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»Rückführungsverbesserungsgesetz«: Sea-Watch macht Druck

Die Seenotrettungsorganisation nennt den Gesetzentwurf zur Kriminalisierung von Fluchthilfe »menschenfeindlich«

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Giulia Messmer ist wütend auf das von Nancy Faeser (SPD) geführte Bundesinnenministerium. Es versuche, durch die Hintertür an die repressive Migrationspolitik von Italien, Griechenland oder Polen anzuschließen. »Menschen auf der Flucht als Sündenböcke darzustellen, ist rassistisch«, sagt Messmer dem »nd«. Sie ist Sprecherin der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch.

Es geht um den Entwurf des Innenministeriums für ein »Rückführungsverbesserungsgesetz«, der eine Änderung des Paragrafen 96 des Aufenthaltsgesetzes (»Einschleusen von Ausländern«) beinhalten soll. Damit würde die Beihilfe zur sogenannten illegalen Einreise in den Schengenraum kriminalisiert, wenn »wiederholt oder zu Gunsten von mehreren Ausländern« gehandelt wird, selbst wenn die Helfer*innen keinen »Vermögensvorteil« davon haben. Bislang griff das Gesetz nur bei bezahlter Fluchthilfe.

Ein Sprecher Faesers dementierte zwar, dass humanitäre Fluchthelfer*innen damit künftig wie erwerbsmäßige Schlepper*innen verurteilt werden könnten und nannte private Seenotrettung »als gerechtfertigt anzusehen«. Doch sollte das Gesetz durchkommen, könnte es von Staatsanwaltschaften und Gerichten letztlich dennoch so ausgelegt werden. Seenotrettung im Mittelmeer oder Fluchthilfe auf der Balkanroute könnte dann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Hilfsorganisationen wie Sea-Watch würden Durchsuchungen und Telekommunikationsüberwachung drohen.

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Aber auch Geflüchtete selbst wären betroffen, wenn sie zum Beispiel Verwandten über die Grenze helfen. »Und dafür könnte es schon reichen, wenn sie ihnen ein Zugticket kaufen«, meint Messmer. Generell sollten Geflüchtete mit dem Gesetzesentwurf weiter kriminalisiert und Abschiebemaßnahmen verschärft werden – ihrer Ansicht nach eine »menschenfeindliche Scheinlösung« für soziale Probleme. Deshalb fordert Sea-Watch vom Innenministerium eine Rücknahme des gesamten Gesetzesentwurfes sowie eine Klausel, die eine Sanktionierung humanitärer Hilfe ausschließt.

Falls das Ministerium dem nicht nachkommt, »fordern wir alle demokratischen Bundestagsabgeordneten dazu auf, bei der Abstimmung über das ›Rückführungsverbesserungsgesetz‹ mit ›Nein‹ zu stimmen«, sagt Messmer und erinnert an das Versprechen der Regierungsfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag: »Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden.« Sea-Watch versucht, mit der Online-Petition »Keine Haft für zivile Seenotrettung«, die bereits von über 100 000 Menschen unterschrieben wurde, zusätzlich Druck zu machen.

In anderen Ländern ist die Kriminalisierung von Fluchthilfe schon seit Jahren Alltag. In Griechenland werden sogar Geflüchtete, die gezwungen waren, das Fluchtboot selbst zu steuern, als Schlepper verurteilt: laut einer Untersuchung der Organisation Borderline Europe im Schnitt zu 46 Jahren Haft, während die Gerichtsverfahren durchschnittlich nur 37 Minuten dauerten.

Als Seenotrettungsorganisation, die im zentralen Mittelmeer aktiv ist, ist Sea-Watch vor allem von den italienischen Gesetzen betroffen. Seit Anfang dieses Jahres besonders von einem Gesetz, »das uns dazu verpflichten will, nach jeder Rettung direkt einen Hafen anzufahren«, sagt Messmer. Damit würden sie aufgefordert, internationales Recht zu brechen und weitere Menschen ertrinken zu lassen, die sich im Mittelmeer in Seenot befänden. Auch würden ihnen weit entfernte Häfen zugewiesen, sodass Schiffe nach jeder Rettung tagelang unterwegs seien – ohne währenddessen weitere Menschen retten zu dürfen.

Gerade erst habe es bei einer Rettung mit dem Schiff Aurora den Fall gegeben, dass der nächste Hafen eigentlich Lampedusa war, das Schiff aber bis Sizilien fahren musste. »Das ist ein unnötig weiter Weg, der hohe Gesundheitsrisiken für die Geflüchteten birgt, die oft schon tagelang unter widrigen Bedingungen auf seeuntauglichen Booten unterwegs waren«, erklärt die Sea-Watch-Sprecherin. Wenn die italienischen Behörden Verstöße gegen das Gesetz feststellen, droht neben einer Geldstrafe auch eine Festsetzung des Schiffes von bis zu zwei Monaten – wertvolle Zeit, in der es nicht zur Rettung genutzt werden kann – oder sogar die endgültige Beschlagnahmung

Das Gesetz wird sich auch auf das neueste und bislang größte Rettungsschiff »Sea Watch 5« auswirken, das an diesem Mittwoch zu seinem ersten Einsatz aufgebrochen ist und zuvor ein Jahr für den Rettungseinsatz umgebaut wurde. Theoretisch könnte es Hunderte Menschen aufnehmen – wofür meist mehrere Rettungen nötig sind. Die Einsätze anderer Rettungsorganisationen in den letzten Monaten hatten allerdings gezeigt, dass dies aufgrund des Verbotes oft die Festsetzung eines Schiffs bedeutet.

»Die italienischen Gesetze sind menschenrechtswidrig«, schlussfolgert Messmer. »Sie behindern Seenotrettungseinsätze. Italien lässt damit aktiv Menschen im Mittelmeer ertrinken und die Europäische Union klatscht Beifall.« Allein in diesem Jahr sind es schon mehr als 2400 Tote – deutlich mehr als in den vergangenen fünf Jahren. Dabei gibt es eine völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung. Und an die halte Sea-Watch sich.

Trotz all der Widrigkeiten: Giulia Messmer kämpft weiter »um eine solidarische Welt und ein solidarisches Europa«, ohne neokoloniale Abschottungspolitik und Grenzzäune. Als Bürgerin der EU mit all ihren Privilegien sei sie verpflichtet, weiter dafür einzutreten.

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