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»El Salvador ist auf dem Weg in eine Diktatur«
Menschenrechtlerin Zaira Navas über die Politik von Präsident Nayib Bukele und die anstehende Wiederwahl gegen die Verfassung
El Salvadors Präsident Nayib Bukele möchte am 4. Februar erneut für das Präsidentenamt kandidieren, obwohl die Verfassung zwei aufeinanderfolgende Kandidaturen verbietet. Ist El Salvador auf dem Weg in eine Diktatur?
Ja, El Salvador befindet sich zweifellos auf dem Weg in eine Diktatur. Derzeit befindet sich das Land in einer Phase des Autoritarismus, der sich mehr und mehr verschlimmert. Bukele hat, als er 2019 als Präsidentschaftskandidat angetreten ist, den Wählern das Angebot eines radikalen politischen Wandels unterbreitet, nicht das zu machen, was die traditionellen Parteien machen. Er hat sich damals mit sehr progressiven Menschenrechtsorganisationen verbündet, auch mit Frauenorganisationen und vieles mehr. Das war aber nicht mehr als eine Strategie, um Stimmen zu gewinnen. Er, Jahrgang 1981, präsentierte sich als junger, unverbrauchter Politiker, ein Millennial mit neuen Ideen, wie auch seine Partei heißt: Nuevas Ideas. Mit all dem zielte der darauf ab, die Unzufriedenheit der Salvadoreños mit den traditionellen Parteien wegen der Unsicherheit und der Gewalt auszunutzen. Zudem setzt er auf eine permanente Kommunikationskampagne, bei der den Salvadoreños gesagt wird, was sie hören wollen. Alles ist gut, ich habe alles im Griff. All das mit dem Ziel, sich an der Macht zu halten.
Zaira Navas leitet den Bereich Rechtsstaatlichkeit bei der Menschenrechtsorganisation Cristosal. Früher arbeitete sie unter anderem in der Ombudsstelle für Menschenrechte und leitete die Kinderschutzbehörde. Bei Cristosal ist sie unter anderem für eine Untersuchung zum Folterregime in den Gefängnissen zuständig.
Deswegen tritt er 2024 gegen die Verfassung nochmal an?
Ja. Bukele selbst hatte am Anfang seines Mandates gesagt, dass eine Wiederwahl nicht verfassungsgemäß sei und auch nicht, dass sich ein amtierender Präsident überhaupt wieder zur Wahl stelle. Trotz seines Wortbruchs hat er eine hohe Popularität, vor allem dank seiner Kommunikationsstrategie. Er ist nicht nur in El Salvador populär, sondern auch außerhalb. Er setzt auf Influencer und auf Werbung, nach innen und nach außen. Das Geld aus dem Präsidialamt wird vorzugsweise zum Bezahlen von Lobbyisten eingesetzt, die im Ausland das Image von Bukele schönfärben. Es ist gewiss, dass die Gewalt und die kriminellen Banden viel Schaden bei der Bevölkerung angerichtet haben und die Bevölkerung eine sofortige Antwort darauf wollte. Bukele hat diese Antwort gegeben, aber auf illegale Art und Weise.
Inwiefern illegal?
Im Juli 2019, einen Monat nach der Amtsübernahme, hat er bereits Verhandlungen mit den kriminellen Banden aufgenommen und infolgedessen nahmen die Morde ab. Dasselbe geschah unter Präsident Mauricio Funes 2012, der auch mit den Banden verhandelte und so zeitweise die Mordrate senken konnte. Wie im Fall von Funes wurde auch bei Bukele bekannt, dass er mit Kriminellen Vereinbarungen getroffen hat. Im Unterschied zu Funes schaffte es Bukele, dass ihm das Bekanntwerden dieser Tatsache nicht schadete. Nachdem er im Anschluss die Verhandlungen mit den Banden abbrach, verhängte er danach im März 2022 den Ausnahmezustand.
Dass Bukele durchregieren kann, ist ein Ergebnis der Parlamentswahlen 2021, die seiner Partei zwei Drittel der Sitze bescherte. Was bedeutet das für die Demokratie?
