Konkordat und Völkermord: Ein anderer Blick auf Pius XII.

Der dem Papst unterstellte Antisemitismus soll eine Erfindung der Nazi-Propaganda sein

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was alle Menschen glauben, ist meistens falsch«, schrieb der US-amerikanische Autor John Steinbeck in seinem Roman »Geld bringt Geld«. Nach Ansicht des Historikers Michael Feldkamp trifft das auf das gängige Bild von Papst Pius XII. zu, dessen Seeligsprechung gerade erörtert wird. Feldkamp hielt dazu kürzlich bei der katholischen St.-Antionius-Gemeinde in Potsdam-Babelsberg einen Vortrag.

Bei wenigen Figuren der Weltgeschichte steht das Urteil wohl so unumstößlich fest wie im Falle des Papstes Pius XII. Mit seinem Drama »Der Stellvertreter« hat Rolf Hochhuth diesem Urteil die künstlerische Weihe gegeben: Pius XII. habe zum Völkermord an den Juden geschwiegen und sich durch seine Kooperation mit Hitlerdeutschland mitschuldig gemacht. Er habe sich, selbst als die Ermordung der Juden bereits in vollem Gange war, antisemitisch geäußert (die Juden »als Gottesmörder verteufelt«).

Hinzu kommt, worauf auch Stephan Raabe von der Konrad-Adenauer-Stiftung hinwies: Bevor er Papst Pius XII. wurde, habe Euginio Pacelli als Nuntius in Berlin das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan mit ausgearbeitet und unterzeichnet und so der noch jungen Nazidiktatur einen ungeheuren Prestigegewinn verschafft – in einem Moment, in dem diese das dringend nötig hatte.

Nach Ansicht von Feldkamp stimmt an alldem vieles nicht. Der Historiker forschte lange und intensiv im Archiv des Vatikans. »Würde ein Wissenschaftler in der Max-Planck-Gesellschaft falsche Angaben machen, dann würde er alsbald nicht mehr eingeladen«, ist sich der Historiker sicher. »In der Geschichte dürfen sie lügen, so lange und so breit, wie sie wollen.« Bezogen auf die aufgeworfenen Fragen gebe es in Deutschland eine »gleichgeschaltete Presse«.

Lange vor Papst Benedikt galt Pius XII. als »deutscher Papst«, da er sich viele Jahre seines Lebens als Diplomat des Vatikans in Deutschland aufhielt. Pacelli wurde wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Papst gewählt. Wenn ihm heute unterstellt werde, Hitler als »einzig wahren Kämpfer«, als Bollwerk gegen den Bolschewismus gepriesen zu haben, so geht das laut Feldkamp weniger auf Äußerungen des Papstes selbst als auf die Presse und den Rundfunk Nazideutschlands zurück, die diese Legende in die Welt gesetzt hätten. Wer dies heute verbreite, der wiederhole also eine Behauptung der Faschisten. Dies gelte auch für die dem Papst unterstellten antisemitischen Äußerungen. »Die ›Prawda‹ hat das Gleiche erzählt.«

Wenn es keine offizielle Verurteilung der deutschen Kriegsverbrechen in Polen durch den Vatikan gegeben habe, so sei das auf Briefe polnischer Bischöfe zurückzuführen gewesen, in denen darum gebeten worden sei, darauf zu verzichten, weiß Feldkamp. Offene Proteste Roms hätten alles nur noch viel schlimmer gemacht und die Nazis noch angestachelt, hätten diese Bischöfe gemeint. Pius XII. habe sich also darauf verlegt, »vor Ort« seine Vertreter zum Eingreifen zu bewegen. So habe die untere Ebene gegen die Zwangssprostitution jüdischer Mächen in Bordellen der Wehrmacht protestiert, und das sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest zeitweilig von Erfolg gekrönt gewesen.

Wenn die dominierende Geschichtsschreibung von katholischen Widerstandsaktionen im Einflussbereich der französischen Vichy-Regierung und Taten einzelner mutiger Männer spreche, sei das Feldkamp zufolge so nicht richtig. Vielmehr sei nachweisbar, dass der Papst den Widerstand angeordnet habe. In der Slowakei hätten sich Tausende Juden um die zunächst schützende christliche Taufe bemüht. Das habe die nazitreue Regierung mit dem Verbot unterbinden wollen, Juden in religiösen Fragen zu unterrichten. Pius XII. habe daraufhin der »Nottaufe« dieser Menschen zugestimmt, um ihnen auch ohne die eigentlich vorgeschriebene katholische Unterweisung Schutz zu gewähren. Keineswegs habe der Papst vor den Nazi-Verbrechen die Augen verschlossen. Laut Feldkamp haben im Schnitt zwei Vorfälle täglich seinen Schreibttisch erreicht. Rund 1500 Briefe von Juden mit der Bitte um Hilfe lagen dem Vatikan vor, und in den Archiven liegen die Dankesschreiben Geretteter.

Feldkamp vertrat die Ansicht, dass Pius XII. keineswegs der Ansicht war, Adolf Hitler würde sich an die Vereinbarungen des Konkordats von 1933 halten. Er habe die Interessen der Katholiken im Auge behalten müssen, und immerhin habe mit der Übereinkunft etwas vorgelegen, worauf sich die katholische Seite jederzeit habe berufen können. Pacelli habe als Nuntius damit gerechnet, dass die Nazi-Regierung nach ein oder zwei Jahren wieder verschwunden sein würde. Der Historiker warb dafür, einen Vertrag von 1933 nicht mit dem Blick von 1938 oder 1942 zu sehen. Niemand habe wissen können, was die Zukunft bringen werde.

Auf eine gravierende Auswirkung des Konkordats kam er dann aber selbst zu sprechen. Denn von da an war bei deutschen Meldeämtern aktenkundig, wer sich zum römisch-katholischen und zum protestantischen Glauben bekannte. Das habe es den Behörden leichter gemacht, Juden zu identifizieren.

Was aber in Feldkamps Vortrag keine Erwähnung fand, war die nach dem Krieg vom Vatikan unterstützte Flucht von Nazis nach Südamerika, die sogenannte Rattenlinie. Das legt mindestens eine gewisse Schwäche des Vatikans für diesen Personenkreis nahe.

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