Letzte Generation: Kraft sammeln für den nächsten Protest

Die Letzte Generation macht Sommerpause. Anlass für eine Bilanz der vergangenen zwei Jahre Protest

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 7 Min.
Marion Fabian (links), Aktivistin der Letzten Generation, bei einer Straßenblockade
Marion Fabian (links), Aktivistin der Letzten Generation, bei einer Straßenblockade

Aus sieben jungen Menschen, die im Sommer 2021 in Berlin in einen Hungerstreik fürs Klima traten, ist zwei Jahre später die wohl meistdiskutierte und umstrittenste Klimaschutzgruppe Deutschlands mit über 1000 Unterstützer*innen geworden. Immer wieder blockieren sie Straßen und Flughäfen. Sie störten Großevents, klebten an Pipelines und Gemälden und ließen bereits zahlreiche Gerichtsprozesse sowie zwei Razzien über sich ergehen.

In einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) brachte die Letzte Generation ihr Anliegen erstmals breit in die Medien. Damals ging es noch um Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung. Seitdem wurden die Forderungen mehrmals ergänzt, um eine vollständige Dekarbonisierung der Energie, ein Tempolimit, ein 9-Euro-Ticket sowie einen Gesellschaftsrat, der über die Klimaneutralität Deutschlands bis 2030 beraten soll.

Zum Markenzeichen der Klimaaktivist*innen wurde der Sekundenkleber, mit dem sich viele von ihnen an den Asphalt kleben, um Straßenblockaden zu verlängern. Mit diesen Blockaden erreiche man die meisten Menschen, »da wir den Alltag der normalen Leute stören«, sagt Aktivistin Marion Fabian dem »nd«. Für die Verursachung kilometerlanger Staus erntet die Gruppe Hass auf der Straße und im Netz. Wütende Autofahrer*innen »schlagen, treten und drohen uns die Haut abzureißen oder totzuschlagen«, beschreibt Fabian. »Das ist manchmal ziemlich schrecklich.«

Die größte negative Aufmerksamkeit wurde der Letzten Generation zuteil, als im Oktober in Berlin eine Radfahrerin überfahren wurde und starb. In vielen Medien wurde damals verbreitet, dies sei die Schuld der Aktivist*innen, weil ein Rettungswagen aufgrund einer Straßenblockade im Stau stand. Inzwischen ist das widerlegt. »Wir bilden immer eine Rettungsgasse«, betont Fabian. Und es gebe auch viele solidarische Reaktionen und sogar Autofahrende, die sich Blockaden anschließen würden.

Zudem haben am Freitag zahlreiche teils prominente Personen aus Politik, Kultur und Wissenschaft einen Solidaritätsaufruf veröffentlicht. Erstunterzeichner*innen des Appells »Alle reden über Klimakleber. Wir tun was gegen die Klimakatastrophe!« sind unter anderem die Autor*innen Fata Aydemir, Asha Hedayati, Seyda Kurt, Sharon Dodua Otoo, Klaus Theweleit, Anne Wizorek und Hengameh Yaghoobifarah. Dazu kommen Professor*innen wie Stephan Lessenich, Rahel Jaeggi und Axel Honneth sowie der Regisseur Milo Rau.

Kay Kuhle, einer der Initiatoren, findet die Aufregung um die Aktionsformen der Klimabewegung »absurd«. »Politik und Medien haben Teile der Bevölkerung so aufgehetzt, dass sie es beklatschen, wenn LKWs Klimaaktivistinnen überrollen«, konstatiert er. Die Politik lenke so ab vom eigentlichen Problem, der Klimakatastrophe, »die hunderte Millionen Menschen zur Flucht zwingen wird«.

Im Aufruf heißt es: »Die Hauptverantwortung für die Klimakrise liegt im Kapitalismus mit seinem rücksichtslosen Streben nach Profit.« Die natürlichen Ressourcen würden »über jedes vernünftige Maß« ausgebeutet. »Dieses System hat uns an den Rand des Abgrunds gebracht«, so die Unterzeichnenden.

Die etablierte Politik handle dennoch weiter im Interesse der Unternehmen, leugne die Klimakrise oder relativiere ihr Ausmaß. Sie setze »auf den Irrweg grünen Wachstums und technokratische Lösungen«. Angesichts des dramatischen Status quo seien die Aktionen der Klimabewegung »völlig harmlos« und zugleich dringend nötig. Erstunterzeichner*in Hengameh Yaghoobifarah dankte den »Engagierten, die sich aktiv für den Schutz des Planeten einsetzen« und rief »alle auf, sich ihnen anzuschließen«.

