Frontalangriff gegen Fluchthilfe

Ein neues Gesetzespaket aus Brüssel kriminalisiert Beihilfe zu »Schleusungen«

Die Einigung von Rat und Parlament auf einen »Asyl- und Migrationspakt« ist in der Tat »historisch«, wie die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Mittwoch frohlockte: In über einem Dutzend Richtlinien und Verordnungen werden die Rechte von Geflüchteten seit 2020 massiv geschleift. Im Wirbel um die GEAS-Reform ging jedoch ein weiteres Gesetzespaket unter: Am 28. November hat die Kommission eine »Globale Allianz zur Bekämpfung des Menschenschmuggels« proklamiert und dazu auf einer gleichnamigen Konferenz zwei Vorschläge präsentiert.

Mit einer neuen Verordnung soll die Polizeiagentur Europol mehr Kompetenzen zur Verfolgung von »Schleusern« erhalten. Das betrifft insbesondere das »Zentrum gegen Migrantenschmuggel« (EMSC), das Europol 2016 zur »Ermittlungen zur Aufdeckung von Schleusernetzen« eingerichtet hat. Bislang bestand die Aufgabe des Zentrums vor allem im Verfassen von Lageberichten oder der Entfernung von Internetinhalten, in denen für die bezahlte Fluchthilfe geworben wird.

Dem Vorschlag zufolge soll das EMSC nun auch Einsatzgruppen zur »operativen Unterstützung« europäischer Polizeibehörden führen. Sie sollen im Hoheitsgebiet der 27 EU-Mitgliedstaaten operieren dürfen – sofern die dortige Regierung darum gebeten hat. Dann könnte Europol »analytische, operative, technische und kriminaltechnische Unterstützung« leisten. Die EU-Ermittler könnten dann länderübergreifende Razzien koordinieren, wie sie etwa im Hinblick auf Fluchthilfe über den Ärmelkanal im vergangenen Jahr auch in Nordrhein-Westfalen erfolgten.

Auch die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass ihre »speziellen Ermittlungsinstrumente« zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Bereich des »Menschenschmuggels« verwendet werden können. So bestimmt es eine weitere von der Kommission vorgeschlagene Verordnung. Hierzu gehören die Ausforschung von Bankkonten und Überweisungen sowie das Abhören jeder digitaler Kommunikation. Der spanische EU-Vorsitz hatte kürzlich gefordert, dass dies auch verschlüsselte Nachrichten umfassen soll. Die Ermittler in den 27 EU-Staaten sollen auch die »Online-Werbung für Schleuserdienste« verhindern und entsprechende Inhalte in sozialen Medien löschen lassen.

Die Kommission betont, dass die Unterstützung von Familienangehörigen bei der undokumentierten Einreise straffrei bleiben soll. Auch sollen Migranten oder Geflüchtete nicht dafür verfolgt werden, dass sie Fluchthilfe in Anspruch nehmen und dafür Geld bezahlen. Trotzdem werden sie häufig selbst als »Schleuser« verfolgt, etwa wenn sie bei der Überfahrt nach Europa den Motor eines Bootes bedienen oder über ein Satellitentelefon mit Rettungsstellen kommunizieren.

Auf diese Kriminalisierung machen Organisationen wie Borderline Europe aufmerksam. »Beinahe täglich werden in Griechenland Menschen unter dem Vorwand der ›Schleuserbekämpfung‹ zu drakonischen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt«, heißt es dazu in einem Bericht vom Sommer dieses Jahres. Mit der neuen Verordnung würden die griechischen Behörden für diese Verfolgung Rückendeckung aus Brüssel erhalten.

Mit dem Gesetz will die EU-Kommission auch die Strafen für »Schleusungen« in den EU-Staaten vereinheitlichen. So sollen »Straftaten, die im Rahmen einer organisierten kriminellen Vereinigung begangen werden« von der Justiz schärfer verfolgt werden. Die in der vorgeschlagenen Verordnung vorgesehenen Mindest- und Höchststrafen gehen über den derzeit geltenden EU-Rahmenbeschluss zur »Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt« von 2002 hinaus. Nun soll die Höchststrafe für eine Beihilfe zur »Schleusung« mindestens drei Jahre betragen, im Falle organisierter Kriminalität mindestens zehn Jahre und für schwerste Straftaten (etwa mit Todesfolge) 15 Jahre.

Der neue Strafrahmen soll immer dann gelten, wenn mit der »Schleusung« ein finanzieller oder materieller Vorteil verbunden ist. Allerdings soll die Tat auch ohne eine solche Entlohnung strafbar sein, etwa wenn ein »schwerer Schaden für die Drittstaatsangehörigen« entsteht. Außerdem sollen auch diejenigen bestraft werden, die »öffentlich, beispielsweise über das Internet« dazu »anstiften«, ohne Genehmigung in die Union einzureisen, durchzureisen oder sich dort aufzuhalten. Mit einem solchen Vorwurf sehen sich Organisationen wie das Alarm Phone oder auch Seenotretter konfrontiert, wenn sie über ihre Aktivitäten im Internet und in sozialen Medien berichten.

Die Kommission schlägt vor, die Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten auf Territorium außerhalb der EU auszuweiten. Damit sollen auch »Schleusungsfälle« in internationalen Gewässern verfolgt werden. Die Regelung zielt auf Fluchthelfer, die Menschen in seeuntüchtige Boote setzen und damit Todesfälle in Kauf nehmen. Jedoch sollen die Polizei- und Justizbehörden auch dann tätig werden dürfen, wenn die Taten an Bord von Schiffen oder Flugzeugen begangen werden, die in einem Mitgliedstaat registriert sind.

Auch wenn in der Verordnung bekräftigt wird, dass »humanitäre Hilfe« oder »Such- und Rettungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure« nicht kriminalisiert werden dürfen, könnte das Gesetz auch die zivile Seenotrettung betreffen. Denn immer wieder werden die die Organisationen von Staaten wie Italien, Griechenland und Malta wegen angeblicher »Schleusungen« vor Gericht gestellt.

Derartige Ermittlungen und Verfahren werden durch die vorgeschlagene Verordnung sogar noch begünstigt. Darin heißt es, dass »von Fall zu Fall und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände geprüft werden sollte, ob eine Handlung unter den Begriff ›humanitäre Hilfe‹ fällt. Die Seenotretter wären dann in jedem dieser Fälle gezwungen nachzuweisen, dass sie sich an geltendes Recht halten.

Mit der Verabschiedung des Gesetzespakets gegen Fluchthilfe ist vermutlich frühestens 2025 zu rechnen. Vorher muss sich nach den Wahlen im Sommer das neue Parlament konstituieren. Wie bei der GEAS-Reform ist es denkbar, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten den Vorschlag der Kommission sogar noch verschärfen. Auch das Parlament wird absehbar weiter nach rechts rücken, sodass von den Abgeordneten wie schon beim «Asyl- und Migrationspakt» keine Unterstützung gegen den Frontalangriff gegen Fluchthelfer zu erwarten ist.

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