Zwei Jahre Blockaden: Es wird ruhig um die Letzte Generation

Laut einem Protestforscher stagniert die Letzte Generation, die Gruppe selbst spricht von »Luftholen«. Zwei Gründungsmitglieder ziehen sich zurück

  • Torsten Holtz, Andreas Rabenstein, Verena Schmitt-Roschmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Als Anfang Januar aufgebrachte Landwirt*innen Straßen blockierten, war auch die Klima-Protestgruppe Letzte Generation wieder da. Mit Papp-Traktoren. Wieder einmal klebten sich Aktivist*innen auf die Fahrbahn, diesmal mit Sprüchen wie: »Hört auf uns, wir haben Traktoren!« Es war Ironie, aber es schwang auch Frust mit. »Wir fragen uns, warum unsere Regierung den Protesten der Bauern so viel offener gegenübersteht als denen der Klimagerechtigkeitsbewegung«, sagte Lina Johnsen, eine Sprecherin der Gruppe.

Vor genau zwei Jahren, am 24. Januar 2022, begann die Letzte Generation ihre Straßenblockaden für eine radikale Klimawende. Dazu kamen Proteste in Museen, Stadien, Ministerien. 550 Aktionen zählte allein die Polizei Berlin im vergangenen Jahr, die Staatsanwaltschaft der Hauptstadt hat inzwischen 3700 Verfahren geführt. Zeitweise regte sich die halbe Republik über die Aktivist*innen auf, einige verdächtigten sie als künftige »Klima-RAF«. Doch seit einiger Zeit ist es merklich stiller um die Letzte Generation.

Sie steht im Schatten der lautstarken Bauernproteste und nun auch der großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Ihre nächste geplante »Massenblockade« am 3. Februar sagte sie zugunsten einer Aktion gegen rechts ab. Ist die Luft raus aus der Bewegung? Noch nicht ganz, meint der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. »Aber die Bewegung stagniert, und das bedeutet, dass man künftig eine Abflachung erwarten kann.«

Tatsächlich scheint es seit Herbst 2023 auch intern zu knirschen. Auf Telegram-Kanälen der Letzten Generation war von Problemen die Rede, meist etwas verklausuliert. Anfang November wurde bekannt, dass Mitgründer Henning Jeschke aus dem Führungsteam ausscheide und sich verstärkt international betätigen wolle. Kurz darauf der nächste Rückzug: »Heute morgen hat Lea Bonasera beschlossen, ihre Rollen niederzulegen und die Kampagne zu verlassen«, erklärte die Letzte Generation. »Die Nachricht hat uns sehr aufgewühlt.«

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Bonasera und Jeschke waren die beiden, die im Sommer 2021 mit einem wochenlangen Hungerstreik ein Gespräch mit dem späteren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erstritten. Nun hat ein neues »Kernteam« übernommen. »Die jetzige Entwicklung ist Teil einer absehbaren Erschöpfung und der Erkenntnis, dass man nicht auf Dauer mit derselben Intensität weitermachen kann«, sagt Protestforscher Rucht. »Aber es gibt auch Zweifel, was das Ganze gebracht hat.« Man habe zwar das Klima-Thema auf der Tagesordnung gehalten. »Aber es ist eben kein Durchbruch in Sachen Klimaschutz erzielt worden.«

Eher im Gegenteil: Zumindest in der öffentlichen Meinung hat das Thema verloren. Im Sommer 2021 sagten im ZDF-»Politbarometer« noch 68 Prozent der Befragten, die Politik tue zu wenig beim Klimaschutz. Für 22 Prozent war es gerade richtig, für sechs Prozent zu viel. Knapp zwei Jahre später, im April 2023, sagten in der gleichen Umfrage nur noch 48 Prozent, es werde zu wenig für den Klimaschutz getan. 23 Prozent sagten »gerade richtig«, aber für 25 Prozent war es zu viel.

Die Stimmung im Land hatte sich gedreht. Während 2021 noch 68 Prozent von 2000 Befragten des Instituts Kantar grundsätzlich Unterstützung für die Klima- und Umweltbewegung äußerten, waren es im Mai 2023 nur noch 34 Prozent. Für Straßenblockaden der Letzten Generation hatten gerade einmal acht Prozent Verständnis. »Dieser Protest verhindert eine Mehrheit für Klimaschutz«, klagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Evangelischen Kirchentag 2023. »Er treibt die Leute weg.«

Dem widerspricht die Letzte Generation vehement. Rückschläge habe die Ampel selbst zu verantworten, sagt Aktivist Theo Schnarr, der seit 2021 bei Blockaden mitmacht. »Die Klimapolitik der Ampel ist schlicht sozial ungerecht. Wenn sie die CO2-Preise erhöht, aber das versprochene Klimageld nicht einführt, dann ist das massiv ungerecht.«

Die Bilanz der eigenen Proteste sieht der 32-Jährige hingegen positiv. »Wir haben eine Verschiebung erreicht, wie über das Thema gesprochen wird.« Von »Klimaterroristen« sei keine Rede mehr. Verwandte und Bekannte fragten sich, warum einer wie er, ein freundlicher Mensch und Doktorand der Biochemie, sich auf der Straße festklebe.

Die derzeitige Ruhephase der Letzten Generation sei eher ein Luftholen für Neues, sagt Schnarr. »Das ist gerade in der Mache.« Er selbst jedenfalls werde weitermachen. Denn die Folgen der Erderwärmung seien 2023 einfach krass gewesen.

Das Jahr 2023 war global das heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Sturm Daniel mit extremen Regenfluten war der bisher tödlichste in Afrika. Hurrikan Otis über Mexiko gilt laut französischen Forschern als beispielloses Ereignis. Auch in Deutschland könnte der viele Regen in diesem Winter – mit Hochwasseralarm in etlichen Regionen – mit der Erderhitzung zusammenhängen. »Der Klimawandel geht ungebremst weiter«, warnte zum Jahreswechsel Tobias Fuchs, Vorstand Klima und Umwelt beim Deutschen Wetterdienst.

Die Klimaforschung ist sich einig, dass noch in diesem Jahrzehnt politisch radikal umgesteuert werden müsste, um die Erderhitzung auf ein erträgliches Maß einzudämmen. Gemeint ist das 2015 in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu deckeln im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dafür müsste nach Erkenntnissen des Weltklimarats IPCC der Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken.

Das scheint kaum schaffbar, denn die CO2-Emissionen nehmen weltweit gesehen nicht ab, sondern bisher noch zu. In Deutschland sinken die Emissionen, aber die Regierung hechelt ihren eigenen Zielen hinterher. Da scheint die Versuchung groß, zu resignieren – oder den menschlichen Anteil am Klimawandel schlicht zu leugnen, wie es die in Umfragen so starke AfD tut.

Aktivist Schnarr hofft, dass die Mehrheit nicht aufgibt, sondern aktiv wird. »Jeder Mensch muss sich jetzt die Frage stellen: ›Nehme ich das so hin?‹ oder weitergedacht: ›Was sage ich meinen Kindern in 20 Jahren, was ich in diesen entscheidenden Jahren getan habe?‹, wo doch alle Fakten auf dem Tisch liegen.« Der Temperaturanstieg beträgt hierzulande bereits durchschnittlich 1,6 Grad. dpa/nd

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