Im Frühling 2022 drehten Aktivist*innen im Zuge der Dekarbonisierungskampagne Ölpipelines ab, unter anderem an der PCK-Raffinierie in Schwedt. Das war Grund für die erste Razzia im Dezember: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Fünf Monate später schloss sich die Generalstaatsanwaltschaft München dem an, durchsuchte bundesweit Wohnungen, beschlagnahmte Konten und stellte die Website der Gruppe ab. Die Pipeline-Aktionen wurden nach einigen Versuchen allerdings verworfen. »Das hat nicht so große Aufmerksamkeit gebracht«, sagt Fabian.

Sehr erfolgreich seien dagegen die Kunstaktionen gewesen. So klebten sich Aktivist*innen im vergangenen Jahr an die Bilderrahmen berühmter Gemälde oder bewarfen eines mit Kartoffelbrei in Museen in Dresden, Potsdam oder Berlin. »Da musste man ja befürchten, das Abendland geht mal wieder unter«, kommentiert Fabian die Reaktionen. Auch die Kampagne gegen Reiche, in deren Rahmen Luxusgeschäfte, -Hotels, Privatjets und eine Yacht mit oranger Farbe besprüht wurden, sei gut gelaufen.

Besonders viel Aufmerksamkeit werde mit Flughafenblockaden erregt, wie zuletzt am 13. Juli in Hamburg und Düsseldorf. Allerdings könne man das nicht zu oft tun, da die Strafen dafür sehr hoch seien. »Die Aktivist*innen, die das machen, müssen sich verschulden«, erklärt Fabian.

Juristisch sind die Aktionen der Letzten Generation umstritten. Für die Straßenblockaden wird den Aktivist*innen meist Nötigung vorgeworfen, wofür sie zu Geldstrafen verurteilt werden. Es gab jedoch auch schon einzelne Haftstrafen. Andere Aktivist*innen wurden für dieselben Vergehen freigesprochen, und manche Richter*innen äußerten Verständnis für den Protest. Zuletzt versuchte die Berliner Staatsanwaltschaft der hunderten Verfahren gegen Klimaaktivist*innen durch die Beantragung von beschleunigten Verfahren Herr zu werden. Der erste Versuch dieser Art wurde vom Amtsgericht Tiergarten jedoch abgelehnt.

Kay Kuhle, Initiator des Solidaritätsaufrufs, verurteilte die Kriminalisierung der Aktivist*innen. Die Unterzeichnenden des Aufrufs unterstützen deshalb die unter anderem vom Komitee für Grundrechte und Demokratie bereits Mitte Juni verabschiedete Erklärung »Solidarität mit der ›Letzten Generation‹! Wir fordern die Einstellung aller Verfahren und die Abschaffung von §129!«. Der Strafrechtsparagraf sieht für die Bildung wie auch die Unterstützung einer »kriminellen Vereinigung« hohe Haftstrafen vor und gibt Ermittlungsbehörden weitreichende Befugnisse.

Den größten Erfolg auf politischer Ebene erzielte die Gruppe in diesem Frühjahr in Hannover, Tübingen und Marburg. In allen drei Städten unterstützen die Oberbürgermeister die Forderungen der Letzten Generation, weshalb die Gruppe dort keine Aktionen zivilen Ungehorsams mehr durchführt. Dennoch hat es bislang keine Forderung der Gruppe auf bundespolitischer Ebene zu Veränderungen geführt. »Leider ignoriert die Regierung noch immer alle Warnungen«, bedauert Fabian. »Aber wir geben nicht auf und lassen uns neue Strategien einfallen, um die Regierung in die Knie zu zwingen.«

Dafür legt die Letzte Generation nach dem bundesweiten Protest am Freitag nun auch eine Sommerpause von drei Wochen ein. Neuankömmlinge sollen eingearbeitet und neue Aktionsformen entwickelt werden. Protestmärsche werde es auch währenddessen geben, ungehorsame Aktionen jedoch erst ab August wieder. Sie sei davon überzeugt, »dass wir eine unignorierbare Bewegung werden«, erklärt Fabian. Und die 73-jährige Aktivistin hofft, auch noch einen entsprechenden politischen Wandel zu erleben.

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