Katrin Lompscher: »Der Alex ist nicht totzukriegen«

Was tut sich rund um den Alexanderplatz? Fragen an Berlins ehemalige Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke)

  • Interview: Günter Piening
  • Lesedauer: 6 Min.
Soziales Quartier oder historisches Luxusviertel? Noch lassen die Pläne weitgehend offen, was am Molkenmarkt entstehen wird.
Soziales Quartier oder historisches Luxusviertel? Noch lassen die Pläne weitgehend offen, was am Molkenmarkt entstehen wird.

Frau Lompscher, wie wohnt es sich an der Mollstraße?

Die Verkehrsbelastung ist enorm, die Verkehrswende wurde hier offensichtlich noch nicht angegangen. (Sie öffnet das Schallschutzfenster, der Autolärm rauscht herein) Die Wohnungen sind natürlich nichts für Menschen, die fürs Prestige Stuck und 3,50 Meter Raumhöhe brauchen. Aber es sind großartige Wohnungen mit grünen Innenhöfen und bezahlbaren Mieten. Es ist wohl eine der größten städtebaulichen Leistungen der DDR, dass sie in so großer Zahl Wohnraum für alle in der Stadtmitte verankert hat. Und weil der überwiegend im kommunalen und im genossenschaftlichen Besitz ist, wird das auch in 50 Jahren noch so sein.

Was macht Sie da so sicher? Die aktuelle Diskussion um Rathausforum und Molkenmarkt geht in eine andere Richtung.

Seit der Wende wird versucht, die städtebaulichen Strukturen, die zu DDR-Zeiten entstanden sind, zu diskreditieren. Das ist an bestimmten Stellen gelungen, hier aber nicht. Hier stießen die Pläne auf massiven zivilgesellschaftlichen Protest. Die Menschen waren fassungslos, wie jemand auf diesen schwachsinnigen Gedanken kommen konnte, historische Straßen durch ein gut funktionierendes, durchgrüntes Wohngebiet neu zu legen.

Interview
Katrin Lompscher Berlin, 27.02.2020 Interview mit der Senatorin ...


Katrin Lompscher ist Diplomingenieurin für Städtebau. Von 2016 bis 2020 war sie Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. Bis 2021 war sie im Vorstand der Linken. Lompscher ist Vorstandsmitglied der Wohnungsgenossenschaft Moll­straße e. G. und Vorsitzende der Hermann-Hen­sel­mann-Stiftung. Henselmann war der prägende Städtebauer der frühen DDR. Die Hermann-Henselmann-Stiftung beschäftigt sich mit Fragen von Architektur, Städtebau und sozialer Stadtentwicklung und setzt sich für die Anerkennung der Leistungen der »Ostmoderne« ein.

Von Widerstand gegen die aktuellen Projekte merke ich aber wenig.

Das mag daran liegen, dass vieles in der Mitte aktuell im vagen bleibt und unsicher ist. Was sind denn das für großartige Stadtentwicklungsprojekte? Seit 30 Jahren wird versucht, irgendwelche Hochhäuser am Alex in die Höhe zu bringen. Das betrachtet man in der Nachbarschaft inzwischen mit einem gewissen Humor.
Die einzige öffentliche Einrichtung am Alex ist eine mobile Polizeiwache, ansonsten gibt es dort nur Kommerz und Transfer. Trotzdem ist der Platz ein beliebter Treffpunkt – ob da Buden stehen oder nicht. Es ist ein phänomenaler, robuster städtischer Ort, der nicht totzukriegen ist. Nicht einmal durch diese ewigen Baustellen.

Aber vielleicht durch Senatsbaudirektorin Kahlfeldt und ihren Masterplan »Historische Mitte«?

Der klammert den Alex aus, soweit ich das sehe. Und es soll hier dem Vernehmen nach vorrangig um Verkehrsgestaltung und öffentliche Räume gehen. Das sind zudem Ankündigungen oder gerade erst begonnene Vorhaben wie das Integrierte Stadtentwicklungskonzept. Letzteres soll die Grundlage für den Einsatz von Städtebaufördermitteln schaffen, was ich im Grundsatz befürworte. Beschlossen hingegen ist nach langer kontroverser Debatte die Qualifizierung des großartigen Freiraums zwischen Alex und Spree als Ort des Zusammenkommens. Das Projekt wird wie geplant fortgesetzt. Mit den landschaftsbaulichen Arbeiten könnte 2024 oder 2025 begonnen werden.
Sicher ist aber auch: Wenn jemand wieder versuchen würde, etwa einen neuen Markt um die Marienkirche hinzuquetschen, stehen wieder alle auf der Matte. Die Mitte bleibt nach meiner Wahrnehmung einer der Orte, wo der Widerstand gegen mögliche historisierende Privatisierungen anhält.

Aktuell geht es vor allem um den Molkenmarkt. Einer der Hauptpropagandisten der Historischen Mitte, Tobias Nöfer vom Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V. (AIV) hat als Parole ausgegeben, dort gehöre hochwertige Architektur hin. Die öffentliche Hand solle ihren geförderten Wohnungsbau lieber am Stadtrand machen. Eine Kampfansage?

