Bundesetat 2024: Haushaltsloch mit Ansage

Der Bundesetat 2024 soll unabhängig vom Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse planmäßig beschlossen werden

An diesem Donnerstag wird der Haushaltsausschuss des Bundestages zu seiner sogenannten Bereinigungssitzung zusammenkommen. Dort sollen letzte Änderungen am Bundeshaushalt 2024 beraten und Beschlussempfehlungen dazu für die Plenarsitzung am 1. Dezember erarbeitet werden. In dieser soll der Etat für das kommende Jahr endgültig beschlossen werden.

Widerspruch zu diesem Zeitplan kam am Mittwoch von Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Er forderte eine Verschiebung der Verabschiedung des Etats. Der Hintergrund: 197 Abgeordnete von CDU und CSU hatten gegen eine Umschichtung von nicht abgerufenen Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro für Coronahilfen aus dem Haushalt 2021 im Folgejahr vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil sie nach ihrer Ansicht die Ausnahmeregeln bei der sogenannten Schuldenbremse im Grundgesetz verletzte. Karlsruhe war dieser Einschätzung in einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung gefolgt. Das bedeutet konkret, dass dem im Etat von der Ampel-Koalition eingerichteten »Klima- und Transformationsfonds« (KTF) die erwähnten 60 Milliarden Euro fehlen.

Allerdings hat die Karlsruher Entscheidung keine unmittelbaren Folgen für das kommende Jahr. Insgesamt sind bis zum Jahr 2027 Programmausgaben in Höhe von mindestens 211,8 Milliarden Euro geplant, die über den KTF finanziert werden sollen. Die fehlende Summe dürfte also erst mittelfristig zu Problemen führen.

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Beim KTF handelt es sich faktisch um ein weiteres Sondervermögen, das nicht Teil des »normalen« Bundeshaushalts ist. Erkennbar dient seine Einrichtung also wie auch das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr der Umgehung des Neuverschuldungsverbots, das die Föderalismuskommission Anfang des Jahres 2009 ins Grundgesetz eingefügt hatte.

Der KTF ist in den vergangenen Monaten zur Allzweckwaffe der Bundesregierung geworden. Er beinhaltet Programme für mehr Klimaschutz, für die Ansiedlung sogenannter Zukunftstechnologien und die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Finanziert werden daraus auch Fördermittel für die klimafreundliche Sanierung von Wohnhäusern und den Austausch alter Öl- und Gasheizungen, ebenso die Entlastung von Bürgern und Unternehmen bei den Strompreisen. Weitere Mittel fließen in Elektromobilität, Wasserstoffwirtschaft, den Ausbau von Schienenwegen. Auch die Milliardensubventionen für die Ansiedlung großer Halbleiterfabriken wie die des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg kommen aus dem KTF.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte im Juni anlässlich der Anhörung zur Klage der Union gesagt, es würde Deutschland »wirtschaftspolitisch hart treffen«, wenn Karlsruhe deren Argumentation folge. Es würde bedeuten, »dass uns der Fußboden weggezogen wird, auf dem wir versuchen, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu stabilisieren«.

CDU-Chef Merz findet angesichts des Karlsruher Urteils, die Regierung müsse nun Zeit bekommen, um »für das Jahr 2024 einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen«. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt, der Zeitplan für die Verabschiedung des Bundeshaushalts sei durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht beeinträchtigt, weshalb man am bisherigen Zeitplan festhalte.

Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnten die Bundesregierung auch davor, die Schuldenbremse erneut auszusetzen, um zusätzliche Kredite aufnehmen zu können. Allerdings hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dies ohnehin bereits kategorisch ausgeschlossen, SPD und Grüne hatten dem zugestimmt.

»Die Bundesregierung muss jetzt tun, was sie lange sorgfältig vermieden hat: Sie muss mit dem Geld auskommen, das sie hat«, sagte Merz. Das Karlsruher Urteil sei das Ende aller schuldenfinanzierten Schattenhaushalte. »Diese Entscheidung entzieht der gesamten Finanz- und Haushaltsplanung der Bundesregierung die Grundlage«, so der Oppositionsführer. Er kündigte an, auch die Rechtmäßigkeit des von der Bundesregierung aufgelegten Wirtschaftsstabilisierungsfonds prüfen zu wollen. Allerdings müsste er dann auch das 2022 auch mit den Stimmen der Union beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro hinterfragen.

Kanzler Scholz betonte indes, die Bundesregierung werde das Urteil gemeinsam mit dem Bundestag auswerten. Es habe möglicherweise Auswirkungen auf die Haushaltspraxis nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern, sagte Scholz.

Nach Einschätzung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ist trotz des Urteils noch genug Geld im KTF. Fratzscher empfahl der Bundesregierung aber, die Schuldenbremse mindestens für ein weiteres Jahr auszusetzen, um notwendige Kredite zur Finanzierung versprochener Maßnahmen aufnehmen zu können. Insgesamt hält der DIW-Chef die Schuldenbremse für nicht zeitgemäß. Sie nehme der Politik den notwendigen Spielraum, »um Krisen zu bekämpfen und dringende Zukunftsinvestitionen zu tätigen – in Bildung, Klimaschutz, Innovation und Infrastruktur«.

Viele Politiker der Partei Die Linke sehen sich ebenfalls in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Schuldenbremse ein Investitionshindernis ist und dass erst sie die »Taschenspielertricks« der Ampel nötig gemacht hat, so etwa Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende und haushaltspolitische Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion. »Mit der unsinnigen Schuldenbremse haben sich die neoliberalen Parteien SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU selbst ein Bein gestellt«, so Lötzsch. Sie hätten sich »haushaltspolitische Ketten angelegt, die ihnen jetzt zum Verhängnis werden«.

Der Unionsfraktion wiederum sei es mit ihrer Verfassungsklage weniger um die Einhaltung der Schuldenbremse gegangen. »Sie will das 60-Milliarden-Euro-Loch durch Kürzungen beim Bürgergeld stopfen«, vermutet Lötzsch. »Die Schuldenbremse ist nur eine Krücke, um Sozialkürzungen besser begründen zu können.« Das Verschuldungsverbot müsse weg, um angemessen in Bildung, Gesundheit, Klimagerechtigkeit und Verkehr investieren zu können.

Der Entwurf für den Bundeshaushalt sieht tatsächlich Kürzungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber auch bei der Demokratieförderung vor. So sollen auch Mittelstreichungen bei Programmen gegen Antisemitismus beibehalten werden. Kommunen und Wohlfahrtsverbände fürchten zudem dramatische Folgen durch die geplanten Kürzungen bei den Freiwilligendiensten. Aufgestockt wird nur der Verteidigungsetat. Kurzfristig sollen die für militärische Unterstützung der Ukraine für 2024 geplanten Mittel mehr als verdoppelt werden.

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