Pedo Culture: Die Angst vor der selbstbestimmten Frau

Veronika Kracher über Beziehungen von Männern zu jungen Frauen

Wir leben nicht nur in einer Gesellschaft der Rape Culture – also: eine Kultur, in der sexuelle Gewalt normalisiert ist, und nicht Täter, sondern Betroffene dieser Gewalt stigmatisiert werden –, sondern wir leben auch in einer Gesellschaft der Pedo Culture. Gerade Mädchen werden sexualisiert, sobald ihnen die ersten A-Cups wachsen.

Meine ersten Erfahrungen mit sexueller Belästigung habe ich mit elf Jahren machen müssen. Allen meinen Freundinnen erging es ähnlich (und um Rassisten zuvor zu kommen: Die Männer, von denen diese lüsternen Blicke, erniedrigenden Kommentare und Anbaggerversuche ausgingen, waren größtenteils weiße Deutsche). Die Kategorie »Teenager« erfreut sich auf Porno-Seiten ungeschlagener Beliebtheit: Die Plattform »Pornhub« steht regelmäßig in der Kritik, weil sie Videos von der Vergewaltigung Minderjähriger nicht löscht. Teile der Anime-Fanszene legitimieren ihren Konsum von »Lolicon« oder »Shotacon« – kinderpornographisches Material – damit, dass es ja »nur Zeichnungen« seien. Sobald eine jugendliche Schauspielerin das 18. Lebensjahr vollendet, erfreuen sich Männer im Internet darüber, dass sie nun endlich »legal« sei – und demzufolge legitime Masturbationsvorlage.

Das Forum »Reddit«, auf dem es eigene Unterforen zu diesem Phänomen gibt, erlaubt übrigens auch »Subreddits« für die Bilder augenscheinlich minderjähriger Mädchen in Badeanzügen und Bikinis. Wenn gerade berühmte Männer wie Till Lindemann, der in seinem aktuellen Musikvideo eine Vergewaltigung nachstellt, der Fußballspieler Sadio Mané oder der inzwischen für sein Dating-Verhalten regelmäßig kritisierte Schauspieler Leonardio diCaprio Partnerinnen haben, die erst seit einem Jahr wählen dürfen, wird dies zum Beispiel mit folgender »Bild«-Schlagzeile betitelt: »Exklusiv: Till LIEBEMann und das Model – In der Stadt der Liebe genießt er scheinbar sein junges Glück! (sic)«.

Veronika Kracher

Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.

Sowohl selbsternannte Alpha-Männer als auch religiöse Fundamentalisten rechtfertigen Sex und sogar Ehen mit stellenweise noch Minderjährigen mit deren vermeintlicher »Fruchtbarkeit« und »Reinheit«. Sowieso: Frauen über 25 seien »verbraucht«, »vom Feminismus verdorben«, ihr »Bodycount« sei »zu hoch« – sprich: Sie hatten bereits »zu viele« Sexualpartner*innen. Und wenn sie Grooming und die Sexualisierung von Teenager*innen kritisieren, dann sind sie »nur neidisch« darauf, nicht mehr zum Ziel der übergriffigen Avancen vierzigjähriger Fahrschullehrer werden. Diese Männer sehen Frauen nicht als eigenständige Subjekte, sondern lediglich als Sexobjekte.

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»Aber solange sie doch volljährig ist, wo ist das Problem? Ihr Feminist*innen wollt Frauen doch ihre freie Entscheidung nehmen!« So unken dann (vor allem) Männer und versuchen dadurch, ihre Ignoranz gegenüber patriarchalen Machtstrukturen als Verteidigung sexueller Freizügigkeit zu inszenieren. Dieses Pseudo-Argument verschweigt nämlich (oftmals ganz bewusst) die konkrete Machtdiskrepanz dieser Beziehungen. Und diese Machtdiskrepanz ist es, wegen der Männer »Beziehungen« zu deutlich jüngeren Frauen aufnehmen. Sie haben kaum sexuelle Erfahrung, kennen also ihre Bedürfnisse und Grenzen nicht – was gezielt ausgenutzt wird. So wird den Betroffenen verweigert, ein selbstbestimmtes Begehren und Verständnis der eigenen Sexualität zu entwickeln.

Auch bezüglich Lebenserfahrung oder finanzieller Eigenständigkeit gibt es enorme Unterschiede. Pedo Culture romantisiert dies mit Aussagen wie »Junge Mädchen sind noch so leicht zu begeistern! Sie sind nicht so zynisch wie ältere Frauen. Und sie haben auch nicht so hohe Ansprüche!« Der Grund: Sie haben kaum Vergleiche zu anderen Beziehungen.

Letztendlich spricht aus Pedo Culture vor allem die Angst vor weiblicher Selbstbestimmung: Dieser Typ Mann hat Angst davor, als mittelmäßiger Liebhaber und Partner erkannt zu werden, Widerspruch zu erfahren und Kompromisse eingehen zu müssen. Und wie es im Patriarchat leider so ist, schlägt diese Angst regelmäßig in Kontrollsucht und Gewalt um – gegen die unsere Gesellschaft viel zu wenig vorgeht.

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