. Auszubildende, Studierende und Praktikant*innen sollen 200 Euro mehr sowie 150 Euro Stadtstaatenzulage erhalten. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen.

Die erste Verhandlungsrunde am 26. Oktober blieb ohne Ergebnis. Die Arbeitgeberseite hatte kein Angebot vorgelegt. Eine Übertragung des Ergebnisses des TVöD würde laut der Tarifgemeinschaft deutscher Länder 17 Milliarden Euro kosten, die für den TV-L erhobene Forderung gar 19 Milliarden; angesichts sinkender Steuereinnahmen sei das zu viel.

Die nächste Verhandlungsrunde steht Anfang Dezember an. Kommt es zu keinem Ergebnis, könnten weitere Streiks die Folge sein. Unter Druck von den Betreuungsausfällen gestresster Eltern stehe man beim heutigen Streik nicht, sagt René Schneider. »Viele haben Verständnis, denn es ist letztlich auch im Interesse ihrer Kinder«.

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