Bukele benutzt die parlamentarischen Verhältnisse, um jede Opposition kleinzumachen. Er hat die Richter des Verfassungsgerichts abgesetzt, die sich in der Vergangenheit gegen Bukele gestellt hatten. Er hat veranlasst, dass der Oberste Gerichtshof komplett mit neuem Personal besetzt wird, und das mit Personen, die gar nicht die Voraussetzungen erfüllen und nicht gewählt wurden. Er hat den Oberstaatsanwalt entlassen, der wegen mutmaßlicher Korruption in der Regierung ermittelte, und er begann damit, Funktionäre in anderen staatlichen Institutionen zu entlassen, um sie durch ihm gewogene Personen zu ersetzen. Es wird alles für die Wiederwahl von Bukele vorbereitet.
Die Verfassung schert Bukele einfach nicht?
Nein. Sie schreibt klar vor, dass eine Wiederwahl in der Folgeperiode ausgeschlossen ist. Das Verfassungsgericht in der von Bukele ernannten Besetzung ist illegal. Dieses Verfassungsgericht hat die Verfassung nun so ausgelegt, dass es ohne Verfassungsänderung möglich sei, wenn Bukele 2024 nochmal antritt. Aber danach nicht noch mal. Das ist ziemlich absurd. El Salvadors Vizepräsident Félix Ulloa reist viel ins Ausland, um dort Überzeugungsarbeit zu leisten, dass die Wiederwahl Bukeles verfassungsgemäß sei. Einfach, weil die Bevölkerung es verlange und deswegen das Brechen der Normen des Rechtsstaats vertretbar sei. Wir machen nur, was die Bevölkerung will, ist die Argumentationslinie.
Der Ausnahmezustand seit März 2022 hat laut den offiziellen Daten die Sicherheitslage verbessert und die Mordrate gesenkt. Trauen Sie den Angaben?
Nicht wirklich. Der Ausnahmezustand hilft Bukele, seine Macht zu zementieren. Es stimmt zwar, dass seit dem Ausnahmezustand mehr als 75 000 mutmaßliche Kriminelle von dem Regime inhaftiert wurden. Und es stimmt, dass die Zahl der Tötungsdelikte zurückgegangen ist, aber wir können den offiziellen Daten nicht trauen, weil wir keinen Zugang zu den Informationen der Polizei, der Streitkräfte, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte haben. Alle Informationen sind für vertraulich erklärt worden. Wir können keine vergleichenden Analysen durchführen, und außerdem wurde die Registrierung der Toten seit 2021 geändert. Vermisste Personen werden nicht mehr als vermisst registriert.
Es soll mehr vermisste Personen denn je geben, heißt es. Stimmt das?
Auf alle Fälle steigt die Zahl der Verschwundenen. Außerdem werden Personen, die in Massengräbern gefunden werden, die entweder von den Banden oder der Polizei ermordet wurden, das wissen wir nicht, überhaupt nicht mitgezählt. Es wird gesagt, dass die vor dem Ausnahmezustand getötet wurden und deshalb nicht in die Statistik eingehen. Das wird einfach so behauptet, ohne dass es eine forensische Untersuchung gibt, die das belegt. Und weil die wahren Zahlen verborgen sind und die Kampagne der Regierung, dass alles auf einem guten Weg sei, verfängt, glauben die meisten Leute auch, dass dem so sei. Es ist viel Publicity, wenig Substanz.
Ist Bukeles Populärität ungebrochen?
Ja, in den Umfragen ist er sehr populär, die Leute sagen, dass sie ihn mögen, auch wenn es zuletzt einen leichten Rückgang bei der Zustimmung gab. Es ist offensichtlich, dass er wiedergewählt wird, da er das Oberste Wahlgericht kontrolliert und es Reformen der Wahlgesetzgebung gegeben hat. Bisher gab es in El Salvador 262 Kommunen und nun werden es nur noch 48 sein. Diese Änderung macht es für eine andere Partei als Nuevas Ideas nahezu unmöglich, Bürgermeisterwahlen zu gewinnen. Kreise, wo die Opposition eine Chance hätte, wurden mit mehreren anderen zusammengelegt, wo bisher die Nuevas Ideas stärker ist. So könnte Nuevas Ideas alle 48 Kommunen gewinnen. Dann wird es in El Salvador keine Opposition mehr geben. Mit demokratischen Wahlen hat das nichts mehr zu tun.
Die Demokratie in El Salvador scheint quasi gestorben zu sein und so gut wie niemand scheint das zu beklagen. Täuscht dieser Eindruck?
