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Gerhard Richter: Die wiederentdeckte Lebensfreude

Im Hygiene-Museum Dresden wird ein lange verborgenes Wandbild von Gerhard Richter freigelegt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Eine wahre Kärrnerarbeit, die sich aber lohnt: Zentimeter für Zentimeter ersteht ein Frühwerk von Richter, »Lebensfreude«, neu.
Eine wahre Kärrnerarbeit, die sich aber lohnt: Zentimeter für Zentimeter ersteht ein Frühwerk von Richter, »Lebensfreude«, neu.

Abhanden gekommene Lebensfreude zurückzugewinnen, kann eine mühselige Angelegenheit sein. Im Deutschen Hygiene-Museum Dresden (DHMD) sind dafür sogar Schutzmasken notwendig, dazu archäologische Feinarbeit mit Skalpell und weichem Pinsel. Es ist ein Prozess, der mit dem Gestank von Chemikalien verbunden und ziemlich anstrengend für die Augen ist. Außerdem braucht er viel Zeit und eine ruhige Hand. Pro Tag schaffen Albrecht Körber und seine Kollegin Susann Förster es nur, die »Lebensfreude« um jeweils 1000 Quadratzentimeter zu vergrößern.

Körber und Förster sind Restauratoren und legen derzeit ein Wandbild frei, das eben diesen Titel trägt. Es zeigt Menschen im Grünen: beim Picknick, am Strand, beim Tanz. Gemalt hat es Gerhard Richter, mittlerweile einer der bedeutendsten bildenden Künstler weltweit, zur Zeit der Entstehung vor einem Dreivierteljahrhundert Student an der Hochschule für bildende Künste (HfBK) in Dresden. Das 1956 gemalte Wandbild in einem Treppenhaus des Hygiene-Museums war seine Diplomarbeit. Sie trug ihm einige Anerkennung ein: eine Benotung mit »sehr gut«, eine Aspirantenstelle, ein Ateiler. »Das hat nicht jeder geschafft«, sagt Ivo Mohrmann, der derzeit Professor an der HfBK ist und den Studiengang leitet, in dem auch Restauratoren ausgebildet werden.

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Dass sich zwei solche zurzeit mit Richters Bild beschäftigen müssen, liegt daran, dass es 1979 übermalt wurde. Zu der Zeit war der einstige Dresdner Absolvent schon einige Jahre Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. Die DDR hatte er unmittelbar nach dem Bau der Mauer verlassen. Nachdem seine »Lebensfreude« übertüncht worden war, wurde die Wand zuletzt für Texte genutzt, die den Besuchern einführende Erläuterungen zu den wechselnden Sonderausstellungen gaben. Weil sie dafür jeweils in passenden Farbtönen gestaltet wurde, legten sich im Laufe der Jahre elf Farbschichten über das Diplomgemälde. Zuletzt, sagt Restaurator Körber, »hatte man sie gelb gestrichen«.

Erste Ideen, das Bild wieder freizulegen, gab es schon 1994. Damals lehnte Richter indes ab. Ein Jahr zuvor war in Bonn eine große Retrospektive mit seinen Bildern gezeigt worden. Womöglich befürchtete der gefeierte Künstler, das Jugendwerk aus sozialistischer Zeit könnte »im Rückblick störend wirken«, sagt Dietmar Elger, Leiter des Gerhard-Richter-Archivs bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Vor dem Hintergrund der erbitterten Debatten um Kunst aus der DDR wäre das nur zu verständlich. Dabei sei das Bild nie in Vergessenheit geraten, betont Elger. Es sei häufig reproduziert worden und galt als »zentrales Werk von Richters Dresdner Zeit«. Das große mediale Interesse an der derzeitigen Freilegung lässt freilich ahnen, welchen Wirbel eine solche Aktion wenige Jahre nach dem politischen Umbruch verursacht hätte. Mittlerweile sind drei Jahrzehnte vergangen. Der Blick auf die in der DDR entstandene Kunst ist differenzierter. Sie werde weithin akzeptiert als »Teil des kulturellen Erbes«, sagt Philip Kurz von der Wüstenrot-Stiftung, mit deren Unterstützung bereits etliche große Wandbilder aus der DDR-Zeit restauriert wurden, etwa das Mosaik »Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR« von Josep Renau an einem Plattenbau in Halle-Neustadt. Die Stiftung steuert auch einen Teil der 220 000 Euro für die Restaurierung von Richters Wandbild bei. Dieser, merkt Dietmar Elger an, werde an diesem Freitag 92 Jahre: »In dem Alter sieht man vieles anders und gelassener.«