Das ist abwegig. Selbstverständlich muss man an besonderen Plätzen auf Qualität achten und eigentlich nicht nur dort. Aber zu behaupten, nur wenn etwas teuer ist, wird es hochwertig, ist einfach Unfug. Da muss man sich ja nur anschauen, was in der Stadt für teure Gebäude entstehen. Man kann mit viel Geld auch hässliche Häuser bauen.

Was treibt diese Retrofans eigentlich an? Ist es nur die erwartbare Rendite?

Die Verwertungsmöglichkeiten sind hier eingeschränkt, da die Grundstücke im Wesentlichen in Landes- und Bundesbesitz sind. Zudem ist der spezifische Aufwand höher. Mir scheint, hier wird ein Cocktail aus Harmoniesucht angerührt, in dem sich jeder das suchen kann, was ihm am besten schmeckt. Früher waren die Häuser klein und schick und man konnte heiße Schokolade trinken und alles war wunderbar. Diese Altstadtsehnsucht wird regelrecht zelebriert, das hat für mich als Beobachterin etwas von Autosuggestion. Da wird so getan, als hätte man einen persönlichen Verlust erlitten. Und jetzt müsse man alles unternehmen, um diesen Schmerz irgendwie zu lindern. Wenigstens an dieser einen Stelle soll ein bisschen »Altstadt« gespielt werden. Es gibt seit Jahren personelle Netzwerke, die diese Agenda verfolgen und durch Sponsorengelder eine entsprechende Power haben.

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Trotzdem gibt es kaum zivilgesellschaftlichen Widerstand, es bleibt eine Fachdiskussion.

Wenn der Molkenmarkt hier in der Nachbarschaft wäre, wären die Leute längst auf den Bäumen. Aber die Baufläche ist recht isoliert und überhaupt kein attraktiver Ort, das tangiert das unmittelbare Lebensumfeld nicht. Die Leute lesen von Masterplan und irgendeiner Charta, das sagt ihnen nichts. Wenn aber der Straßenumbau abgeschlossen ist und man den Flächengewinn sieht und wenn Architekturwettbewerbe durchgeführt werden, die zeigen, was passieren soll, dann wird die Aufmerksamkeit wachsen.
Möglicherweise spielt auch eine Rolle, dass viele Aktive denken, diese Folklorekoalition aus CDU und SPD kriegt bis zu den nächsten Wahlen eh nichts gebacken. Die CDU bekommt ihre Friedrichstraße und die SPD die Instagram-Posts von Frau Giffey, und das war’s. Aber man täusche sich nicht, da ist natürlich mehr, die haben eine politische Agenda. Doch noch einmal: Der Molkenmarkt ist in öffentlicher Hand. Und das aus der Hand zu geben, ist eine politische Entscheidung, für die man erst mal die notwendigen Mehrheiten bekommen muss. Ich bin fest davon überzeugt, wenn der gefundene Konsens aufgekündigt wird, dann wird die Stadtgesellschaft rebellisch.

Ist die Auseinandersetzung um den Molkenmarkt ein Konflikt unter vielen, oder wird hier ein entscheidender Schlag gegen die Ideen der Ostmoderne geführt?

Es ist ein Konflikt unter vielen, denn es ist eben doch nur ein Baufeld, zwar an einem zentralen Ort, aber trotzdem ohne besonders herausgehobene Bedeutung. Aber in der aktuellen stadtpolitischen Debatte wird es neben den Bebauungsphantasien um das Tempelhofer Feld zu einem Kulminationspunkt. Die öffentlichen Wohnungsunternehmen werden eine Antwort auf die Frage geben müssen, wie an dieser Stelle ein lebendiges Stadtquartier entsteht, in dem ein sozial gemischter Wohnungsbau in guter architektonischer Qualität realisiert wird. Und wenn es gelingt, eine gute Vernetzung mit den benachbarten Stadtvierteln hinzubekommen und die avisierten Kulturnutzungen dauerhaft anzusiedeln, kann daraus ein attraktives Quartier werden.

Nun hat der AIV angekündigt, eine Genossenschaft zu gründen, um an die Grundstücke zu kommen. Gleichzeitig fordert er dort hochpreisiges Wohnen. Sie sind selbst im Vorstand einer Genossenschaft, darum die Frage: Was sagt uns das über den Zustand der Genossenschaftsidee?

Das sagt, dass sie ein bisschen auf den Hund gekommen ist. Gute und bezahlbare Wohnungen in solidarischen Nachbarschaften sind das Kerngeschäft der Genossenschaften, jedenfalls der traditionellen und der allermeisten. Dadurch tragen sie zum sozialen Zusammenhalt bei. Was hier passiert, hat mit Gemeinwohl nichts zu tun, sondern ist eine Instrumentalisierung des Genossenschaftsbegriffs für wesensfremde Zwecke – um das Wort »Missbrauch« nicht zu verwenden. Eigentlich müssten sich die anderen Genossenschaften dagegen verwahren. Tun sie aber leider nicht. Dem Land muss klar sein, dass es sich ein Trojanisches Pferd einkauft, wenn es dieser Genossenschaft Eintritt zum Molkenmarkt verschafft.

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