Nein, das ist mehr oder weniger schon die Realität. Die Menschen leben in dieser Blase der Desinformation. Außerdem hat die Bevölkerung die Wahrnehmung, dass sie nun sicherer lebt als davor. Ich glaube, dass es in El Salvador ein großes Versäumnis gibt. Es wird scheinbar vergessen, was für eine gewalttätige Vergangenheit die Armee hat, im Bürgerkrieg von 1979 bis 1992. Deshalb kann Bukele den Krieg als Farce bezeichnen. Die Friedensabkommen habe es nie gegeben, sagt er, das alles sei ein Schwindel. Bukele will die Bevölkerung nicht daran erinnern, dass die Armee im Krieg viele Verbrechen begangen hat, weil er seine Macht auf das Militär stützt und das auch die nächsten Jahre tun will.
Gibt es irgendein Rezept, Bukele zu stoppen?
Kurzfristig dürfte es sehr schwierig werden. Ich finde es sehr wichtig, international Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Es ist sehr wichtig, dass es international eine realistische Sicht auf Bukele gibt, dass die internationalen Medien kritischen Stimmen aus El Salvador Gehör verschaffen, seien es Journalisten oder Menschen aus sozialen Bewegungen. Auch dieses Interview wollen wir übersetzen und in El Salvador verbreiten. Denn die Bevölkerung in El Salvador vor allem auf dem Land bezieht seine Informationen nur über Bukeles Kanäle. Um ihre Wahrnehmung zu ändern, müssen sie richtig informiert sein. Aber es ist auch klar, dass die 75 000 im Ausnahmezustand Verhafteten die Wahrnehmung bei den Angehörigen verändert hat in Bezug darauf, ob Bukele wirklich die Probleme löst. Die Regierung selbst ist sich darüber im Klaren, dass es bei der Zahl der Inhaftierten eine Fehlerquote von grundlos Verhafteten gibt, und hat deswegen bis heute mehr als 7000 Menschen wieder freigelassen.
Die Bilder, die hier aus Gefängnissen in El Salvador zirkulieren, lassen wenig angenehme Zustände hinter den Mauern vermuten.
Die Bedingungen in den Gefängnissen sind sehr schlimm, gehen oft mit grausamer, unmenschlicher Behandlung bis zu Folter einher. Allein unsere Organisation Cristosal hat bisher mehr als 183 Menschen registriert, die im Gefängnis gestorben sind. Und die Beweise, die wir in den von uns durchgeführten Untersuchungen gesammelt haben, zeigen uns, dass sie gefoltert wurden, dass sie keine medizinische Versorgung erhielten oder dass sie sich im Gefängnis Krankheiten zuzogen. Wenn diese Informationen die Bevölkerung erreichen, regen sie die Bevölkerung zum Nachdenken an. Da uns Bukele blockiert, ist es für uns schwierig, die Bevölkerung zu informieren.
Was bedeutet das für die Arbeit ihrer Organisation?
Wir müssen die öffentliche Anklage fortsetzen, die Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, die Wirtschaftskrise dokumentieren. Dieser Präsident hat El Salvador massiv verschuldet, er hat Gelder aus den Rentenkassen zur Finanzierung der Regierung verwendet. Es dauert nicht mehr lange, bis die Schuldenlast nicht mehr tragbar ist, bis zur Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Inzwischen fehlt ihm sogar das Geld, um die insgesamt 100 000 Häftlinge in den Gefängnissen zu versorgen.
Trotz allem ist Bukele ein Modell, das sich Honduras, Guatemala und andere zum Vorbild nehmen ...
Ja, es gibt einige Länder in Lateinamerika, die Bukeles Politik gegen die Banden für erfolgversprechend halten und ihm folgen wollen. Bukele orientiert sich vor allem an Trump und dessen Diskurs und außerdem orientiert er sich an den Handbüchern der lateinamerikanischen Diktaturen und der Rechten. Er hat venezolanische Berater aus dem Umfeld von Juan Guaidó. Die haben ihn strategisch beraten und in den USA Lobbyarbeit für ihn gemacht. Lateinamerika kehrt in vielen Ländern zu einem sogenannten Strafpopulismus zurück, bei dem Politiker miteinander konkurrieren, wer den härtesten Kurs fährt. Der Strafpopulismus kommt in Zyklen und es gibt Länder, die dafür einen höheren Preis zahlen als andere. El Salvador gehört dazu. Deswegen wird das Notstandsregime auch weiter gehen. Selbstverständlich ist das längst kein Ausnahmezustand mehr, sondern die neue Normalität. Es ist die Politik von Bukele, um jede Oppositionsstimme einzuschüchtern, zu schikanieren und zum Schweigen zu bringen.
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