Klassenkampf gegen Faschismus

Mangelnde demokratische Mitbestimmung im Osten begünstigt rechtsextreme Einstellungen

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Den Klassenkampf nicht an den Nagel hängen: Wer selbstbewusst in betriebliche Konflikte geht, ist meist auch demokratischer eingestellt.
Den Klassenkampf nicht an den Nagel hängen: Wer selbstbewusst in betriebliche Konflikte geht, ist meist auch demokratischer eingestellt.

Rechtsextreme Einstellungen sind auch unter gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten weit verbreitet. Bei der Landtagswahl in Hessen im Oktober wählten rund 21 Prozent der DGB-Gewerkschaftsmitglieder die Partei Alternative für Deutschland (AfD), was knapp drei Prozent mehr waren als der Rest der Bevölkerung. Ähnliche Ergebnisse konnte die völkische Partei auch zur Landtagswahl in Bayern erzielen. Diese Zahlen könnten bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Jahr 2024 noch übertroffen werden.

Eine am Dienstag veröffentlichte Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung zeigt, wie der Arbeitsalltag im Betrieb das Demokratieverständnis von Beschäftigten in Ostdeutschland prägt – und wie sich dem Erstarken der extremen Rechten etwas entgegensetzen ließe. Die Forschungsergebnisse verdeutlichen: Das Gefühl, keinen Einfluss auf betriebliche Arbeitsprozesse zu haben, begünstigt autoritäre Einstellungen.

»Unsere Studie zeigt, dass Beschäftigte weniger anfällig für rechtsextreme Einstellungen sind, wenn sie ihren Arbeitsalltag mitgestalten und im Betrieb mitbestimmen können«, erklärt Studienautor Andre Schmidt im Gespräch mit »nd«. Der Soziologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig und forscht zu sozialen Konflikten und der Demokratisierung der Arbeitswelt.

Die Ergebnisse korrelieren zudem mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft der Befragten. Allerdings reicht dies allein nicht aus: »Es ist wichtig, dass sich die Beschäftigten im Betrieb handlungsfähig erleben«, betont Schmidt. Dafür braucht es eine gewerkschaftliche Verankerung und demokratische Mitbestimmungsstrukturen.

Die sind insbesondere in Ostdeutschland schwach ausgeprägt, weshalb die Bedingungen für demokratische Erfahrungen im Betrieb dort ungünstig sind, erläutert der Soziologe. Nur etwa zehn Prozent der ostdeutschen Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Das sind zwei Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt. Und weniger als die Hälfte der Beschäftigten im Osten ist durch einen Tarifvertrag geschützt. Zudem beträgt der Lohnunterschied zwischen Ost- und Westdeutschland im Schnitt 17 Prozent.

Dies hängt mit der Deindustrialisierung nach der Wende zusammen, die mit einer hohen Erwerbslosigkeit und einer Niedriglohnpolitik einherging. Im Tausch gegen Lohnverzicht, berufliche Entwertung und schlechte Arbeitsbedingungen erhielten die Beschäftigten weitgehende Arbeitsplatzsicherheit – insbesondere in ländlichen Regionen. Dies habe eine Mentalität des »Arbeitsspartaners« hervorgebracht, die durch hohe Leistungsbereitschaft bei gleichzeitigem Verzicht auf eigene Bedürfnisse und Interessen gekennzeichnet sei.

Hier zeigen sich indes Unterschiede zwischen den einzelnen ostdeutschen Bundesländern. So schneidet Sachsen mit Blick auf die demokratischen Erfahrungen im Betrieb im Vergleich zu Brandenburg und Sachsen-Anhalt besonders schlecht ab. »Es gibt in Sachsen nicht nur eine autoritäre Kultur im politischen Raum, sondern auch in den Betrieben«, betont Schmidt. Dies sei ein günstiger Nährboden für rechtsextreme Einstellungen.

Allerdings hat in den Industriezentren Sachsens, Thüringens und in Teilen Sachsen-Anhalts in den vergangenen Jahren eine Reindustrialisierung eingesetzt, hauptsächlich in der Automobil- und Metallindustrie, zum Beispiel in den Großstädten Chemnitz, Dresden und Leipzig. In den letzten Jahren ist zudem die Erwerbslosigkeit gesunken und die Löhne sind gestiegen. Auch vor dem Hintergrund haben die betriebliche Organisation und das gewerkschaftliche Engagement zugenommen.

»Das selbstbewusste Auftreten der Beschäftigten in aktuellen Arbeitskämpfen ist in dem heute zu beobachtenden Ausmaß neu«, stellen die Forscher*innen in ihrer Studie fest.

Das soll gestärkt werden, da es sowohl zu einer besseren Tarifbindung und damit zu höheren Löhnen führt als auch die demokratische Mitbestimmung in der Arbeitswelt vergrößert. Die dürfe indes nicht nur formal existieren. Sie müsse beteiligungsorientiert sein und die partizipative Gestaltung von Arbeitsprozessen ermöglichen, betont Schmidt.

Wie das aussehen kann, ließe sich zum Beispiel bei Daimler in Untertürkheim beobachten. Nachdem der AfD-nahe Verein »Zentrum Automobil« dort bei den Betriebsratswahlen 2018 zunächst an Einfluss gewonnen hatte, hat die IG Metall eine Strategie entwickelt, um die Beschäftigten stärker einzubeziehen.

»Die Betriebsräte sind häufiger in die Werkshallen gegangen, haben sich Meinungen aus der Belegschaft angehört und haben so die Basis gestärkt.« Zudem sind sie mit ihrer Kampagne für Arbeitszeitverkürzung offensiver in den Konflikt gegangen und konnten so den Einfluss der völkischen Gewerkschaft zurückdrängen, betont der Soziologe.

Dabei sei es jedoch wichtig zu berücksichtigen, dass rechtsextreme Einstellungen nicht automatisch durch mehr Mitbestimmung verschwinden. »Was bereits in der Gesellschaft an autoritärer Persönlichkeit geformt ist, kann nicht gänzlich im Betrieb verändert werden«, betonen die Sozialforscher*innen in ihrer Studie. Aber die demokratische Mitbestimmung kann ihr mittelfristig etwas entgegensetzen, unterstreicht Schmidt.

In den Gewerkschaften wird diese Diskussion intensiv geführt. Auf dem letzten Gewerkschaftstag hat die neue Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, angekündigt, sich für eine Ausweitung der demokratischen Mitbestimmung in den Betrieben einzusetzen. Ob dies im Sinne einer konfliktorientierten Gewerkschaftsarbeit geschieht, hängt auch von den Beschäftigten vor Ort ab.

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