Für das Dresdner Hygiene-Museum ist Richters Zustimmung zur Freilegung der »Lebensfreude« ein Glücksumstand. Das Haus, dessen Ursprünge auf eine Internationale Hygiene-Ausstellung unter Leitung des Mundwasserfabrikanten Karl August Lingner im Jahr 1911 zurückgehen, hat sich wiederholt mit seiner wechselvollen Geschichte auseinandergesetzt, etwa der Einbindung in die Verbreitung der Rassenideologie im NS-Staat. In einer Sonderausstellung, die am 8. März eröffnet wird und den Titel »VEB Museum« trägt, soll es um die Rolle des Hauses in der DDR gehen. Dass ausgerechnet jetzt Richters Wandbild teilweise wieder sichtbar gemacht wird, sei also durchaus symbolträchtig, sagt DHMD-Direktorin Iris Edenheiser: Es stehe für »eine der zentralen historischen Schichten« in der Vergangenheit des Museums. Auch der Umstand, dass es nur partiell restauriert wird, ist wohl durchdacht und soll illustrieren, dass die Geschichte über die Entstehungszeit hinweggegangen ist. »Das soll man dem Bild auch künftig ansehen«, sagt Edenheiser. Im besten Fall wird etwa ein Drittel des 62 Quadratmeter großen Bildes wieder freigelegt. Eine Voraussetzung ist, dass sich die eigens entwickelte restauratorische Technologie bewährt.

Albrecht Köster ist diesbezüglich zuversichtlich. Er und seine Kollegin haben verschiedenes ausprobiert, um die elf Farbschichten über der »Lebensfreude« abzutragen. Weil es sich bei einer davon um eine Wachsfarbe handelt, die wie eine Trennschicht wirkt, kann die obere Lage vorsichtig abgezogen werden. An den verbliebenen fünf Schichten machten sich die Restauratoren mit Skalpellen zu schaffen oder versuchten, sie mit Wärme abzulösen; beides ohne Erfolg. Den brachte schließlich eine Mischung verschiedener Lösungsmittel. Sie weichen den Alkydharz-Haftgrund auf, der über das Gemälde gelegt wurde, aber nicht die Kaseinfarben, aus denen Richter es schuf. Das Chemikaliengemisch wird jeweils auf zehn mal zehn Zentimeter große Vliesstücke aufgetragen und an die Wand gedrückt. Danach »stellen wir uns den Wecker auf 25 bis 30 Minuten«, sagt Körber. Dann werfen die Deckschichten Blasen und können mit größter Vorsicht entfernt werden. Das eigentliche Bild, sagt der Restaurator, »nimmt dabei keinerlei Schaden«.

Was Quadrat für Quadrat zum Vorschein kommt, lässt auch Kenner staunen. Alle bisherigen Reproduktionen seien in Schwarz-Weiß gewesen, sagt Elger. »Von der Farbigkeit hatten wir überhaupt keine Vorstellungen.« Nun zeigt sich, dass Richter mit pastelligen, zurückhaltenden Farbtönen arbeitete – und in einer bemerkenswerten Technik, die bislang allenfalls zu ahnen war. Er setzte auf der 15 Meter breiten Wand einen senkrechten Pinselstrich neben den anderen. Die Technik, die als »Teppichmalerei« bekannt ist und seit Mitte des 19. Jahrhunderts angewandt wird, hatte Richters Dresdner Lehrer Heinz Lohmar, ein von den Nazis verfolgter Kommunist, aus dem französischen Exil mitgebracht. Unter anderem durch derlei Malweisen habe Lohmar als Lehrer an der 1951 gegründeten Dresdner Hochschule seine Studenten dazu befähigt, sich »von flacher Propaganda abzuheben«, sagt HfBK-Professor Mohrmann. Figuren von Arbeitern und Bauern oder Szenen des sozialistischen Aufbaus finden sich auf Richters Wandbild nicht. Museumschefin Edenheiser zieht eher Vergleiche zu Gemälden wie dem »Frühstück im Grünen«, das Edouard Manet 1863 malte.

Besucher des Dresdner Museums können schon jetzt eigene Vergleiche ziehen. Albrecht Körber und Susann Förster, die unter den Augen der Gäste in einem teilweise verglasten Kubus arbeiten, haben erste Ausschnitte des Gemäldes freigelegt: hier ein Gesicht, dort zwei Füße – Details einer Badeszene mit Rückenakt und bunten Handtüchern. Bis Oktober soll die »Lebensfreude« auf diese Weise Stück für Stück in das Dresdner Museum zurückkehren.

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