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Mythos Kinderkriminalität

Polizeistatistik enthält Tausende unschuldig Verfolgte

Auch viele Kinder landen nach einer Grenzkontrolle in der Statistik für mutmaßliche Straftaten – allerdings nicht jene aus der Ukraine, wie hier im Bild.
Auch viele Kinder landen nach einer Grenzkontrolle in der Statistik für mutmaßliche Straftaten – allerdings nicht jene aus der Ukraine, wie hier im Bild.

Nachdem das Bundeskriminalamt (BKA) vor zwei Wochen die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für 2023 vorgestellt hatte, wurden Forderungen zur Herabsetzung der Strafmündigkeit von Kindern unter 14 Jahren laut. Hintergrund war die Zahl tatverdächtiger Kinder, die laut den Statistiken in den vergangenen fünf Jahren um 43 Prozent angestiegen schien. Weil sich unter den minderjährigen mutmaßlichen Straftätern viele Nichtdeutsche finden, folgte eine Debatte über »Zuwandererkriminalität«.

Polizeiwissenschaftler weisen jedes Jahr darauf hin, dass die PKS lediglich als Tätigkeitsnachweis der Polizei zu lesen ist (das sogenannte »Hellfeld«) und nichts über tatsächlich begangene Delikte aussagt: Denn ob wirklich eine Straftat vorlag, können nur Gerichte entscheiden. Hinzu kommt, dass ein beträchtlicher Teil der in der PKS gelisteten Straftaten nur von Ausländern begangen werden kann, für die mit dem Aufenthaltsgesetz ein besonderes Verfolgungsinstrument existiert.

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Dass die vermeintlich zunehmende Kinderkriminalität ein Mythos ist, bestätigt eine Antwort des Bundesinnenministeriums in der Fragestunde des Bundestages vom Mittwoch. Demnach enthält die aktuelle PKS rund 2400 Kinder unter sechs Jahren, die wegen »unerlaubter Einreise« als Straftäter gelten. Hinzu kommen rund 2900 Kinder im Deliktbereich »unerlaubter Aufenthalt«. Bundesweit zählt die Polizei 6288 Straftatverdächtige in der Altersgruppe unter sechs Jahren, umgerechnet betreffen also 85 Prozent dieser Fälle migrationsbezogene Delikte. Mit zunehmendem Alter sinkt dieses Verhältnis, bei Kindern von sechs bis zehn Jahren betreffen etwa rund 25 Prozent der gezählten Delikte die »unerlaubte Einreise« oder den »unerlaubten Aufenthalt«.

Auf diese Verzerrung hat kürzlich der Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg aufmerksam gemacht und dabei einen schwerwiegenden Vorwurf erhoben: Wenn die Polizei Tausende Kinder nach dem Aufenthaltsrecht als Tatverdächtige registriert, handele es sich um eine Verfolgung Unschuldiger und damit selbst um eine Straftat, sagt Müller. Dies geschehe »systematisch und wider besseres Wissen«. Denn Minderjährige seien nicht nur eindeutig strafunmündig, sondern – etwa als Babys – körperlich nicht einmal zu der angeblichen Straftat in der Lage.

»Die Eintragung in die polizeiliche Statistik als ›rechtswidrige Tat‹ ist daher falsch und es werden - aus welchen Gründen auch immer - die Zahlen der Kinderkriminalität durch diese Vorgehensweise aufgebläht«, sagt Müller zum »nd«. Es spreche nichts dagagen, wenn die Polizei in ihrem Arbeitsnachweis auch die Mühe, die sie mit der Registrierung von Grenzübertritten von Kindern und Babys und Kleinkindern habe, aufzeichnet, so der Experte, aber: »In die Kriminalstatistik gehört dies nicht«. 

»Die Genfer Flüchtlingskonvention regelt, dass Schutzsuchende nicht wegen ihrer ›unerlaubten‹ Einreise kriminalisiert werden dürfen. Deshalb werden fast alle entsprechenden Ermittlungsverfahren am Ende wieder eingestellt«, sagt die Linke-Abgeordnete Clara Bünger, von der die Frage im Bundestag stammte, und fordert: »Die unerlaubte Einreise von Schutzsuchenden muss entkriminalisiert werden.«

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